Kurz vor dem Beginn des Jahres 2020 habe ich mich an dieser Stelle mit der Frage beschäftigt: Wann kommt „strategic HR“ und schließt die Evidenzlücke? Wenige Wochen später überschattete Covid 19 (fast) alles. Trotzdem steigt der Druck auf das Personalwesen, sich von einer operativen, verwaltenden Funktion hin zu einer strategischen, die Transformation gestaltenden Funktion im Unternehmen zu entwickeln.

Heute wissen wir: Durch die Pandemie, die leider immer noch unseren Alltag beherrscht, ergaben sich für das Personalwesen deutlich mehr Chancen als Risiken. Die Geschwindigkeit, mit der sich Geschäftsmodelle durch Digitalisierung über alle Industrien hinweg ändern, steigt rasant an. Viele von uns haben erhöhte Aufmerksamkeit auf ihre Belegschaft gerichtet: Was denken und fühlen Führungskräfte, Teams und Mitarbeiter? Welche Probleme hatten die Mitarbeitenden bei der Umstellung auf die virtuelle Arbeit? Wo scheitert die Kommunikation am häufigsten? Welche neuen Tools und Technologien benötigen wir im Homeoffice?

Mit Blick in das neue Jahr 2021 möchte ich mich im Folgenden nicht in unzähligen Trends und Herausforderungen verlieren – hierzu wurde bereits viel geschrieben und gepostet -, sondern vielmehr die „Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“ skizzieren (frei nach Antoine de Saint-Exupéry).

Am Ende geht es um Wertschöpfung …

So wichtig das Personalwesen auch ist; am Ende geht es bei HR nicht um HR, sondern um Ergebnisse:

  • Mit der Digitalisierung und der Automatisierung werden Jobs überflüssig, gleichzeitig entstehen neue Berufsbilder.
  • New Work“ geht nicht nur mit mehr Freiraum für Kreativität, selbstbestimmtem Handeln, Flexibilität in der Arbeitsorganisation und -zeit einher, sondern auch mit höherem Engagement und höherer Produktivität.

Wer sind die Kunden des Personalwesens? Neben Investoren/Eigentümern (Marktwert) sind es Regulatoren (soziale Verantwortlichkeit, Regulatorik), Partnerschaften (Wertschöpfungstiefe, Outsourcing) und externe Kunden (CX-Management, Bewerber). Bei internen Kunden unterscheidet man Mitarbeitende (Produktivität, Kompetenz) und Führungskräfte (strategischer Wertbeitrag).

Wertschöpfung kann für diese Stakeholder auf individueller und auf organisationsweiter Ebene erzielt werden; hier einige Beispiele:

… auf Basis von Kultur

Eine zentrale Aufgabe des Personalwesens ist die Entwicklung und der Erhalt der Arbeitsmarkt- bzw. Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter. Hierfür sind v.a. selbstverantwortliches Handeln, netzwerkartige Zusammenarbeit und individuelle Arbeitsbedingungen notwendig.

Digitalisierung und Automatisierung sind grundsätzlich positiv besetzt und hilfreich. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Automatisierung und der technologische Fortschritt auch negative Auswirkungen haben können, wie z.B. Einbußen bei Datenschutz und Vertraulichkeit oder weniger Arbeitskräftebedarf vor allem von gering qualifizierten Mitarbeitern.

Kulturwandel bedeutet deshalb:

  • Ohne einen massiven Wandel in den Unternehmenskulturen wird die Digitalisierung nur bedingt gelingen.
  • Schnelles Arbeiten mit positiver Energie sowie hoher Dynamik und eine Kultur des Vertrauens sind essenziell.
  • Agile Methoden wie Scrum und Design Thinking „befeuern“ den Kulturwandel.

Zwischen Kultur und Wertschöpfung resp. Unternehmenserfolg gibt es eine Kausalbeziehung – soviel zu Statistik:

  • Überdurchschnittlich leistungsstarke Unternehmen haben bereits eine starke Unternehmenskultur in ihrer DNA und nutzen diese solide Basis, wie z.B. die Selbstkompetenzen der Mitarbeiter in flexiblen Strukturen, die Nutzung agiler Methoden und das Vorbildverhalten des Topmanagements.
  • Weniger erfolgreiche Unternehmen zeigen bei der Kulturentwicklung Schwächen. Dies gilt insbesondere für die Aspekte Vorbildverhalten des Topmanagements, positive Energie und hohe Dynamik im Unternehmen, Nutzung agiler Methoden sowie Führung mit Vision und Inspiration.

Hier beispielhaft einige Auswirkungen der Kultur auf Stakeholder:

  • Mitarbeiter: Anziehung von Schlüsseltalenten, Engagement, Produktivität / Erwartungen,
  • Organisation: strategischer Fokus (Kernkompetenz),
  • Kunde: Unternehmensidentität / Reputation, Kultur als interne Manifestierung der Unternehmensmarke,
  • Investor: Immaterieller Wert, den Investoren im Laufe der Zeit schätzen, Teil des Leadership Capital Index.

In der Arbeitswelt der Zukunft machen die Menschen den Unterschied. Höchstleistung resp. Wertschöpfung braucht Freiraum, eine Vertrauenskultur schafft positive Energie.

HR: disrupt yourself

Heute führen Empathie, diplomatisches Geschick und Networking die Liste der als zentral erachteten Fähigkeiten des Personalwesens an.
Künftig legen Kompetenzen in Big/Smart Data und Workforce/People Analytics sowie Experimentierfreudigkeit massiv an Bedeutung zu. Gleichzeitig entwickeln sich die Netzwerkfähigkeiten zur mit Abstand wichtigsten Kompetenz. Auch strategisches und visionäres Denken bekommen gegenüber heute wesentlich mehr Gewicht.

Für das Personalwesen geht es darum, in allen Disziplinen der Digitalisierung und der agilen Arbeitswelt vorausschauend und vorbildlich voranzugehen und sich verstärkt auf die Erfahrung der Mitarbeiter im Unternehmen, die sogenannte Employee Experience, zu konzentrieren.
Das Personalwesen benötigt dazu ein klares Selbstverständnis, um als visionärer und strategisch starker Enabler wirken zu können.

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Unternehmensentwicklung und Belegschaft erhöhen den Druck auf die Personalarbeit, die Bewältigung der Krise zu unterstützen und die Transformation des Unternehmens nach der Krise voranzutreiben.
Neben der Digitalisierung haben aber in der jetzigen Situation sowohl die aktuelle ökonomische Situation einer Rezession mit einem einhergehenden Trend zur De-Globalisierung als auch gesellschaftliche Entwicklungen wie ‚Soziale Distanzierung‘, persönliche Sicherheit und politische Regulatorien Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen.

Diese genannten Entwicklungen spiegeln sich lt. Kienbaum und SAP letztendlich in fünf wesentlichen Veränderungen für Unternehmen und HR wider:

  • Leadership: Radikaler Wandel in der Managementkultur hin zu Empathie, Mitgefühl, Verständnis und Zuhören.
  • Agilität: Beschleunigung von agilen, flachen, offenen und selbstorganisierten Netzwerken.
  • Virtuelles Arbeiten: Zunahme von Remotework.
  • Digitalisierung: Beschleunigung von „Future of Work“ und des digitalen Arbeitsplatzes, Einbindung von KI v.a. im Recruiting [mehr] – unter Einhaltung einer digitalen Ethik.
  • HR Transformation: Beschleunigung der Transformation von HR zum strategischen Partner des Business und hin zu (Employee) Experiences (Diagnose-Tool!).

Das veränderte Rollenverständnis der Personalfunktion als Gestalter der digitalen Transformation erfordert, dass sie sich zukünftig mehr strategischen Aufgaben widmen muss. Allerdings ist die Skalierbarkeit der Funktion begrenzt, denn auch das Personalwesen muss seinen Beitrag zur Margensteigerung des Unternehmens erbringen. Daher kommt der digitalen HR-Transformation eine entscheidende Bedeutung zu. Kernprozesse und Unterstützungsprozesse müssen unter Einsatz intelligenter Technologien konsequent optimiert werden.

Bzgl. der Erbringung von Produkten und Dienstleistungen ist es für die Personalfunktion entscheidend, ihre Strukturen anzupassen, um die digitalen Potenziale optimal nutzen zu können. Digitale Technologien und veränderte Anforderungen von Belegschaft und Organisation an das Personalwesen beeinflussen dabei die Auswahl und Schärfung eines geeigneten Betriebsmodells.

Fazit

Das Personalwesen braucht dringend eine in die Zukunft gerichtete Vision, ein Zielbild, als Leitlinie für die in den kommenden Jahren unumgängliche Neuausrichtung.

Handlungsfelder, die ein beträchtliches Verbesserungspotenzial bergen, sind:

Noch stehen durchschnittlich lediglich rund 20 Prozent der Ressourcen für strategisch relevante Themen zur Verfügung, wohingegen über 40 Prozent für Personaladministration und stark operative Unterstützungsprozesse verwendet werden; allein die Kernprozesse sind mit 40 Prozent der Kapazitäten im Durchschnitt quantitativ angemessen besetzt. Auch wenn die Unterstützungsprozesse zwingend notwendig sind, tragen sie aber nicht positiv zum Wachstum des Unternehmens und damit zur Wertschöpfung bei. Personalfunktionen sind daher gut beraten, transformationale und transaktionale Leistungen zu differenzieren und dabei wertsteigernde Prozesse bei der Ressourcenallokation [Stichwort: Strategische Personalplanung] zu priorisieren und standardisierbare Prozesse und Routinen zunehmend über intelligente Lösungen- und/oder Outsourcing-Konzepte abzubilden.