Angesichts des wirtschaftlichen Drucks, der Versorgungsengpässe und knapper Talente planen aktuell laut Gartner 47 Prozent der HR-Führungskräfte, ihre HR-Budgets zu erhöhen.

Etliche Vorstände fragen in einer solchen Situation gerne zurück: „What´s in it for me?“ Mit anderen Worten: Was bringen diese Investitionen in HR dem Unternehmen und seiner Belegschaft? Mit Fragen wie diesen treffen Entscheider nach wie vor die Achillesverse von HR. Dort spricht man meist noch lieber allgemein über New Work, Recruiting und Personalentwicklung statt konkret über Wertbeitrag, Ursache-Wirkungs-Beziehungen und evidenzbasiertes Handeln.

Glücklicherweise zählen beide „Pole“ zu meinen Gesprächspartnern. Somit verstehe ich beide Standpunkte und kann mitunter „Brücken schlagen“.

Im ersten Teil meines zweiteiligen Beitrages beschäftige ich mich deshalb mit folgenden Fragen:

  • Wo liegen aktuell die Präferenzen von Geschäftsleitungen?
  • Welcher Spagat leitet sich für HR daraus ab?

Wo liegen aktuell die Präferenzen von Geschäftsleitungen?

Geschäftsführer sind nicht zu beneiden:

  • Sie befassen sich mit veränderten Kundenpräferenzen, regulatorischen Veränderungen, Qualifikationsdefiziten und technologischen Innovationen.
  • Hinzu kommen der Übergang zu neuen Energiequellen und die Überprüfung resp. Anpassung von Lieferketten.

Mit Blick auf Frage 2, HR, möchte ich folgende Präferenzen hervorheben:

  • Geschäftsführer ergreifen Maßnahmen, um das Umsatzwachstum anzukurbeln und – häufig parallel – die Kosten zu senken.
  • Laut einer aktuellen PwC-Befragung verhängen nur 19 Prozent einen Einstellungsstopp und 16 Prozent reduzieren die Zahl ihrer Mitarbeiter.
  • Selbst bei sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen wird es darauf ankommen, Mitarbeitende zufrieden und engagiert zu halten und sie an das Unternehmen zu binden.

Welcher Spagat leitet sich für HR daraus ab?

Bestimmt ist Ihnen der Spagat bereits aufgefallen bzw. durch eigenes Erleben bekannt: Kostensenkung einerseits und Umsatzwachstum durch Investitionen andererseits.

Hierbei sind folgende Rahmenbedingungen zu berücksichtigen: abnehmendes Wohlbefinden in der Belegschaft, sich verändernde Erwartungen Mitarbeitender, starker Wettbewerb um Talente, Verzögerung der digitalen Transformation und mitunter überforderte Führungskräfte in hybriden Arbeitsmodellen.

Langzeitstudien von Gartner konnten belegen, dass eine Kombination von Kosteneinsparungen und Investitionen zu einem höheren durchschnittlichen Umsatzwachstum führt als reine Kosteneinsparungen. Welche konkreten Maßnahmen kommen denn für eine Kombination in Frage?

Kosteneinsparungen in HR

Zu den verbreitetsten Kosteneinsparungen in HR zählen:

  • Verschlankung der Prozesse durch Ausweitung des Einsatzes von HR-Technologie („rethink“),
  • Gezielte Nutzung neu entstehender HR-Technologien, wie z.B. ChatGPT („rethink“),
  • Umgestaltung des HR-Betriebsmodells bzw. Durchführung einer HR-Transformation („rethink“),
  • Re-allokation von Kapazitäten für hoch priorisierte HR-Dienstleistungen („replace“),
  • Punktuelle Übertragung von mehr Aufgaben an externe Anbieter durch Offshoring bzw. Outsourcing („replace“),
  • Reduzierung von HR-Dienstleistungen an die Geschäftsfelder des Unternehmens („reduce“).

Hierbei können etliche HR Benchmarks Orientierung geben. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter darauf ein. Haben Sie Fragen? Formulieren Sie diese gerne in einem kurzen Kommentar am Ende des Beitrages.

Investitionen in HR

Deutlich mehr CHROs investieren gegenwärtig in das Thema People Analytics als noch vor ca. 12 Monaten, um Investitionen zu rechtfertigen und den Nutzen zu evaluieren. Drei Themenfelder stehen dabei im Vordergrund: Recruiting, Aus- und Weiterbildung, sowie Wohlbefinden, EX & Engagement. Interessanterweise sind dies auch die wichtigsten Aktionsfelder, die aus der strategischen Personalplanung abgeleitet werden.

In diesem Beitrag gehe ich auf aktuelle Recruitingstrategien ein; die weiteren Themenfelder skizziere ich im zweiten Teil meines zweiteiligen Beitrages:

  1. Evidenzbasiertes Recruiting (EBR): EBR stützt sich auf datenbasierte Erkenntnisse und daraus abgeleitete Kriterien, mit deren Hilfe der Erfolg einer Einstellung (quality of hire) prognostiziert werden kann. Es gibt zwar keine Patentrezepte; jedoch ist EBR wesentlich effektiver als herkömmliches Bauchgefühl. Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen den Beitrag von Kevin Wheeler.
  2. Valider Selektionsprozess: Zur Evidenz gehört auch, dass Arbeitsproben, Tests der kognitiven Fähigkeiten und strukturierte Interviews zu den aussagekräftigsten Einstellungsfaktoren gehören. Faktoren wie das Alter oder die Ausbildungsjahre gehören zu den schlechtesten Prädiktoren für die Arbeitsleistung.
  3. Kompetenzbasierter Ansatz: Wesentliche Aussagen zu diesem Ansatz finden sich im Beitrag „Flexibilität wirkt auf Kompetenzstrategie“. In dem Maße, in dem Kompetenzen und Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen, nimmt die reine Ausbildung als Maßstab für den Erfolg ab! Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen den HBR-Artikel von Colleen Ammerman, Boris Groysberg und Ginni Rometty zum “skills-first” approach.
  4. Einbindung von KI: Die Pros und Cons von KI im Recruiting wurden bereits dargelegt. Wenn man diese berücksichtigt, dann kann KI wesentlich zur Effektivität des Recruitingprozesses beitragen. Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen den Beitrag von Elisabeth K. Kelan.
  5. Rolle der Employer Value Proposition (EVP): Zahlreiche CHROs haben EVP, Recruiting und Onboarding bereits zu einem End-to-end-Prozess verzahnt und nach Personas differenziert. Eine digital ausgereifte Marke, die auf Jobportalen gut sichtbar und leicht verständlich ist, halte ich für unerlässlich, um Talente zu gewinnen.

Fazit

Aus den im Beitrag skizzierten Präferenzen leiten zahlreiche CEOs für sich ab, mehr Zeit darauf zu verwenden, das Unternehmen und seine Strategie weiterzuentwickeln und klare Ansagen an HR zu machen, um zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden.

Ein hoher Anteil der in sog. Kompetenzzentren zur Verfügung stehenden Ressourcen konzentrieren sich deshalb aktuell auf Automatisierung, Fortbildung und den Einsatz fortschrittlicher Technologien. Dieser Anteil verteilt sich zu etwa 60 Prozent darauf, das Unternehmen für die Zukunft neu zu gestalten, und zu ca. 40 Prozent auf die Erhaltung des aktuellen Geschäfts.

In den nächsten Jahren sind somit unternehmensweit tiefgreifende Veränderungen zu erwarten. Diese sind nur möglich, wenn sich Mitarbeitende auf allen Ebenen anpassen und weiterentwickeln. Darüber hinaus wird die Fähigkeit zur Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg immer wichtiger.

Zur Vertiefung der skizzierten Recruitingstrategien empfehle ich Ihnen die Beiträge von Brett Farmiloe und Barry Prost.

Gelingt HR der notwendige Spagat? Bezogen auf Recruiting gibt es bereits zahlreiche Ansätze, die Mut machen. Im Kern gelingt dieser Spagat durch ein nach Personas differenziertes, jedoch in sich weitgehend standardisiertes und hoch automatisiertes Vorgehen. Häufig sind Selektionsprozesse auf Basis gewonnener Evidenz nicht mehr wiederzuerkennen – inhaltlich und technisch.