Die Balanced Scorecard ist seit über 20 Jahren ein Managementkonzept zur Umsetzung einer Unternehmensstrategie in ein konsistentes System von strategischen Zielen und die Konkretisierung dieser strategischen Ziele durch operative Ziele und Maßnahmen entlang von vier Perspektiven.

Im April letzten Jahres habe ich einen BSC Relaunch vorgestellt. Durch die Einbindung von 4DX, von Assessment Guides und statistischen Analysen, sowie einem Vorgehen entlang sog. Scrum-Sprints mit Blick auf das Initiativen-Management konnte die Strategieimplementierung in einigen Unternehmen beschleunigt und besser auf die Vision hin gesteuert werden.

Trotzdem kamen auch in den letzten Monaten stetig neue Erkenntnisse hinzu und wieder stellt sich die Frage: Wie können entlang einer Strategieumsetzung mit der BSC gezielt weitere, praxiserprobte Methoden und Verfahren eingebunden werden?

Entlang erkannter Grenzen und einiger Kritikpunkte bei der Anwendung der BSC konzentriere ich mich im Folgenden auf fünf Handlungsfelder, die mir für eine effektive und effiziente Strategieumsetzung wichtig sind:

Gewinnung neuer Umsetzungskraft

Vor ca. fünf Jahren sagte John Cryan – damals Deutsche-Bank-Chef -, als er auf die Probleme der Bank angesprochen wurde: „Die Bank hat kein Strategieproblem, aber ein Umsetzungsproblem“.  Damit ist er nicht alleine. So bedauerlich der Verlust an konzeptioneller Stärke7K-Prinzip, Canvas, Produkttreppe – auch ist („wofür benötigen wir Modelle?“, „was sollen wir mit externer Evidenz?“, „wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“), dramatisch wird es, wenn ein Unternehmen im Wettbewerb an Umsetzungskraft verliert.

Als Umsetzungskraft wird die Fähigkeit bezeichnet, theoretische Pläne und Ideen in tatsächliche, praktische Ergebnisse umzusetzen. Sie befähigt zur Verwirklichung von Vorhaben und dem Erreichen von Zielen. Es ist die Kompetenz, die Macher von Schwätzern unterscheidet.

Umsetzungskraft setzt sich v.a. aus Motivation, Volition, Flexibilität und Selbstbewusstsein zusammen. Im Ergebnis geht es darum, Ziele zu erreichen, Entscheidungen zu treffen und das Unternehmen – nicht nur sich selbst! – voranzubringen.

Ursachen mangelnder Umsetzungskraft sind u.a. mangelnde Risikobereitschaft, Angst, Verantwortung für Fehler, Überwindung und schlicht Inkompetenz.

Unterstützung bei Grundsatzfragen zur Strategie

Oliver Greiner schreibt in seinem Buch TOUCHDOWN! hierzu: „Wann immer Grundsatzfragen zur Strategie aufkamen – Was machen wir, was machen wir nicht? -, bot der Ansatz der Balanced Scorecard keine Hilfe.“ Strategische Lücken lassen sich m.E. mit der BSC zwar ansatzweise identifizieren, aber nicht schließen.
Für konzeptionelle Fragen bzgl. Portfoliogestaltung, relevante Kundensegmente, Vertriebskanäle oder Innovationsschwerpunkte liefert die BSC keine Antworten.

Strategie entsteht durch Grundsatzentscheidungen zum Geschäftsmodell (vgl. obige Ausführungen zu konzeptioneller Stärke). Dabei sind es zwei Fragen, welche den Erfolg bestimmen.

  1. In welchen Bereichen müssen wir anders sein?
  2. In welchen Bereichen müssen wir besser sein?

Aktivitäten besser zu verrichten hat mit Umsetzungskraft zu tun, d.h. typische, von Kunden geforderte Leistungsmerkmale überlegener zu erfüllen als der Wettbewerb.
Aktivitäten anders zu verrichten hat mit konzeptioneller Stärke zu tun, d.h. der Fähigkeit, die richtigen Grundsatzentscheidungen zur Funktionslogik des Unternehmens zu treffen.

Projekterfahrungen zeigen: Vor der Ableitung strategischer oder geschäftspolitischer Ziele ist es wichtig, Klarheit über das Geschäftsmodell und seine Entwicklungsbedarfe zu gewinnen!
Heißt konkret: Bei der regelmäßigen Auseinandersetzung mit den Grundsatzentscheidungen des Geschäftsmodells herrscht Nachholbedarf!

Zielkaskadierung und Zieldokumentation

Hoshin Kanri stellt einen transparenten, messbaren und abgestimmten Strategieplan bereit, der strategische Durchbruchziele (sog. Breakthrough-Ziele) in jährliche Ziele auf die unteren Ebenen übersetzt und dafür sorgt, dass durch entsprechende Verbesserungsmaßnahmen die Unternehmensziele agil erreicht werden.

Die X-Matrix ist ein Instrument, um das strukturierte Herunterbrechen der strategischen Ziele auf verschiedene, untergeordnete Ebenen und die Zuordnung von Verantwortlichkeiten zu unterstützen. In ihr werden die fünf Schritte des Hoshin-Kanri-Planungsprozesses nachvollzogen und dokumentiert: (1) Breakthrough-Ziele – was?, (2) jährliche Hoshin-Ziele – inwieweit?, (3) Verbesserungsprojekte – wie?, (4) Ergebniskennzahlen und Frühindikatoren – wie viel und wann?, (5) Verantwortlichkeiten – wer?

Durch die X-Matrix wird der Catchball-Prozess vertikal (top-down und bottom-up) als auch horizontal (zwischen Bereichen und Abteilungen, die einen Einfluss auf die Erreichung eines Ziels haben) visualisiert. Bei diesem Prozess werden die Ziele zwischen den Parteien in lebhaften Diskussionen verhandelt, indem über Zielvorgaben, Kennzahlen, Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Verteilung und Entwicklung von Ressourcen Konsens geschaffen wird. Bei der Strategieumsetzung mit 4DX geschieht diese Diskussion zwischen Führungskraft und Team im Team-Launch (Schritt 4).
Zudem stellt der Catchball-Prozess ein Feedback zwischen den Ebenen bereit, ob ein jährliches oder mittelfristiges Ziel erreichbar ist und ob ggf. Prioritäten anders gesetzt oder Ressourcen umverteilt werden müssen, um die spezifischen Ziele zu erreichen.

In vielen Unternehmen gibt es keinen effektiven Review-Prozess. Dabei kann das sogenannte Bowling Chart Abhilfe schaffen. Dieses Chart hat seinen Namen von seiner Ähnlichkeit mit einem Blatt, auf dem beim Bowling die Ergebnisse festgehalten werden. Die Form wird verwendet, um Fortschritte bei der Erfüllung von Key-Performance-Indikatoren zu verfolgen. Wenn die Ergebnisse unter dem Ziel sind, wird dies im Block in rot hervorgehoben.

Schulung und Coaching

Bei Hoshin Kanri geht es vor allem darum, intensiv Führungsfähigkeiten und Know-how für signifikante Prozessverbesserungen auf allen Ebenen zu entwickeln, damit die herausfordernden Ziele erreicht werden können. Führungskräfte haben nach der Zielkaskadierung nicht „ihre Arbeit getan“ und die Strategieumsetzung delegiert, sondern agieren als Coach oder Mentor ihrer Mitarbeiter*innen und forcieren die Fähigkeit zu experimentieren und daraus zu lernen.

Unter Shopfloor-Management ist das Führen vor Ort (»Hallenboden«) gemeint und umfasst Prozesse, Regeln, Verhaltensweisen, Methoden und Systeme zur Sicherstellung einer möglichst effizienten Produktion. Das Shopfloor-Management legt den Fokus auf das Geschehen direkt an der Basis, also am Ort der Wertschöpfung.
Führung vor Ort, Visualisierung, Standardisierung und Problemlösung spielen eine wesentliche Rolle.

Der gesamte Hoshin-Kanri-Prozess basiert auf dem PDCA-Zyklus, der auf die Erreichung der Durchbruchziele ausgerichtet ist. Dieser Zyklus beschreibt einen iterativen vierphasigen Problemlösungsprozess, der seine Ursprünge in der Qualitätssicherung hat. PDCA steht hierbei für Planen (Plan), Tun (Do), Überprüfen (Check) und Umsetzen (Act). Dieser Zyklus findet mehrmals jährlich statt, damit die Teams dem Ziel mit jedem Mal einen Schritt naher kommen.
Auch bei der Strategieumsetzung entlang 4DX kommt dieser Zyklus zum Einsatz: P – Schritte 1-3, D – Schritte 4+5, C – Schritt 6, A – neuer Durchlauf Schritt 1.

Viele Unternehmen führen Hoshin Kanri ein, ohne über Führungskräfte zu verfügen, die im PDCA-Zyklus qualifiziert sind, und über Arbeitsgruppen, die effektiv daran arbeiten, Ziele in konkrete Maßnahmen zu übersetzen und diese aktiv voranzutreiben. So verbringen viele Führungskräfte die meiste Zeit mit anderen Tätigkeiten, anstatt sich konsequent um die Entwicklung ihrer Mitarbeiter*innen zu kümmern.

Vertikale und horizontale Anpassung

Hier unterscheidet sich eine in der Strategieumsetzung geübte Organisation von einer noch lernenden: Ziele und die dafür notwendigen Aktivitäten der Veränderung werden über alle Ebenen des Unternehmens hinweg (vertikal) definiert und innerhalb der jeweiligen Ebenen (horizontal) abgestimmt. Letzteres ist notwendig, um gemeinsam und in sich stimmig bestimmte Ziele zu erreichen.

Die Zielabstimmung erfolgt damit mittels des o.g. Catchball-Prozesses nicht nur vertikal, sondern insbesondere auch horizontal. Die festgelegten Ziele münden dann in wiederum einzelne PDCAs, die aus dynamisch geplanten Aktionsplänen bestehen und kurzyklisch bzw. agil während des Jahres umgesetzt, reflektiert und gegebenenfalls angepasst werden.

Passiert diese horizontale Überprüfung zwischen Bereichs- oder Abteilungsleitern nicht, kommt es zu dem, was in der Praxis tagtäglich zigfach zu beobachten ist: Es gibt widersprüchliche Ziele, wo die Zielerreichung des einen Bereichs die eines anderen be- oder verhindert.

Fazit

Ein integrierter Strategieprozess verknüpft etablierte Elemente der Strategiearbeit mit dem Geschäftsmodell als eigenständigem Strategieelement des „Anders-seins“ und setzt klare Ziele für das „Besser-sein„. Zwischen strategischer Analyse und strategischem Aktionsprogramm stehen Leitbild (Vision, Mission, Leitbild, Werte), Geschäftsmodell und Zielsystem.

Was die BSC und Hoshin Kanri gemeinsam haben, ist die grundsätzliche Idee: Das gesamte Unternehmen soll auf die Umsetzung der Strategie ausgerichtet werden.

Beide Methoden haben ihre Stärken und ihre Tücken:

  • Mittels der BSC erfolgt eine Konzentration auf die Formulierung der langfristigen Strategie und strategischer Ziele entlang von vier Perspektiven, die mittels Strategielandkarte visualisiert werden können. Die BSC versucht damit die Erreichung von strategischen Zielen messbar und über die Ableitung von Maßnahmen umsetzbar zu machen.
  • Unklar bleibt, was unter strategischen Zielen verstanden wird und wie die Dokumentation der Ziele erfolgt. Bei der Kaskadierung driftet das Vorgehen häufig in ein MbO-Prozess ab und wird zu komplex.
  • Durch die Anbindung der BSC an 4DX existiert ein Praxisleitfaden, an dem sich Führungskräfte bei der Strategieumsetzung orientieren können und sollten.
  • Die wichtigsten Herausforderungen beim Hoshin-Kanri-Prozess sind die Durchgängigkeit von der langfristigen Vision zur kurzfristigen Maßnahmenumsetzung, die Ganzheitlichkeit des Betrachtungshorizonts sowie die konsequente, disziplinierte Umsetzung.
  • Zwei wesentliche Brüche sind: Zum einen wird die Strategie der Organisation auf oberster Ebene nicht oder nur unzureichend in die Beiträge der einzelnen Organisationsteile übersetzt (Bruch zwischen Vision bzw. Mission und Abteilungszielen), zum anderen werden die Aufgaben im Tagesgeschäft nicht an den im typischen Zielvereinbarungsgespräch festgelegten Jahreszielen gespiegelt (Bruch zwischen Zielen und den täglichen Aufgaben).

Beide Methoden können gemeinsam in einem Unternehmen funktionieren, da der performanceorientierte Ansatz der BSC und der prozessorientierte Ansatz von Hoshin Kanri Synergien erzeugen.

Wenngleich Themen wie Kultur, Führung und Kommunikation bei beiden Methoden in unterschiedlicher Tiefe zur Sprache kommen, so wird m.E. die Bedeutung dieser Themen sowohl bei der BSC als auch bei Hoshin Kanri nicht ausreichend Rechnung getragen.