Im ersten Teil dieses Beitrages bin ich auf Rahmenbedingungen und Vorgehensmodelle der Organisationsentwicklung (OE) eingegangen; dies in Anlehnung an den St. Galler Denk- und Wissensnavigator in Verbindung mit dem St. Galler Management HAUS. In diesem Beitrag steht die eigentliche OE-Arbeit im Mittelpunkt.

OE entlang der fünf Navigationsphasen von Abegglen liefert zwar ein ganzheitliches Konzept; dieses muss aber wie ein Instrument beherrscht werden, um schöne Töne zu erzeugen. Das bedeutet: Die OE muss auf allen drei Ebenen des St. Galler Management Hauses „zuhause“ sein – normativ, strategisch und operativ. Es gibt kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als auch. Alle Ebenen sind ständig miteinander in Einklang zu bringen, um eine langfristige Lebensfähigkeit der Organisation zu sichern. Die Raum-Module bieten Flexibilität, um sich in den Spannungsfeldern von

  • Aktivitäten (Politik, Stoßrichtungen, Aufgaben),
  • Verhalten (Kultur, Führungsverständnis, Handlungen) und
  • Strukturen (Verfassung, Organisation, Prozesse)

entweder in Richtung Veränderung oder in Richtung Stabilität zu bewegen. OE ist damit deutlich mehr – so der Titel dieses Beitrags -, „als Mitarbeiterbeteiligung und Change„!

Geht es bei den ersten beiden Ebenen noch darum, in einem kleinen Kreis an Mitarbeitenden die strategischen Leitplanken zu erarbeiten, so geht es nun bei der operativen Umsetzung darum, alle Mitarbeitenden einzubinden und sie zu Beteiligten am OE-Prozess zu machen – eine zentrale Aufgabe!

Die OE ist primär für den Fahr- und Manövrierbereich verantwortlich (siehe Bild links, zwei der fünf Navigationsphasen). Hierbei steht ein rollierender Masterplan im Zentrum (siehe Bild rechts), aus dem sich weitere Aufgabenschwerpunkte ableiten.

Die aus strategischen Analysen abgeleiteten Optionen werden in einen rollierenden Masterplan übertragen. Dieser beinhaltet:

  • Marktattraktivitäts-Wettbewerbsstärken-Portfolio (vgl. McKinsey-Matrix; Scheuss, S. 86 ff.),
  • SWOT-Analyse und –Normstrategien (vgl. Scheuss, S. 37 ff.)
  • Strategische Stoßrichtungen bzw. Optionen,
  • SMART-Ziele und Resultate für die nächsten 3-5 Jahre; z.B. Umsatz, Deckungsbeitrag, Mitarbeitende (Eckdaten der Strategielandkarte), sowie
  • Mittel, Zeitraum, Ressourcen und Maßnahmen (Beispiel Planungstabelle).

Der letzte Punkt wird als Programm-Management mit folgendem Aufgabenumfang institutionalisiert (vgl. S. Schifferer und Benjamin von Reitzenstein):

  • Koordination entlang Strategielandkarte,
  • Moderation und Coaching,
  • Umsetzung, sowie
  • Evaluation (ggf. entlang der BSC).

Ein solches Programm-/Projektportfolio- oder auch Multiprojekt-Management ist mit zahlreichen Risiken, Grundsätzen und prozessualen Anforderungen verbunden (vgl. C. Kunz: Strategisches Multiprojektmanagement, S. 34), nutzt neue digitale Crowdsourcing- sowie dynamische Programm-Management-Plattformen, und zielt sowohl auf Effektivität als auch auf Effizienz.

Aufgabenschwerpunkte im Überblick

(1) Im Rahmen der „Implementierung“ und „Optimierung“ spielen Projekte als zeitlich begrenzte Organisationsform eine wichtige Rolle.
Hierbei geht es – gemäß C. Schiersmann und H.-U. Thiel – „um die Durchführung eines risikoreichen, komplexen und innovativen Vorhabens, an dem Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen und aus unterschiedlichen Hierarchiestufen unter Vorgabe festgelegter Leistungsziele arbeiten.
Vor dem Hintergrund immer kürzer werdender Planungs- und Entscheidungshorizonte in einer VUCA world gewinnen sog. agile Methoden, wie z.B. Design Thinking, SCRUM und Business Model Canvas, stetig an Bedeutung. Ich habe in diesem Blog schon mehrfach darüber berichtet, deshalb an dieser Stelle nur drei Anmerkungen:

  • Diese Methoden sind nicht substanziell neu, man sollte sie also nicht künstlich aufbauschen. Manche Begriffe aus dem bekannten Projektmanagement werden durch englische Begriffe ersetzt, einige Eigenschaften, wie z.B. iteratives Vorgehen und Prototyping, werden besonders betont.
  • Agilität – zweifellos wichtig! – gelingt nur in Verbindung mit Stabilität, befindet sich in einem Spannungsverhältnis zur wissenschaftlichen Auffassung vom Lernen und steht mitunter im Widerspruch zu zeitintensiven, komplexen OE-Veränderungsprozessen.
  • Daniel Kahneman betont in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“, dass es sowohl schnelles (d.h. regel- und routineorientiertes) Denken als auch langsames (d.h. reflektierendes und komplexität-bewältigendes) Denken benötigt. Das Erfolgsrezept liegt also ein einem Sowohl-als auch, nicht in einem Entweder-oder!

(2) Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt ist die Teamentwicklung. Ein Team steht für das gemeinsame Problemlösen bzw. die kooperative Bewältigung von zumeist komplexen Aufgaben. Svenja Hofert nennt in einem Blogbeitrag 10 dafür wichtige Merkmale.

Mit gutem Grund wird die Balanced ScoreCard (BSC) häufig genau an dieser Stelle als visionsgeleitetes und strategisches Management-System mit eingebunden.

(3) Die Optimierung betrieblicher, abteilungsübergreifender „end-to-end“-Prozesse gewinnt durch die Digitalisierung eine neue Qualität. Grundsätzliche Aussagen zur Prozessanalyse finden sich bereits in Teil 1 dieses Beitrages. Das dort genannte TD-ABC-Verfahren beinhaltet auch Mengengerüste und FTE-Angaben auf Teilprozessebene resp. Einzelleistung. Treiber der Optimierung muss m.E. die Fokussierung auf relevante Kundensegmente und deren Bedürfnisse sein.

(4) Ein zunehmend wichtiger Aufgabenschwerpunkt der OE ist das Wissens- und Kompetenzmanagement. Konkret geht es darum, eine Wissens- bzw. Kompetenzkultur zu etablieren, Wissensziele zu definieren, vorhandenes Wissen bzw. Kompetenzen zu identifizieren, eine Wissensbilanz aufzubauen, neues Wissen gezielt zu generieren und zu verteilen, Kompetenzen entlang wesentlicher Kompetenzlücken weiter zu entwickeln und den Gesamtprozess der Wissens- bzw. Kompetenzentwicklung zu bewerten.
Kompetenzen und Wissen sind häufig an Mitarbeitende „gebunden“ – an Humankapital, das am Abend nach Hause geht. Eines der OE- und HCM-Ziele ist, aus Humankapital Strukturkapital zu machen; d.h. Kapital, das auch nach dem Ausscheiden eines Mitarbeitenden der Organisation erhalten bleibt.

(5) Entlang optimierter Prozesse sowie künftig notwendiger Belegschaftssegmente und Kompetenzen ist die Organisationsstruktur zu überprüfen und ggf. neu auszurichten. Sowohl der AKV-Ansatz (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung), als auch die RACI-Darstellung sind dabei hilfreich. Denn neben all den Vorteilen eines Hochleistungsteams bedarf es transparenter Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnisse.

(6) Auch das Coaching von Führungskräften ist als OE-Aufgabenschwerpunkt zu nennen. Auf die Rolle der Führungskraft, auf ihre DNA, auf digitale Kompetenzen Führender sowie auf die Ausgestaltung von Executive Coaching bin ich hinlänglich eingegangen.
Die große Chance besteht darin, dass sich Führungskräfte stärker an der Mobilisierung des Wandels und Steuerung des gesamten Veränderungsprozesses aktiv beteiligen und akzeptieren, dass dieser Prozess bei ihnen selbst beginnt, denn: nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen (frei nach Stephen R. Covey: Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg).

(7) Keine Veränderung läuft ohne Konflikte ab. Im Zuge eines OE-Prozesses kommt es häufig zu einem belastenden Differenzerleben zwischen Altem und Neuem, zwischen Kontinuität und Diskontinuität, zwischen Wandel und Zäsur, zwischen Stabilität und Instabilität. Daher gehören auch Moderation und Mediation zu den Aufgabenschwerpunkten der OE. Mediation ist ein strukturiertes, freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes, bei dem die OE als Mediator die Konfliktparteien in ihrem Lösungsprozess begleitet.

(8) Die Wirkung vorab skizzierter Aufgabenschwerpunkte ist unter Einbindung von Frühwarnindikatoren zu evaluieren; dies entlang der

  • Kostenziele (Personalkosten, Materialkosten, Abschreibungen, etc.),
  • Leistungsziele (Produktivität, Durchlaufzeiten, Qualität, etc.), sowie
  • Gestaltungsziele (Strategiekonformität, Bündelung von Ressourcen, Reduktion von Schnittstellen, etc.)

und im Einklang mit der Operationalisierung der Strategie beispielsweise in Scorecards und/oder Dashboards. In den nächsten zehn Jahren werden vorausschauende Unternehmen zunehmend leistungsfähige KI-Tools in ihrem Programm-Management einsetzen. Erste Ansätze sind bereits bemerkenswert (vgl. BCG Henderson Institute Studie 2019).

Mein Fazit

Folgende Essenz möchte ich am Ende des zweiten Teils dieses Beitrages festhalten:

  • Im Fahr- und Manövrierbereich des Navigators – „Implementierung“ und „Optimierung“ – ist die OE gefordert. Sie unternimmt eine anspruchsvolle Gradwanderung zwischen dem Optimieren des Bestehenden und der Neuausrichtung sowie zwischen Stärkung der Kernfähigkeiten und Abbauen bzw. „Entlernen“.
  • Projektmanagement, Teamentwicklung, Prozess-, Wissens- und Kompetenzmanagement mit ihrem hohen Anteil an Selbstorganisation und einer abteilungs- und hierarchieübergreifenden Kooperationsdichte stehen in einem Spannungsverhältnis zur vorhandenen hierarchischen Organisationsstruktur bzw. zur Linie.
  • Ein strategisches Kompetenzmanagement ist nicht nur wichtig für die Personalentwicklung, sondern primär für die Organisationsentwicklung. Die Fähigkeiten und die Kultur einer Organisation sind nämlich deutlich wichtiger als die Kompetenzen des Einzelnen. Lt. Dave Ulrich et al. sind die Auswirkungen einer Organisation auf Unternehmenserfolg drei- bis viermal höher als diejenigen einer Einzelperson.
  • Die Implikationen der Digitalisierung auf die Organisation werden vielfach unterschätzt. Geschäftsmodelle geraten unter Druck und Unternehmen werden zu Anpassungen gezwungen. Das hohe Tempo digitaler Innovationen sorgt für einen kontinuierlichen Handlungsbedarf – mit-initiiert durch die OE -, der über den reinen Projektcharakter, die Beteiligung der Mitarbeiter, sowie klassisches Change Management deutlich hinausreicht.
  • Die OE liefert ihren Beitrag zu einer zukunftsfähigen Organisation v.a. durch eine Balance kurzfristiger Agilität mit langfristiger Vision, durch eine Neudefinition der Arbeit, Abläufe und Strukturen, sowie durch eine völlige Transparenz in der Kommunikation und im Informationsaustausch auf allen Organisationsebenen.