Anwendungsfelder generativer Künstlicher Intelligenz, kurz: GenKI, werden häufig aus einer technischen Perspektive beleuchtet. Mit Blick auf HR werden gerne Automatisierung, Recruiting und Auswertung von Mitarbeiterdaten genannt. Ist das alles? Dieser Beitrag wählt eine andere Sichtweise.

Generative KI ist eine Form von Künstlicher Intelligenz, die auf Basis von Vorgaben und vorhandenen Informationen neue Inhalte generiert. Es kommen KI-Verfahren und -Technologien wie trainierte neuronale Netzwerke, maschinelles Lernen (Deep Learning) und KI-Algorithmen zum Einsatz, um nach Anweisungen Texte, Bilder, Audio- und Videoinhalte, Programmcode, 3D-Modelle und anderes zu erzeugen.
Bekannte Beispiele für generative KI sind große Sprachmodelle (Large Language Models) für das Erzeugen von Text wie GPT-3 oder GPT-4 und der darauf aufsetzende Chatbot ChatGPT oder Bildgeneratoren wie Stable Diffusion, Midjourney und DALL-E.

In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit dem Thema GenKI aus Sicht der HR-Strategie.

GenKI – auch in HR

Die jüngste jährliche McKinsey Global Survey zum aktuellen Stand der KI bestätigt das explosionsartige Wachstum generativer KI-Tools. Interessante Erkenntnisse für Geschäfts- und HR-Experten gleichermaßen sind:

  • KI-High-Performer geben mit mehr als dreimal höherer Wahrscheinlichkeit als andere an, dass ihre Organisationen in den nächsten drei Jahren aufgrund der Einführung von KI mehr als 30 Prozent ihrer Belegschaft umschulen werden.
  • High-Performer im Thema GenKI sehen Kostensenkung weniger wahrscheinlich als ihr oberstes Ziel für generative KI-Bemühungen an.
  • KI-High-Performer nennen am häufigsten Modelle und Tools als ihre größte Herausforderung. Im Vergleich dazu nennen andere Befragte Strategieprobleme, etwa die Festlegung einer klar definierten KI-Vision, die mit dem Geschäftswert verknüpft ist, oder die Suche nach ausreichenden Ressourcen.

Ein hervorragender BCG-Beitrag vom August dieses Jahres bringt den enormen Einfluss der generativen KI auf die HR-Funktion auf den Punkt: Generative KI hat das geschafft, was kein anderer Technologietrend geschafft hat: die Beschäftigung der Personalabteilung mit künstlicher Intelligenz zu beschleunigen. Produktivitätssteigerungen in der gesamten HR-Wertschöpfungskette von bis zu 30 % erscheinen erzielbar zu sein.

Im BCG-Szenario verwandelt GenKI HR in eine strategischere Funktion mit den folgenden Auswirkungen:

  • Deutlich gesteigerter Self-Service,
  • signifikante Produktivitäts- und Erfahrungsverbesserungen,
  • wirklich personalisierte, stets verfügbare Bereitstellung von HR-Dienstleistungen, sowie
  • ein umfassendes, datengesteuertes Talent-Ökosystem.

Wie können diese Potenziale nun bestmöglich „gehoben“ werden? Das skizziere ich im folgenden Absatz.

GenKI aus Sicht der HR-Strategie

Zum einen hat GenKI Auswirkungen auf die Geschäftsfelder einer Organisation – damit auf die Belegschaft. HR hat daraus resultierende Verantwortlichkeiten zu übernehmen. Zum anderen wird HR als Geschäftsbereich selbst von GenKI erfasst. Diese Entwicklungen führen zu einer Transformation von HR-Kernstrategien. Auf die vier HR-Kernstrategien bin ich u.a. in einem früheren Blogbeitrag eingegangen.  Durch GenKI initiierte Automatisierung (Fokus: Effizienz, Kosten) und Innovation (Fokus: Effektivität, Qualität) führen zu Verschiebungen der HR-Kernstrategien (vgl. Gery Bruederlin).

Demzufolge wird ein Unternehmen im Investment-Strategie-Quadranten den Anspruch haben, eine GenKI- resp. Digitalisierungsstrategie zu verfolgen, welche die Qualitätsorientierung unterstützt ohne effizienzgesteuerte Kosteneinsparungen zu vernachlässigen. Laut Josh Bersin könnten folgenden Anwendungen dazu gehören:

  • Erstellen von Kompetenzinventaren und Kandidatenprofilen für die Personalbeschaffung,
  • Leistungsmanagement und Feedback,
  • Coaching und Führungskräfteentwicklung,
  • psychische Gesundheit und Wohlbefinden, sowie
  • HR-Self-Service und Wissensmanagement.

Auswirkungen auf HR-Kompetenzen

Digitalisierung im Allgemeinen und GenKI im Speziellen werden für viele Berufsfelder zum wesentlichen Treiber aktueller und zukünftiger Veränderungen der Kompetenzlandschaft. Zahlreiche Publikationen, wie z.B. von Hays, dem WEF, PwC und der STRIM, beschäftigen sich mit künftig notwendigen Schlüsselkompetenzen und/oder digitalen Kompetenzen.

Gery Bruederlin macht richtiger Weise künftig notwendige, digitale HR-Kompetenzen an der jeweiligen HR-Kernstrategie fest:

  • Die HR-Strategie stellt den ersten wesentlichen Bestimmungsfaktor von digitalen HR-Kompetenzen dar.
  • Digitale HR-Kompetenzen sind schlussendlich von drei sich gegenseitig beeinflussenden Bestimmungsfaktoren abhängig: personalstrategischen, strukturbezogenen und technologiespezifischen.
  • Nach heutigem Wissenstand wirken sich digitale HR-Kompetenzen primär auf die Fachkompetenzen und die sozial-kommunikativen Fähigkeiten aus, während die personalen und die handlungsorientierten Kompetenzen – vgl. KompetenzAtlas – unabhängig von technologischen Entwicklungen gleich relevant bleiben und deshalb durch GenKI kaum zusätzlich tangiert werden.
  • Bei den fachspezifischen Fähigkeiten stehen im Fokus die analytischen Fähigkeiten (Datenmanagement) bei den generischen Fachkompetenzen, die Rekrutierung und das Talent-Management bei den spezifischen Kernfachkompetenzen, die Finanzkompetenz bei den geschäftsbezogenen Fachkompetenzen, sowie Kommunikation und Kooperation bei den sozial-kommunikativen Kompetenzen.

Die HR-Rollenhierarchie wird über die vier HR-Kernstrategien hinweg – HR-Low Cost, HR-Balance, HR-Fex Value, HR-Investment – zunehmend anspruchsvoll! Bei letztgenannter Strategie umfasst die Rolle des digitalen Produkte- und Prozess-Innovators 13 HR-Schlüsselkompetenzen, die Rolle des agilen Strategie-Partners 16.

Auswirkungen auf die HR-Struktur

Ein HR TOM oder eine HR-Struktur kann – wie bereits an anderer Stelle dargelegt – nicht ohne vorherige HR-Strategie gelingen! Nach intensiver Beschäftigung mit HR-Kernstrategien müssen die Kompetenzen und Rollen der Personalabteilung auf die personalstrategischen Handlungsfelder ausgerichtet werden.

Gery Bruederlin kommt zum Schluss: Es ist nicht nur die Digitalisierung des HR, die mittels Automations-, Innovations- und Flexibilisierungsstrategien die Organisationsform der Personalfunktion mitbestimmt, sondern es ist auch die Digitalisierung und Flexibilisierung des Unternehmens und seiner maßgeblichen Geschäftsfelder, welche die geschäftsspezifische Ausrichtung der HR-Funktion inhaltlich determiniert und so strukturelle Verschiebungen in Richtung business-fokussierte HR-Organisationen auslösen können.

Wenn mit GenKI Automatisierung im Fokus steht, dann geht dies in aller Regel mit einem kleineren Bedarf benötigter HR-Mitarbeitender und einem erhöhten Zentralisierungsgrad der HR-Organisation einher. Im Ergebnis bedeutet dies eine Kräfteverschiebung von den HR Business Partnern zu den HR Shared Services.

Steht dagegen Innovation im Fokus, dann geht dies in der Regel mit einem unterschiedlichen und unter Umständen breiteren Bedarf an Kompetenzen und einem erhöhten Dezentralisierungsgrad der HR-Organisation einher. Im Ergebnis kann dies zu einer Aufwertung des Center of Expertise und einer dezentralisierenden Kräfteverschiebung in Richtung HR Business Partner führen.

Fazit

Bei einer automationsgetriebenen HR-Digitalisierung resp. Einbindung von GenKI geht es in erster Linie um Effizienzgewinne und damit einen hohen Kostenfokus der digitalisierungsbezogenen Maßnahmen. Ist der Sinn und Zweck der HR-Digitalisierung jedoch innovationsgetrieben, dann sind die Ziele der HR-Aktivitäten im Bereich der Effektivitätsgewinne zu suchen. Entsprechend geht es primär um eine qualitätsorientierte Strategie.

Die intensive Verfolgung von „Innovation“ mittels Investitionen in moderne und qualitätssteigernde Instrumente und Funktionalitäten eröffnet neue Dimensionen für die wertschöpfende Ausrichtung der Personalfunktionen.

Behnam Tabrizi und Babak Pahlavan plädieren dafür, dass Unternehmen mit KI „in die Offensive gehen“ und der Steigerung von Innovation, Agilität und Produktivität Priorität einräumen – und dadurch Arbeitsplätze schützen. Dies wird Unternehmen dabei helfen, den richtigen Mix an Automatisierung und Innovation zu finden, die Potenziale der GenKI in Form von Produktivitätssteigerungen zu nutzen und notwendige Kompetenzen in ausreichendem Umfang aufzubauen.

Dies impliziert eine andere Sichtweise, nämlich nicht über die technischen Möglichkeiten kommend, sondern über die HR-Kernstrategien, ihre Auswirkungen auf HR-Kompetenzen und -Rollen, sowie auf die HR-Struktur.