Europa fällt derzeit laut ifo-Präsident Clemens Fuest wirtschaftlich und technologisch zurück. Etliche Unternehmen verlagern aufgrund schlechter Rahmenbedingungen Betriebsteile und Ressourcen in das außereuropäische Ausland und bauen in ihren Heimatmärkten Arbeitsplätze ab.

Für viele Personalleiter:innen gibt es derzeit nur eine Ansage: runter mit den Kosten. Denn die Personalkosten stellen in den meisten Unternehmen den größten Kostenblock dar. Geeignete Maßnahmen, bevor Kündigungen ausgesprochen werden, sind der Abbau von Überstunden und Gleitzeitguthaben, Kurzarbeit oder Kürzung von freiwilligen Sozialleistungen.

Ist damit der „Werkzeugkasten“ von HR ausgeschöpft? Ist HR wieder einmal der Erfüllungsgehilfe, um Durststrecken in Unternehmen mit Kostensenkungsprogrammen zu überstehen? Oder sollten Unternehmen bei knappem Arbeitskräfteangebot den Schwerpunkt statt auf Kostensenkungen besser auf die Mitarbeiterbindung und die Vermeidung von Burnout legen?

Mitarbeitende sind nicht nur ein Kostenfaktor, sondern im Grunde genommen der einzige wertschöpfende Faktor! Beide Faktoren sind wichtig in einer Welt, in der Unternehmen mit wirtschaftlicher Ungewissheit, schnellem technologischem Wandel und Umwälzungen bei den Arbeitsmodellen zu kämpfen haben. Es geht also darum, die richtige Balance zu finden bzw. den Spagat zu meistern zwischen Kostensenkung einerseits und Wachstum durch Investitionen andererseits.

Maßnahmen zur Steigerung der Rendite

Eigene Erfahrungen und diverse Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die Talente in den Mittelpunkt ihrer Geschäftsstrategie stellen, höhere Gesamtrenditen für ihre Aktionäre erzielen als ihre Konkurrenten. Für mich kristallisieren sich dabei fünf Maßnahmen heraus:

  1. Aufbau einer kompetenzbasierten strategischen Personalplanung,
  2. Schaffung einer nach Belegschaftssegmenten differenzierten Rekrutierung,
  3. Investitionen in Aus- und Weiterbildung,
  4. Etablierung einer leistungsorientierten Kultur, und
  5. Verbesserung des Geschäftsmodells der Personalabteilung.

Steigen Sie mit mir ein wenig tiefer ein!

Aufbau einer kompetenzbasierten strategischen Personalplanung

Immer mehr Unternehmen beginnen mit der Klärung der Rollen und Fähigkeiten, die für die Umsetzung der Geschäftsstrategie entscheidend sind. Sobald das Zielbild steht und mit der aktuellen Situation verglichen wurde, sind die Kompetenzlücken in einer Heatmap darstellbar und können durch zielgerichtete Entwicklungsprogramme geschlossen werden. Forschungen zeigen, dass Personen, die in hochkritischen Bereichen Spitzenleistungen erbringen, eine um bis zu 800 Prozent höhere Produktivität erzielen als durchschnittliche Mitarbeiter in derselben Position.

Schaffung einer nach Belegschaftssegmenten differenzierten Rekrutierung

Unternehmen pilotieren innovative Technologien und datenbasierte Ansätze, um im Wettbewerb um die besten Talente erfolgreicher zu werden. Traditionelle Rekrutierungsmethoden reichen nicht mehr aus, um den sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.

Ich erlebe aktuell, wie die gesamte Candidate Journey in Unternehmen hinterfragt und digitalisiert wird. Dies mit dem Ziel, mehr Informationen über relevante Personas zu sammeln, bessere Stellenanforderungen zu formulieren und Kandidaten mit Qualifikationspools abzugleichen. Analysen können dabei helfen, herauszufinden, an welcher Stelle Bewerber abspringen, um die Journey durch personalisierte Inhalte und nahtloses Onboarding zu optimieren.

Im Beitrag „Gelingt HR der notwendige Spagat? (Teil 1/2)“ bin ich auf aktuelle Rekrutierungsstrategien eingegangen. Daraus abgeleitete Maßnahmen müssen evaluiert werden; auch mit Blick auf Produktivität: time to productivity.

Investitionen in Aus- und Weiterbildung

Traditionelle rollenbasierte Lernprogramme werden zunehmend hinterfragt. Entlang der bereits skizzierten Wissenslücken werden stattdessen maßgeschneiderte, fähigkeitsbasierte Lernprogramme entwickelt und evaluiert; beispielsweise mit Hilfe des schon mehrfach von mir zitierten Modells von Bontis. BCG hat im Rahmen mehrerer Projekte einen dreistufigen Ansatz entwickelt, der Unternehmen dabei hilft, den „Return on Learning Investment“ besser zu evaluieren. Mit ROLI können Unternehmen:

  1. die Geschäftsergebnisse oder Auswirkungen, die sie erreichen möchten, wie z.B. Produktivität oder Mitarbeiterbindung, im Voraus als Soll ermitteln,
  2. die Kennzahlen und Frühindikatoren definieren, die sie verwenden werden, um das Programm hinsichtlich der erwarteten Auswirkungen zu evaluieren, und
  3. im Soll-Ist-Vergleich feststellen, ob diese Wirkung erzielt wurde.

Wenn Unternehmen ihre Kultur auf Entwicklung ausrichten, fühlen sich Mitarbeitende in der Regel produktiver, anpassungsfähiger und wertvoller, was sich langfristig positiv auf die Attraktivität und die Bindung der Mitarbeiter auswirkt.

Etablierung einer leistungsorientierten Kultur

Wie in mehreren Beiträgen dargelegt, plädiere ich für eine starke Leistungskultur mit Blick auf Mitarbeitende, Teams, sowie das gesamte Unternehmen. In Anlehnung an den Titel dieses Beitrages empfehle ich Ihnen auch den Beitrag „Wie korreliert Kultur mit Unternehmenserfolg?“.

Forschungsergebnisse über organisatorische Gesundheit belegen, wie stark die Verbindungen zwischen Managementpraktiken und einer stärkeren Leistungskultur sind. Effektiv agierende Führungskräfte sorgen für eine bessere organisatorische Gesundheit, die wiederum dreimal so hohe Aktionärsrenditen liefert wie ungesunde Organisationen, unabhängig von der Branche.

Verbesserung des Geschäftsmodells der Personalabteilung

Schließlich finden Sie auf diesem Unternehmensblog Ausführungen zum sog. Target Operating Model (TOM) – auch mit Blick auf HR; ebenso zur Transformation hin zu einem solchen Zielmodell. Im Zentrum dieser Transformation steht der Wertschöpfungsbeitrag, die Rendite – häufig gemessen als Human Capital Return on Investment (HC RoI). Hier habe ich einige Erkenntnisse zum HC RoI und zum HR-Geschäftsmodell zusammengefasst.

Drei Punkte möchte ich hervorheben:

  • Die strukturelle Ausgestaltung des Geschäftsmodells kommt ziemlich am Ende der Transformation, nicht am Anfang! Begonnen wird mit der Entwicklung einer HR-Strategie, die mit der Unternehmensstrategie verknüpft ist. Hierbei ist ein Outside-in-Ansatz zu verfolgen, der mit den Bedürfnissen der Stakeholder beginnt und dann die Auswirkungen innerhalb des Unternehmens auf die Erfüllung dieser Bedürfnisse ermittelt.
  • Um der zunehmend strategischen Rolle gerecht zu werden, muss dieses Geschäftsmodell flexibel bleiben und sich geschäftspolitischen Veränderungen anpassen.
  • Die Personalabteilung sollte eine Datenkultur entwickeln und in diesem Zuge ihre Daten- und Personalanalysekapazitäten ausbauen. Der Mehrwert wird dabei nicht durch Zahlenkolonnen erzeugt, sondern durch Erkenntnisse aus Daten, die in die weitere Strategiearbeit mit einfließen.

Soviel zu den fünf Maßnahmen, die das Talentsystem eines Unternehmens umgestalten, eine Leistungskultur schaffen und gleichzeitig die sog. Employee Experience verbessern können. Ziel dieser Maßnahmen ist die nachhaltige Steigerung der Rendite des Unternehmens.

Integrierter Rahmen unterstützt Konvergenz

Grundsätzliche Verfahren, wie z.B. 4DX, Hoshin Kanri und BSC, HR-Kernstrategie-Ansatz und DEDIND-Modell, sind richtig und gut. Bezogen auf die o.g. fünf Maßnahmen und einem Fokus auf Mehrwertlösungen ist in HR ein Konvergenz-Rahmen mit vier Bereichen hilfreich. Dave Ulrich schreibt hierzu folgendes:

Jede Disziplin, die zu einer Wissenschaft werden will, bietet integrierte Rahmenwerke an, die unterschiedliche Optionen zu Mustern ordnen. Ich habe gelernt, dass die Disziplin der integrierten Rahmenwerke Komplexität in Einfachheit umwandelt, die Aufmerksamkeit fokussiert, konzeptionelle Klarheit schafft, Prioritäten setzt und einen Plan für den Fortschritt bietet. Das Durcheinander der HR-Initiativen deutet darauf hin, dass die Personalabteilung als Bereich möglicherweise noch nicht über einen solchen integrierten Rahmen verfügt.

In einer Publikation vom Februar 2024 zum Human Capability Framework (HCF) stellen Dave Ulrich und Harrison James drei wichtige Erkenntnisse vor:

  1. Investitionen in die menschliche Leistungsfähigkeit müssen ein Geschäft und keine HR-Agenda sein. Diskussionen über menschliche Fähigkeiten müssen mit der wesentlichen Frage beginnen: „Wie können wir die Ergebnisse der Stakeholder beeinflussen, indem wir in menschliche Fähigkeiten investieren?“
  2. Unternehmen müssen über ein integriertes und nicht fragmentiertes Rahmenwerk sowohl für Stakeholder-Ergebnisse als auch für Initiativen zur menschlichen Leistungsfähigkeit verfügen, um die Falle von Allheilmitteln und schnellen Lösungen zu vermeiden.
  3. Die Implementierung disziplinierter Methoden zur Priorisierung ist von entscheidender Bedeutung, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was „mein Vorgesetzter, Berater, Mitarbeiter oder Cousin“ will.

Nutzt man nun das HCF – in nachfolgender Abbildung mit 38 möglichen Initiativen zur Förderung menschlicher Fähigkeiten und fünf Stakeholdern -, dann ergibt sich daraus ein Raster von 190 Chancen:

Mit Hilfe von SWOT-, Gap 1- (Aktivitäten) und Gap 2- (Ressourcen) Analyse und in Verbindung mit dem Opportunity Score (Status * Auswirkung * Varianz) werden dann das strategische HR-Portfolio und die strategische HR-Roadmap erstellt.

Mehrwertorientierte Beratung verlagert den Fokus demnach von der Beschreibung möglicher Maßnahmen hin zur Vorschreibung von Mehrwertlösungen, um Unternehmensziele zu erreichen. Während bei Benchmarking und Best Practices Maßnahmen und Initiativen verglichen werden, werden hier Investitionen priorisiert, die allen Beteiligten einen Mehrwert bieten.

Fazit

Eine positive Leistungskultur korreliert mit dem finanziellen Erfolg eines Unternehmens. Indem Mitarbeitende ihre persönlichen Kompetenzen weiterentwickeln und sich sozial sowie methodisch verbessern, tragen sie maßgeblich zur Steigerung der Unternehmensleistung bei. Eine positive Leistungskultur hat auch einen positiven Einfluss auf die Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit und hat nachweislich einen Rückgang der Krankheitstage zur Folge.

Die Einbindung kultureller und weiterer Maßnahmen in ein sog. Human Capability Framework zielt darauf ab, die unzähligen, strategie-gerichteten HR-Initiativen zu kategorisieren und den Mehrwert für Stakeholder im Blick zu haben. Die Einbindung von GenKI sollte entlang der vier Bereiche dieses Rahmens erfolgen.