Die strategische Personalplanung fand noch bis zum Beginn der Pandemie in einem weitgehend stabilitätsorientierten Umfeld statt. Dies hat sich bereits geändert und wird sich grundlegend ändern.
Um den Erfolg eines Unternehmens insbesondere in Zeiten des Umbruchs zu sichern, benötigen Personalabteilungen ein möglichst genaues und aktuelles Verständnis der Fähigkeiten und Qualifikationsdefizite ihrer Mitarbeitenden. Die strategische Personalplanung und die daran ausgerichteten, operativen Aktionspläne zeigen vielerorts Wirkung:
- Das Engagement Mitarbeitender konnte um bis zu 50 % gesteigert,
- die Kosten für Schulungs- und Entwicklungsprogramme um bis zu 50 % gesenkt, und
- die Produktivität um bis zu 40 % gesteigert werden.
Entlang mehrerer Bausteine werden i.d.R. drei grundlegende Schritte bearbeitet:
- Entwicklung einer detaillierten Kompetenztaxonomie; Erkenntnisquellen sind vorhandene Taxonomien, Qualifikationsanalysen und Expertenwissen.
- Identifikation von Qualifikationslücken (s. Folie 2 in Präsentation); hierbei können Skills-Gauging-Workshops, Erhebungen und Skills Scraping zum Einsatz kommen.
- Erarbeitung operativer Aktionspläne zur Schließung der wichtigsten Lücken; im Wesentlichen hinsichtlich Recruiting, Aus- und Weiterbildung, Mitarbeiterbindung, Performance Management und Einbindung externer Mitarbeitenden.
Das alles ist notwendig, aber nicht hinreichend! Denn: Unternehmen sind nur in dem Maße flexibel, wie Mitarbeitende bereit sind, jeden Bedarf oder jedes zukünftige Szenario zu bewältigen. Folgende Fragen stellen sich aktuell:
- Was bedeutet Flexibilität für die Organisationsgestaltung?
- Wie baut man eine kompetenzbasierte Organisation auf?
- Welche Rolle spielen dabei Belegschafts-Ökosysteme?
Steigen wir ein!
Was bedeutet Flexibilität für die Organisationsgestaltung?
Arbeitsplätze resp. Stellen sind vorherrschende Strukturen für die Organisation von Arbeit und die Entscheidungsfindung in Bezug auf die Belegschaft. Eine von Deloitte durchgeführte Umfrage ergab folgende Ergebnisse:
- 81 % der Befragten sind der Ansicht, dass die Arbeit zunehmend über Funktionsgrenzen hinweg erledigt wird,
- 63 % der Führungskräfte geben an, dass die Arbeit in ihren Unternehmen derzeit in Teams oder Projekten außerhalb der eigentlichen Stellenbeschreibungen der Mitarbeiter erledigt wird, und
- 36 % geben an, dass die Arbeit zunehmend von Mitarbeitern außerhalb des Unternehmens erledigt wird, die überhaupt keine definierten Stellen im Unternehmen haben.
- Lediglich 42 % der Befragten sind der Meinung, dass die Stellenbeschreibungen ihres Unternehmens die zu erledigenden Aufgaben „sehr gut“ beschreiben.
- Mit Blick auf die Zukunft sind nur 19 % der Meinung, dass herkömmliche Stellen der beste Weg sind, um die Arbeit zur Erreichung der Unternehmensziele zu organisieren.
Unternehmen sollten demzufolge agilere Wege der Arbeitsorganisation schaffen, um die Geschwindigkeit zu erhöhen und sich rasch an Marktveränderungen anzupassen. Sie wandeln sich zu sog. kompetenzbasierten Organisationen (KBO), um strategisch notwendige Fähigkeiten fließend zu entwickeln (s. Folien 3 und 4 in Präsentation).
Eine KBO bietet ein integriertes System, das sicherstellt, dass die Belegschaft ausgerichtet, fähig, effektiv, anpassungsfähig, effizient und inspiriert ist. Dies gelingt, indem sie von der Verwaltung von Arbeitsplätzen und der Überwachung der dort geleisteten Arbeit zu einer dynamischen Orchestrierung und Kultivierung von sich ständig weiterentwickelnden Fähigkeiten und Arbeiten übergeht.
Wie baut man eine kompetenzbasierte Organisation auf?
Josh stellt in seinem im Februar publizierten Beitrag „Aufbau einer Unternehmenskompetenzstrategie“ sieben gelernte Lektionen vor, die er bei der Unterstützung von Unternehmen bei der Entwicklung einer ganzheitlichen Kompetenzstrategie gelernt hat. Er betont, dass der Aufbau von Kompetenzen keine neue Idee ist: „Was neu ist, sind die Technologie, die Anwendungen von KI und die Idee, Kompetenzen auf integrierte Weise für die Rekrutierung, die Entwicklung, die interne Mobilität und die Vergütung zu nutzen.“
Eine der Lektionen ist, eine Kompetenztaxonomie für das gesamte Unternehmen nicht auf einmal zu erstellen. Vielmehr ist es zielführend, sich auf einen von mehreren möglichen Anwendungsfällen zu konzentrieren (s. Folie 5 in Präsentation).
ING gehört neben Unilever, Novartis und einigen anderen zu den Unternehmen, die aktuelle Fähigkeiten und Kompetenzen datenseitig fundiert aufbereiten und bei Entscheidungsfindungen einbinden. Auf dem Weg zu einer KBO hat ING sechs Schlüsselkompetenzen definiert – darunter Datenkompetenz und Cybersicherheit -, auf die sich das Unternehmen in den nächsten Jahren konzentrieren wird.
HR Business Partner konzipieren auf Grundlage gewonnener Erkenntnisse operative Aktionspläne und evaluieren die Effektivität und die Effizienz initiierter Maßnahmen.
Neben einer deutlich gesteigerten Transparenz zählen mehr datengesteuerte Gespräche und eine standardisierte Entscheidungsfindung zu den ersten Auswirkungen eines solchen Vorgehens.
Welche Rolle spielen dabei Belegschafts-Ökosysteme?
Ökosysteme greifen vor allem dort, wo Unternehmen schnell und flexibel agieren müssen. Eine interne Rekrutierung ist in einer solchen Situation entweder zu teuer, oder kurzfristig nicht machbar. Weiterqualifizierungen bzw. Umschulungen dauern einige Zeit bzw. zu lange.
Tech-Talente sind hierfür ein gutes Beispiel. Erhebliche Qualifikationsdefizite bestehen in den Unternehmen vor allem in sieben Bereichen: DevOps, Plattformen und Produkte, Automatisierung, Kundenerlebnis, Cybersicherheit und Datenschutz, Datenmanagement, sowie Cloud.
In Deutschland beispielsweise werden bis 2026 780.000 zusätzliche Tech-Spezialisten benötigt, um den Bedarf der Wirtschaft zu decken. Dies gelingt meiner Meinung nach nur bei einem angemessenen Gleichgewicht zwischen internem Kompetenzaufbau, externer Einstellung und Outsourcing bzw. Offshoring.
Drei Aufgabenbereiche sind wichtig:
Arbeitskräfte
Entwickeln Sie ein klares Verständnis Ihrer Talentlücken, einen praktischen Plan, um diese zu schließen, und einen Recruitingansatz, der sich auf die Bewerber bzw. Personas konzentriert. Top-Talente führen Vorstellungsgespräche mit Ihnen, nicht andersherum. Bilden Sie Belegschaftssegmente und binden Sie das Workforce Priority Grid mit ein (3Bs; s. Folien 6-8 in Präsentation)!
Arbeitsmodell
Bilden Sie kleine Expertenteams mit einem klaren Auftrag, und lassen Sie sie diesen ausführen – möglichst losgelöst von Hierarchien und administrativem Ballast.
Arbeitsplatz
Konzentrieren Sie sich auf die Zufriedenheit der Tech-Talente; Produktivität und Leistung werden folgen. Hören Sie damit auf, gute Mitarbeitende zu schlechten Führungskräften zu „entwickeln“. Schaffen Sie ein Arbeitsumfeld, das Talente durch Vielfalt und eine unterstützende Kultur fördert.
Erfolgreiche Führungskräfte erkennen die Komplexität dieser Ökosysteme und passen die im Beitrag skizzierten Managementpraktiken an, um diese neuen Systeme zu unterstützen, da Unternehmen zunehmend auf interne und externe Mitarbeitende angewiesen sind – übrigens nicht nur im Tech-Umfeld. Man bezeichnet dies als „Orchestrierung von Belegschafts-Ökosystemen„.
Die aktuelle MIT-Studie „Future of the Workforce“, die in Zusammenarbeit mit Deloitte erstellt wurde, zeigt, dass eine solche Orchestrierung ein vielschichtiges Unterfangen ist, welche die Integration vieler Unternehmensfunktionen erfordert: obere Führungskräfte, Leiter:innen der Geschäftseinheiten, Einkauf, Finanzen, Recht, IT und HR.
Unternehmen, die dabei erfolgreich agieren, zeichnen sich durch fünf Merkmale aus:
- Sie stimmen ihre Personalplanung und HR-Strategie eng mit ihrer Geschäftsstrategie ab.
- Sie stellen die benötigten internen und externen Talente ein und schaffen ein hohes Engagement.
- Sie koordinieren das funktionsübergreifende Management intern und extern Mitarbeitender eng.
- Sie unterstützen Führungskräfte, die externe Mitarbeiter einstellen wollen.
- Führungskräfte wissen, wie man die Arbeit auf interne und externe Mitarbeitende verteilt.
Insbesondere die letzten beiden Punkte möchte ich hervorheben:
- Wir sehen, dass sich Führungskräfte an eine sich verändernde Belegschaft anpassen, in der sie mehr Beiträge leisten, aber weniger Kontrolle haben.
- Führungskräfte sind häufig mit kulturellen Fragen befasst: Wie weit sollten sie gehen, um externe Mitarbeitende in die bestehende Unternehmenskultur einzubeziehen? Inwieweit gelten die Grundsätze und Praktiken der Vielfalt, Gleichberechtigung und Einbindung für externe Mitarbeitende?
Fazit
Die Betonung von Kompetenzdaten anstatt von Arbeitsplätzen und Stellen bewirkt, dass traditionelle Silos in der Personalabteilung zwischen Personalplanung, Personalentwicklung und interner Mobilität aufgebrochen werden. Hierdurch wird letztendlich die Art und Weise, wie Mitarbeitende rekrutiert, entwickelt und im Unternehmen gehalten werden, neu gestaltet.
Fast 90 % der Führungskräfte sind der Meinung, dass Kompetenzen für die Art und Weise, wie Unternehmen Arbeit definieren, Talente einsetzen, Karrieren managen und Mitarbeiter wertschätzen, immer wichtiger werden. Allerdings wenden nur bis zu 30 % kompetenzbasierte Ansätze in erheblichem Umfang an.
74 % der Führungskräfte sind aktuellen Studien zufolge der Überzeugung, dass ein effektives Management externer Mitarbeitender – Freiberufler, Gigworker, professionelle Dienstleistungsunternehmen, etc. – für ihren Erfolg entscheidend ist. Aber nur 58 % sind Stand heute der Ansicht, dass ihre Unternehmen über einen integrierten Ansatz für das Management interner und externer Mitarbeitender verfügen.
Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
vielen Dank für Ihren Beitrag, der die aktuell allenthalben deutlich sichtbaren Herausforderungen in Sachen „Kompetenzlücken“ sehr gut und das Wesentliche in den Vordergrund rückend zusammenfasst; … allerdings nicht nur die Herausforderungen, sondern auch (mögliche) Lösungsansätze! Erlauben Sie mir bitte, Ihre Ausführungen durch eigene Beobachtungen zu bestätigen und zu ergänzen.
Besonders gut gefällt mir Ihre Aufforderung, damit aufzuhören, aus guten Mitarbeitenden schlechte Führungskräfte zu entwickeln. Natürlich ist es hilfreich, wenn Führungskräfte auch verstehen, worum es bei ihrem Geschäft geht, allerdings ist eben ihre Rolle – mehr denn je -, zu führen! Führen heißt nun allerdings nicht, zu sagen, wo es lang geht, sondern den Rahmen dafür zu schaffen, dass die zu leistenden Aufgaben von Mitarbeitern aus funktionsübergreifenden Teams mit hohem Engagement verrichtet werden – ganz im Sinne einer konsequenten Verfolgung der Team-, Abteilungs- und Unternehmensziele.
Die dafür richtigen Kompetenzen „an Bord“ zu haben, war zwar schon immer wichtig, allerdings diese zu gewinnen wird – da sind wir uns einig – immer schwieriger. Mindestens ebenso wichtig ist es aus meiner Sicht, die vorhandenen Mitarbeiter zu halten und den jeweiligen Aufgaben (und nicht Stellen!) folgend zu entwickeln.
Das über die funktionsübergreifende Erarbeitung von Lösungen altbekannte „Job Enrichment“ kann hier einerseits Hebel sein, um über die Zufriedenheit der Mitarbeiter eine Bindung ans Unternehmen zu fördern, andererseits kann ein systematischer Einsatz funktions- / abteilungsübergreifender und heterogen zusammengesetzter Teams tatsächlich auch dazu führen, dass „Kompetenz-Gaps“ intern – zumindest zu weiten Teilen – gefüllt werden können.
Dies setzt allerdings – und auch da stimme ich Ihnen zu 100% zu – voraus, dass die organisatorischen Voraussetzungen vorliegen.
Hinderlich sind hier leider allzu oft starre Eingruppierungsregelungen, sog. „Stellenprofile„, sowie administrative Hürden, die die erforderliche Flexibilität beim Personaleinsatz behindern, wenn nicht sogar verhindern. Wahrscheinlich häufig noch hinderlicher ist allerdings – so meine Beobachtung – die „Zurückhaltung“ von Führungskräften, ihre Mitarbeiter in „abteilungsfremde“ Projekte zu entsenden und zu riskieren, dass sich „gute Leute“ zwar weiter- aber doch aus der eigenen Abteilung weg-entwickeln.
Mitarbeitern sollte in gewissem Maße die Freiheit – und Möglichkeit! – gegeben werden, sich in solche übergreifenden Teams selbst einzufinden = quasi interne Bewerbung auf interessante Aufgaben und eben nicht langfristig angelegte Stellen! Dies zu ermöglichen, sähe ich als wichtige Aufgabe von HR, andererseits allerdings auch als zentrale Aufgabe der Führungskräfte; dass dies allerdings ohne ein echtes Umdenken der Führungskräfte nicht gelingen kann, ist allerdings auch klar.
Meiner Meinung nach, sollte anstelle einer (scheingenauen und häufig zeitaufwendigen) Kompetenzbedarfsanalyse und dem Versuch, den Kompetenzbestand damit 1:1 abzugleichen, nicht allzu viel Aufwand und Zeit geopfert werden, sondern durchaus zunächst auch versucht werden, mit den vorhandenen Mitarbeitern und Ressourcen tragfähige Lösungen zu entwickeln (agiles Setting). Dies auch vor dem Hintergrund, dass die heute ermittelten Kompetenzbedarfe morgen schon wieder ganz anders aussehen können.
Zur richtigen „Orchestrierung des Belegschafts-Ökosystems“ ist es aus meiner Sicht sehr sinnvoll, sich punktuell, aufgabenbezogen und auch vorübergehend Expertise von außen zu holen. Die sog. „Experten“ und „Exoten“ zu finden, für das Unternehmen zu begeistern und dann auch langfristig zu binden, wird nur schwer gelingen und möglicherweise dauerhaft auch nicht sinnvoll sein. Vielmehr bietet ein ausgewogenes Mix aus eigenen Mitarbeitern, Mitarbeitern aus anderen Bereichen sowie die „Ergänzung“ durch externe Experten die große Chance, aus einer starren Organisation ein lernendes und von außen inspiriertes System werden zu lassen.
Sehr geehrter Herr Reissig,
herzlichen Dank für Ihre interessanten Ergänzungen und Hinweise mit Blick auf abteilungsübergreifende und heterogen zusammengesetzte Teams.
Neben den organisatorischen Voraussetzungen, die Sie nennen, ist meines Erachtens die Kulturagenda von zentraler Bedeutung.
Unternehmen, die eine menschenzentrierte Unternehmenskultur aufbauen, haben auch in schwierigeren Zeiten eine reelle Chance, Mitarbeitende anzuziehen und im Unternehmen zu halten.
Übrigens: Untersuchungen von Accenture haben ergeben, dass Unternehmen durch die Nutzung der Wachstumskombination aus Daten, Technologie und Mitarbeitern einen Produktivitätszuwachs von bis zu 11 Prozent erzielen können, wobei der Anteil der Mitarbeiter allein 7 Prozent ausmacht! Die Speerspitze der Unternehmen, in denen dies der Fall ist, ist eine neue Art von CHRO – der „High-Res CHRO“ -, der seinen Kollegen in der Führungsetage bei der Verknüpfung von Daten, Technologie und Mitarbeitern und der Förderung der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit den Rücken stärkt.
Freundliche Grüße, Ihr Volker Mayer