Der im ersten Teil bereits adressierte Spagat in HR besteht meines Erachtens aus Kostensenkung einerseits und Umsatzwachstum durch Investitionen andererseits.

Auf Kosteneinsparungen in HR bin ich bereits im ersten Teil eingegangen. Möchten Sie die dortige Auflistung noch ergänzen? Schreiben Sie gerne einen kurzen Kommentar am Ende des Beitrages.
In puncto Investitionen in HR stehen für mich drei Themenfelder im Vordergrund: Recruiting, Aus- und Weiterbildung, sowie Wohlbefinden, EX & Engagement.
Meinen Standpunkt zu aktuellen Recruitingstrategien finden Sie im ersten Teil dieses zweiteiligen Beitrages. Hier gibt es bereits zahlreiche Ansätze, die Mut machen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die zwei weiteren Themenfelder.

Aus- und Weiterbildung

Aus- und Weiterbildung und Recruiting können den Unternehmenserfolg vorantreiben, indem sie Erkenntnisse austauschen und Innovationen entwickeln, um interne Talente zu entwickeln und zu finden:

  • Das Recruiting, die gesamte Talentakquise, entwickelt eine Kultur und einen Prozess für interne Einstellungen, wobei interne Talente als reichhaltiger und vielversprechender Einstellungspool Priorität haben.
  • Die Aus- und Weiterbildung stellt Wege und Ressourcen für den Aufbau von Fähigkeiten zur Verfügung und schafft so eine Pipeline resp. einen Marktplatz interner Talente.

Dieses Zusammenwirken von Recruiting und Aus- und Weiterbildung fördert

interne Mobilität:

  • Das Aufzeigen von Karrierewegen auf der Grundlage von Unternehmenszielen ist sowohl mitarbeiter- als auch geschäftsorientiert.
  • Interne Mobilität fördert die Mitarbeiterbindung.
  • Durch die Erweiterung der Netzwerke und Fähigkeiten der Mitarbeitenden (upskilling) führt interne Mobilität auch zu mehr Flexibilität im Unternehmen.
  • Für das Gelingen ist eine agile Lernkultur notwendig. Mitarbeitende organisieren ihre Weiterentwicklung selbst, bedarfsgerecht und vielfach on-the-job. Das Unternehmen schafft dafür ein Umfeld, das diese Lernweise fördert.

Lernen in den Arbeitsablauf integrieren

Effektive Lern- und Entwicklungsprogramme haben den „Spagat“ im Blick und zeichnen sich aktueller Forschung zufolge durch fünf Merkmale aus:

  1. Kontextbasiertes Lernen. Lernen, das in die typischen Arbeitsabläufe Mitarbeitender eingebettet ist, fördert die Beibehaltung und Anwendung erlernten Wissens.
  2. Motivierende Anstöße.  Kurze Erinnerungen, die per E-Mail oder Push-Benachrichtigung verschickt werden, tragen dazu bei, dass die gelernten Ideen und Konzepte im Gedächtnis der Lernenden verankert bleiben und die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass sie tatsächlich genutzt werden.
  3. Zeit für Reflexion. Lernende sollten dazu ermutigt werden, darüber nachzudenken, wie das Gelernte in den Arbeitsalltag integriert werden kann.
  4. Mikro-Lernerfahrungen. Kurze Online-Kurse und 15- bis 30-minütige Kurzlehrgänge sind häufig effektiver als mehrtägige Workshops. Ein bis zwei Impulse können schneller und besser in Arbeitsabläufe integriert werden als viele Ideen.
  5. Fortschritt evaluieren. Hierfür sind Prä- und Post-Assessments notwendig. Um die Gesamteffektivität eines Lernprogramms zu beurteilen, ist es hilfreich, die individuellen Ergebnisse auf Team- oder Organisationsebene zusammenzufassen. Hierbei geht es vor allem darum, wie sich das Engagement der Mitarbeitenden oder ihre Schlüsselkompetenzen als Folge der Schulung verändert haben.

Laut jüngstem Global Talent Trends Report können Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden dabei helfen, Fähigkeiten am Arbeitsplatz zu erlernen, mit einer um fast 7 % höheren Bindungsrate rechnen.

Evaluierung

Zur Evaluierung der Auswirkungen der Aus- und Weiterbildung schlägt Deloitte ein Vorgehen entlang von sechs Kategorien vor, die formelles und informelles Lernen abdecken:

  1. Ausrichtung: Wie gut passen Lernangebote zu den Geschäftsprioritäten und den festgestellten Qualifikationsdefiziten der Organisation?
  2. Auswirkung: weist auf eine Änderung der gezielten Bedürfnisse hin, wie z. B. den Aufbau kritischer Fähigkeiten.
  3. Wirksamkeit: Welche Kurse sind am effektivsten und welche am wenigsten effektiv, um neue Kenntnisse oder Fertigkeiten zu vermitteln und diese Elemente auf die Arbeitsleistung zu übertragen?
  4. Engagement: Muster oder Trends in der Art und Weise, wie Lernende mit formellen und informellen Lernangeboten interagieren, einschließlich dessen, was Lernende teilen, mögen oder wonach sie suchen.
  5. Betriebsabläufe: Zeigt die Liefergeschwindigkeit und Effizienz der lernenden Organisation an.
  6. Verteilung: Erkenntnisse darüber, welche Lernenden Sie in der Organisation erreichen und wo es Verzögerungen gibt.

Konkrete Modelle zur Evaluierung sind das Kirkpatrick Evaluation Model und das Predictive Learning Impact Model.
Eine ganzheitliche Sicht auf Lernmaßnahmen auf Basis dieser Modelle hilft dabei, Erkenntnisse zu gewinnen, um gezielte Talent- und Lerninitiativen voranzutreiben, und zeigt die Ausrichtung und Auswirkung des Lernens auf Geschäftsziele auf, wodurch die Partnerschaft mit dem Unternehmen gestärkt wird.

Wohlbefinden, EX & Engagement

Die Erforschung der Auswirkungen des Wohlbefindens und des Engagements Mitarbeitender auf den skizzierten „Spagat“ zwischen Kostensenkung einerseits und Umsatzwachstum durch Investitionen andererseits ist der wohl anspruchsvollste Part. Ich halte ihn neben Aus- und Weiterbildung gleichwohl für sehr wichtig; auch mit Blick auf das ESG-Reporting. Hierüber werde ich in einigen Wochen einen separaten Beitrag publizieren.

Wohlbefinden am Arbeitsplatz

Unternehmen sammeln zwar eine Fülle von Selbstauskünften zu Aspekten des Wohlbefindens ihrer Mitarbeitenden, verknüpfen diese Daten jedoch nicht mit empirischen Betriebsdaten und erstellen so eine ganzheitliche Echtzeit-Messung des Wohlbefindens im gesamten Unternehmen. Neben der Messung der Stimmung in der Belegschaft durch Pulsumfragen und Interviews können Unternehmen auch beobachtbare Indikatoren messen, die das Wohlbefinden empirisch bewerten; z.B. Anzahl an Überstunden, Teams-Sitzungen und Volumen an E-Mails an Wochenenden und abends.

Wichtige Arbeitsdeterminanten, die sich auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer:innen auswirken, sind:

  • das Führungsverhalten auf allen Ebenen,
  • die Gestaltung der Organisation und der Arbeitsplätze, sowie
  • die Arbeitsweise auf allen Organisationsebenen.

Bhatt, Bordeaux und Fisher publizierten im März dieses Jahres ein Reifegradmodell. In der Ausbaustufe „Transformational“ ist die „Wellbeing-Strategie“ in das gesamte Talentmanagement und den operativen Betrieb integriert, wobei die Führungskräfte dafür verantwortlich sind, strukturelle Änderungen vorzunehmen, um das Wohlbefinden ihres Teams zu verbessern. Neben KPIs wie Arbeitszufriedenheit, Motivation etc. spielen Kennzahlen zu Arbeitsbedingungen, Gesundheitsrisiken und Gesundheitskosten eine zentrale Rolle.

EX & Engagement

Begeistert hat mich eine umfassende WTW-Studie, in der die finanzielle Unternehmensleistung und die EX-Daten analysiert wurden. Im Ergebnis wurden vier EX-Typologien – value drive, value risk, value potential, value drag – und deren Auswirkungen auf den Unternehmenswert ermittelt. An dieser Stelle nur soviel:

  • 37 % der Unternehmen befinden sich im „Value drive-Status“ und die Erfahrung ihrer Mitarbeitenden steigert den Geschäftswert. Im Vergleich zu ihren Kolleg:innen sind Mitarbeitende
    • engagierter,
    • möchten eher im Unternehmen bleiben,
    • sind eher der Meinung, dass ihre Stimme wichtig ist,
    • fühlen sich in der Lage, ihre Beiträge zu leisten, und
    • fühlen sich für ihren Beitrag zur Umsetzung der Strategie des Unternehmens stärker anerkannt.
  • „Value-drive-Unternehmen“ sind besser darin, Mitarbeiter zu inspirieren und Vertrauen in die Führung aufzubauen. Daher sind sie gut aufgestellt, um in ihrem Markt zu wachsen und den Mitarbeitenden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zu bieten. Sie übertreffen alle anderen Typologien, erzielen die höchsten Gewinne und sind das einzige Segment mit wachsenden Umsätzen und Margen.

Zum Thema Engagement habe ich bereits mehrere Beiträge geschrieben; der Schwerpunkt lag in den Jahren 2018 und 2019 [mehr].

Eine wichtige Kennzahl ist der eNPS-Score. Andrew Marritt hat hierzu einen interessanten Artikel veröffentlicht. Seinen Erkenntnissen zufolge lohnt es sich, einen Blick auf die Textantworten von Mitarbeitern zu werfen, bei denen sich in letzter Zeit der eNPS-Score oder andere gemessene Schlüsselkennzahlen verändert haben.

Wenn die Mitarbeiter über ein sinkendes Engagement berichten, geht es oft um das Gefühl, dazuzugehören und eine langfristige Zukunft im Unternehmen zu sehen. Das Thema Kommunikation, das neben dem Thema Führung das wichtigste Thema ist, wenn es darum geht, die Veränderung des eNPS voranzutreiben, ist oft mit mangelndem Vertrauen und Unsicherheit verbunden. Daneben sticht vor allem die Personalausstattung hervor. Diese hängt  eng mit der Arbeitsbelastung und der Mitarbeiterbindung zusammen, aber auch mit Themen wie psychische Gesundheit und Mobbing.

Fazit

Aus- und Weiterbildung ist der Schlüssel zur Widerstandsfähigkeit als Unternehmen. Wenn Sie in die Neugier, das Lernen und die Agilität Ihrer Mitarbeitenden investieren, können Sie sich von Rückschlägen erholen, sich an Veränderungen anpassen und sind besser auf alles vorbereitet, was als nächstes kommt.

Lern- und Entwicklungsprogramme geben Mitarbeitenden Werkzeuge an die Hand, die sie benötigen, um ihre Arbeit erfolgreich auszuführen und ihre Karriere voranzutreiben. Arbeitgeber sollten in Programme investieren, die den ROI betonen und Mitarbeitende ermutigen, nicht abstrakt zu lernen, sondern direkt in ihren Arbeitsabläufen.

EX prägt den Geschäftswert und ist ein Indikator für die Geschäftsleistung, heißt: die einzige Möglichkeit, den Geschäftswert zu steigern, besteht darin, Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten, die engagierter sind und überdurchschnittliche Absichten haben, im Unternehmen zu bleiben.

Nur Organisationen, die wertorientiert sind, werden wachsen. Unternehmen, die sich in einem Zustand der Wertminderung befinden, werden schrumpfen und geringe bis gar keine Renditen erwirtschaften.