In einer Welt des Wandels und einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld erweist sich das Engagement der Mitarbeiter als starker Hebel (vgl. Engagement-Ökosystem: Organisation, Führungskräfte, Mitarbeitende, Teams), um hohe Leistung und Innovation voranzutreiben und zu gewährleisten, dass talentierte Mitarbeiter an einem unter Druck stehenden Arbeitsplatz Erfolg haben.

Neben externen Faktoren wie demografischen Veränderungen und einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften aufgrund unzureichender Bildungsinvestitionen hängen auch organisatorische Faktoren wie Aus- und Weiterbildung, Unternehmensgrösse und Branche in erheblichem Masse mit Kündigungen zusammen. Unternehmen müssen wirksame Bindungsstrategien entwickeln, um den Druck auf einen sich verschärfenden Markt für qualifizierte Talente zu verringern.

Mit der Unterstützung von Workforce Analytics können Unternehmen die Qualität von Initiativen und Strategien zur Bindung systematisch untersuchen und messen, um effektive Massnahmen und Richtlinien zur Bindung zu ermitteln und umzusetzen. Nachfolgend gehe ich auf einige Erkenntnisse und Erfahrungen aus Amerika, aus Asien und aus Europa ein.

Asien …

hat heute bereits mit grossen Herausforderungen bei der Talentbindung zu kämpfen. Zwei Drittel der im Jahr 2017 von TCB befragten Führungskräfte gaben an, dass sie Schwierigkeiten haben, die Auswirkungen ihrer Bindungsstrategien bei Talenten zu evaluieren. Bei denjenigen, die Workforce Analytics bereits einsetzen, führt die gewonnene Evidenz dazu, die Qualität von Strategien zur Mitarbeiterbindung systematisch zu untersuchen und zu bewerten. Sehr beliebt ist derzeit die Identifizierung von Treibern, mit deren Hilfe eine mögliche Kündigung quasi vorausgesagt und möglichst vermieden werden kann.

Die drei wichtigsten Bindungsstrategien sind:

  • Die Forcierung von Entwicklungsplänen Mitarbeitender: Führungskräfte fördern u.a. Jobrotationen, Praktika in anderen Abteilungen, Mentoring, Coaching und Task Force-Projekte, um Mitarbeitende attraktive Aufgaben und Wachstumschancen anbieten zu können.
  • Die Steigerung des Mitarbeiter-Engagements: Das Engagement Institute des Conference Board hat bereits im Jahr 2014 die Studie „DNA of Engagement“ publiziert. Darin werden acht Kernelemente erläutert, die als Bausteine für äusserst engagierte Unternehmen dienen.
  • Die Verbesserung des Performance Management-Prozesses: Das Entstehen eines vernetzten, flexiblen Netzwerks von Teams, die sich bilden und auflösen, um an mehreren Projekten mit unterschiedlichen Vorgesetzten zu arbeiten, macht das Performance Management komplizierter. Ein guter Prozess des Performance Managements zur Planung, Überwachung, Entwicklung und Belohnung von Leistungen trägt wesentlich zum Erfolg der Mitarbeiterbindungspraxis bei [mehr].
    Viele der kritischen Faktoren, welche die Mitarbeiterbindung beeinflussen, hängen mit der Qualität des Performance Managements zusammen, z. B. Art der Arbeit (Planung), Coaching / Feedback vom Vorgesetzten (Monitoring), Gelegenheit zum Erlernen neuer Fähigkeiten (Entwicklung), Ausbildung (Entwicklung), sowie Anerkennung für eine gute Arbeit (Belohnung).

Eine neue Studie unseres Partners PACE O.D. Consulting mit Sitz in Singapur kommt zum Ergebnis, dass Mitarbeitende dann im Unternehmen bleiben und als Fürsprecher auftreten, wenn die organisatorische Erfahrungen, die sie machen, hervorragend ist. Hierzu gehören:

  • sinnvolle Arbeit,
  • unterstützendes Management,
  • positive Arbeitsumgebung,
  • Wachstumschancen,
  • Vertrauen in die Führung, sowie
  • organisationsübergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation.

In Amerika …

sind Studien des Harvard Business Review in Zusammenarbeit mit Gallup zur Folge 70 Prozent der Mitarbeitenden in den USA nicht engagiert.

Booz Allen Hamilton nutzt deshalb prädiktive (vorausschauende) Analysen, um vorherzusagen, wer das Unternehmen möglicherweise verlassen wird. Hierauf basierend wurden Strategien zur Bindung von Mitarbeitern mit hohem Risiko entwickelt. Das Unternehmen nutzte Daten, die es immer schon hatte, aber nie für Analysen dieser Art genutzt hatte (z. B. Gehaltsanpassungen in Verbindung mit der Anzahl absolvierter Weiterbildungen, Auszahlung von Überstunden). BAH war somit in der Lage, ein Modell zu erstellen, das ziemlich genau vorhersagte, wer das Unternehmen voraussichtlich in diesem Jahr verlassen wird.

Dies ermöglichte Personalleitern, proaktiv Bindungsstrategien für diejenigen zu initiieren, die für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens von entscheidender Bedeutung waren (Nutzung der Belegschaftssegmente!). Beispielsweise gaben sie den Managern Anleitungen,

  • um gefährdete Mitarbeitende proaktiv anzusprechen und zu erläutern, wie ihre Rollen in das Gesamtbild des Unternehmens passen,
  • um – unterstützt durch das Ressourcenmanagement – ihr Profil und ihre Fähigkeiten mit offenen Rollen abzugleichen und Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen,
  • um – entlang der Organisationsstruktur – zu erläutern, wo, wie und warum die Verantwortlichkeiten in der Organisation aufeinander abgestimmt sind.

Diese und weitere Anstrengungen haben dazu beigetragen, die freiwillige Abwanderung von Mitarbeitern mit erhöhtem Risiko um etwa 18 Prozent zu verringern!

John Deere hat sog. Check-Ins implementiert: Am Ende jedes zweiwöchigen Entwicklungszyklus´ überprüfen die Teams, was gut gelaufen ist und was nicht. Im Rahmen der Retrospektive bitten die Führungskräfte die Teammitglieder auch, eine zusätzliche Frage auf einer 10-Punkte-Skala zu beantworten: „Wie beurteilen Sie den Wert, den Sie im letzten Zyklus einbringen konnten?“. Durch den konkreten Beitrag der Mitarbeiter wird vor allem geprüft, wie sie sich in Bezug auf ihre Arbeit fühlen. Deere-Manager nennen es eine „Motivationsmetrik“.
Durch die Verfolgung des Motivationselements konnten die Teams neben Metriken wie Entwicklungsgeschwindigkeit und -qualität den Umfang der Produktentwicklungsarbeit, die sie alle zwei Wochen leisten, um das Vier- bis Achtfache steigern. Dies wiederum kann die Zeit für die Markteinführung neuer Produkte erheblich verkürzen.

Ravi S. Gajendran (Assistant Professor für Management an der University of Illinois in Urbana-Champaign) und Deepak Somaya (Associate Professor für Strategie und Stipendiat der Steven and Christy King-Fakultät an der University of Illinois in Urbana Champaign) geben in ihrer Forschung drei wesentliche Erkenntnisse an Manager und Unternehmen weiter:

  1. Führung schafft per se keine Bindung! Das hat mich selbst überrascht, denn es deckt sich nicht mit anderen Forschungsergebnissen wie z.B. von PwC. Gute Führung hat zwar viele Tugenden, hilft aber offensichtlich seltener als häufig angenommen bei der Reduzierung der Fluktuation leistungsstarker Mitarbeiter, da sich diesen bessere externe Karrieremöglichkeiten bieten. Daher sollten Unternehmen andere Bindungsmechanismen sorgfältig entwickeln, um die talentierten Mitarbeiter zu binden.
  2. Gute Führungskräfte bauen starke Alumni-Beziehungen auf. In einer Zeit des ständigen Job-Hopping und der vielfältigen Karrieren haben zahlreiche Unternehmen inzwischen eine beträchtliche Anzahl ehemaliger Mitarbeiter und sollten proaktiv versuchen, Beziehungen via Alumni aufzubauen und zu nutzen. Gute Führungskräfte helfen Unternehmen dabei.
  3. Off-Boarding ist sehr wichtig. Um die Vorteile von Alumni besser zu nutzen, sollten Unternehmen Off-Boarding-Prozesse sorgfältig gestalten, die Brücken zu Mitarbeitern schlagen und auf ihren positiven Erfahrungen im Unternehmen aufbauen; also eine Trennungskultur entwickeln. Anstelle von flüchtigen HR-gesteuerten Exit-Interviews sollten von Führungskräften geleitete Bindungs- und Exit-Verfahren den Wert des Mitarbeiters für das Unternehmen signalisieren und versuchen, die Beziehung auch dann fortzusetzen, wenn er sich dafür entscheidet, Alumni zu werden. Dieser Ansatz erfordert auch eine Änderung der Denkweise von Managern, die ansonsten gute Führungskräfte wären, aber negativ reagieren, wenn talentierte Mitarbeiter sie verlassen, um ihre Karriere an einem anderen Ort fortzusetzen.

Innerhalb Europas …

führen wir seitens der STRIM Langzeitstudien durch. Nachfolgend fasse ich einige der m.E. wichtigsten Erkenntnisse zusammen:

  • Die Bedeutung der Vergütung wird im Thema Engagement und Mitarbeiterbindung häufig überschätzt. Selbstverständlich ist ein marktfähiges Grundgehalt wichtig; unsere statistischen Analysen weisen jedoch nur einen geringen Wirkzusammenhang zur Mitarbeiterkündigung auf. Interessant ist, dass Mitarbeitenden der individuelle Bonus wichtiger zu sein scheint als der Teambonus. In der aktuellen Diskussion gehen zahlreiche Unternehmen gerade den Weg hin zum Teambonus!
  • Stress ist dagegen ein hoher Prädiktor; v.a. mit Blick auf Klarheit der Rolle, Rollenkonflikte und kontinuierlicher Überlastung. Zahlreiche Teilnehmer*innen unserer Studien melden wenig überraschend zurück, dass sie sich eine höhere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben wünschen. Hierzu gehören die Vertrauensarbeitszeit, die Kinderbetreuung während der Arbeitszeit, sowie eine höhere zeitliche und örtliche Flexibilität.
  • Die Demografie ist ebenfalls zu beachten; insbesondere der Familienstand, die Verantwortung für Familie und Verwandtschaft, die Anzahl an Kindern, das Alter, sowie die Beschäftigungsdauer im Unternehmen.
  • Auf die Zufriedenheit am Arbeitsplatz scheinen Angebote wie kostenloses Obst (neben Wasser und Kaffee) und Zuschüsse für gesundes, nahrhaftes Essen „einzuzahlen“. Auch Aspekte der Gesundheit, wie Rückenschule, ergonomische Arbeitsplätze, Critical Life Event Coaching in privaten Krisensituationen, werden als wichtig hervorgehoben.
  • Im Thema Führung – weiter oben bereits thematisiert (Rubrik Amerika) – sind v.a. die Vereinbarung individueller Entwicklungsziele, angemessene eigene Entscheidungsfreiräume und Handlungsspielräume, sowie Klarheit im Hinblick auf den individuellen Beitrag zum Unternehmenserfolg wichtig.
  • Mit Blick auf die Unternehmensführung heben die Befragten ein leistungsförderndes, erfolgsorientiertes Arbeitsklima, eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur, sowie die Kommunikation der Unternehmensvision, der -strategie und der -ziele hervor.
  • Die weiter oben (Rubrik Asien) bereits thematisierten Weiterbildungsoptionen sind insbesondere auch mit Blick auf Mitarbeiterbindung sehr wichtig. Mitarbeitende betonen hierbei eine individuelle, an der Karriereplanung orientierte Weiterbildung; dies im Abgleich mit der aus der Strategischen Personalplanung heraus initiierten Personalentwicklung.
  • Karriere ist nicht automatisch gleichzusetzen mit Aufstieg und Führungslaufbahn. Viele fühlen sich in der Fachlaufbahn wohler – mit entsprechenden Auswirkungen auf Engagement und Bindung.
  • Neben allen Home-Office-Modellen und sonstigen Angeboten, die in diese Richtung weisen, ist es hinsichtlich Engagement und Bindung wichtig, dass Mitarbeitende mit Kollegen*innen auch physisch zusammenarbeiten und dabei Geselligkeit und Zugehörigkeit empfinden!
  • Schliesslich haben wir in unseren Untersuchungen herausgefunden, dass sich auch die Förderung sozialen Engagements seitens des Unternehmens sowie die Förderung von Kunst und Kultur – beispielsweise im Rahmen von Kunstausstellungen sowie von Chor- und Theateraufführungen – positiv auf Engagement und Bindung auswirken.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Umfrage von Compensation Partner und Gehalt.de vom Januar 2019. Demzufolge sind Wertschätzung (45 Prozent) und Gehalt (40,5 Prozent) jene zwei Faktoren, die am häufigsten über die Kündigung entscheiden.

Eine Studie des Softwareentwicklers Peakon – Titel: „Die neunmonative Vorwarnung“ – lässt den Schluss zu, dass Arbeitgeber erste negative Anzeichen für eine drohende Kündigung bereits neun Monate im Vorhinein erkennen können. Als entscheidende Kennzahl gilt der Employee Net Promoter Score (ENPS-Wert), in den die Antworten auf diese Frage einfliessen: Wie wahrscheinlich ist es, dass Mitarbeiter ihren Arbeitgeber weiterempfehlen? Nimmt dieser Wert auf einer Skala von 0 und 10 Werte zwischen 0 und 6 an, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Kündigung dreimal so hoch, wie wenn dieser Wert zwischen 9 und 10 liegt!

Fazit

Um eine effektive Talentbindungspraxis aufzubauen, sollten Unternehmen einen systematischen Ansatz zur Verfolgung und Analyse der Qualität ihrer Strategien und Massnahmen zur Talentbindung entwickeln. Nicht alle im Beitrag genannten Bindungsstrategien und -massnahmen funktioniert überall. Der Ansatz der STRIMacademy im Rahmen der Foren enthält folgende sechs Schritte:

  • Identifizieren Sie Bedenken hinsichtlich der Talentbindung (z. B. Leistungsträger / Potenziale, bei denen das Risiko besteht, dass sie das Unternehmen verlassen).
  • Bestimmen Sie den aktuellen Mitarbeiterbindungsstatus.
  • Entwerfen Sie die Intervention.
  • Setzen Sie die Intervention(en) um.
  • Messen Sie die Bindungsergebnisse.
  • Bewerten Sie die Interventionswirkung.

Beginnen Sie mit einigen Leitfragen zu Engagement und Mitarbeiterbindung, wie z.B. den folgenden:

  • Wie hoch ist unser Engagement für unsere High Potentials / Leistungsträger / kritischen Talentpools? Wie evaluieren wir das?
  • Welche unserer High Potentials / Leistungsträger haben das höhere Kündigungsrisiko? Wann sind sie am anfälligsten? Welche Gründe sind dafür ausschlaggebend?
  • Wie hoch ist unsere freiwillige Kündigungsrate für unsere High Potentials / Leistungsträger / kritischen Talentpools? Welche Einflussfaktoren könnten eine Rolle spielen?
  • Was sind die wichtigsten Treiber für Engagement und der Absicht zu bleiben für unsere High Potentials / Leistungsträger / kritischen Talentpools?