Ein Kernelement der strategisch-qualitativen Personalplanung ist Transparenz über vorhandene und künftige notwendige Kompetenzen. Was sind Kompetenzen? Welche Kompetenzmodelle sind bekannt? Welches Vorgehen im Rahmen eines Kompetenzmanagements empfiehlt sich? Welche praktischen Erfahrungen liegen vor?

Der neue Dreiteiler zum Thema Kompetenz gibt Antworten auf diese Fragen und thematisiert folglich Modelle, Vorgehensweisen und Erfahrungen.

„Die Zeiten sind spannend“ sagen die Einen; „die Zukunft macht mir Angst“ sagen die Andern. Über die Herausforderungen des Fachkräftemangels, der Digitalisierung, der Disruption, der Globalisierung, des Klimawandels, der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) – man könnte noch Vieles anfügen – wurde bereits sehr viel geschrieben und gesagt.  Ich fasse es mit den Worten von Hermann Hesse zusammen „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Laut Osborne-Frey-Studie scheint derzeit bei den meisten Beschäftigten die Angst v.a. vor Arbeitsplatzverlust zu überwiegen. Die Bertelsmann Stiftung identifizierte mit Blick auf deutsche KMU sieben Baustellen; u.a. vom notwendigen Umdenken aller Beteiligten, über eine neue Art der Führung, bis hin zu neuen Arbeits- und Lernkulturen.

Dagegen hilft meines Erachtens v.a. die proaktive Aneignung zukunftsrelevanter Kompetenzen. Das ist einfacher gesagt als getan, zumal man die meisten beruflichen Tätigkeiten in ca. 15 bis 20 Jahren (wie etwa Kreativitätscoach, Algorithmusversicherer, digitaler Ethikexperte) noch nicht wirklich kennt. Es gibt jedoch bereits gute Indikatoren, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde.

Im ersten Teil dieser Beitragsreihe gehe ich allgemein auf Kompetenzen und Kompetenzmodelle ein. Im zweiten skizziere ich bewährte Vorgehensweisen bei der Entwicklung eines Kompetenzmodells und der Einführung des Kompetenzmanagements. Im dritten und letzten Teil dieser Reihe gehe ich auf praktische Erfahrungen im Rahmen konkreter Projekte ein.

Was sind Kompetenzen?

Erpenbeck und Heyse definieren Kompetenz als die Fähigkeit aller Mitarbeiter, sich auch in offenen und unüberschaubaren komplexen und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden. Es geht also um ein selbstorganisiertes, eigenverantwortliches Handeln, Lernen und Entwickeln Mitarbeitender! [weitere Informationen]

Begreift man Kompetenzen als Fähigkeiten zu selbstorganisiertem Handeln, als Selbstorganisationsdispositionen, so besteht ein entscheidender Unterschied zu Qualifikationen (auch: operativen Kompetenzen; vgl. Erpenbeck, Rosenstiel, Grote, Sauter): Diese werden nicht erst im selbstorganisierten Handeln sichtbar, sondern in davon abgetrennten, normierbaren und Position für Position abzuarbeitenden Prüfungssituationen:

  • Qualifikation ist also fremdorganisiert, Kompetenz umfasst Selbstorganisationsfähigkeit;
  • Qualifikation ist auf unmittelbare tätigkeitsbezogene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet, Kompetenz bezieht sich auf die ganze Person, verfolgt also einen ganzheitlichen Anspruch.

Häufig wird die Frage gestellt: Was sind denn künftig notwendige Kompetenzen? Grundsätzlich kann man folgende nennen:

  • IT-Grundkompetenz und Medienkompetenz,
  • emotionale und soziale Kompetenz,
  • Lern- und Veränderungsbereitschaft sowie -fähigkeit,
  • Fähigkeit im Umgang mit Geschwindigkeit und Komplexität, sowie
  • selbstorganisiertes und lebenslanges Lernen.

Publikationen von McKinseyDeloitteBitkom , DGFP/IW Köln und HAYS geben hierzu interessante Einblicke. Über die sechs digitalen Kompetenzen der Lufthansa habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben.

Welche Kompetenzmodelle sind bekannt?

Unter einem Kompetenzmodell versteht man im Allgemeinen einen Anforderungskatalog an die Mitarbeiter, in welchem die Kompetenzen zur Leistungserbringung und Problemlösung messbar und für jeden verständlich dokumentiert sind. Die Bezeichnung „Modell“ ist etwas irritierend, denn Kompetenzmodelle machen selten Aussagen über Hierarchie und Interaktion der enthaltenen Kompetenzen, sind also kein Modell im klassischen Sinne. Streng genommen wäre die Bezeichnung Kompetenzrahmen oder Kompetenzprofil zutreffender; trotzdem bleibe ich b.a.w. beim Begriff Kompetenzmodell. Ein solches „Modell“ stellt die Grundlagen, sozusagen das Fundament, vieler Instrumente (wie Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen, Personalauswahl- und Personalentwicklungsverfahren, Vergütungen oder Nachfolgeplanungen) im Personalmanagement dar.

Vor der Entwicklung eines Kompetenzmodells sind strategische, strukturelle und prozessuale Fragen zu klären:

  • Wie wird die Zukunft des Unternehmens in ca. fünf Jahren aussehen?
  • Mit welchen organisatorischen Voraussetzungen will die Unternehmung mit den kommenden Herausforderungen fertigwerden?
  • Welche Strukturen werden benötigt, um die Aufgaben erfolgreich zu bewältigen?
  • Welche Prozesse sind für den Erfolg der Unternehmung besonders wichtig?
  • Wie müssen diese Prozesse gestaltet werden?
  • Welche selbstorganisativen, kreativen Fähigkeiten müssen die Mitarbeiter und Führungskräfte aufbauen, damit sie diese Ziele erreichen können?

Folgende Anforderungen sind hervorzuheben: Das Kompetenzmodell

  • lässt eine Konzentration auf die wesentlichen, zur Umsetzung der Unternehmensstrategie notwendigen Kompetenzen, zu,
  • berücksichtigt Unternehmensleitbilder und -werte,
  • definiert eindeutige und beobachtbare Handlungsweisen, die man für die Überprüfung der Kompetenzen nutzen kann,
  • ist unabhängig von den fachlichen Anforderungen anwendbar,
  • wird kontinuierlich an die strategischen Anforderungen angepasst und weiterentwickelt,
  • schafft die Grundlage für die Identifikation und Messung von Kompetenzen und deren Ausprägung durch Online-ACs, Fremd- und Selbsteinschätzungen oder Interviews, und
  • ermöglicht gezielte Maßnahmen im Rahmen des kompetenzorientierten Personalmanagements.

Entlang des Geltungsbereiches unterscheidet man „Single-Job-Kompetenzmodelle“ bis hin zu „On-Size-Fits-All-Kompetenzmodelle“. In der Regel verwende ich „Multiple-Job-Kompetenzmodelle“; diese vereinen die Vorteile der beiden anderen, ohne deren Nachteile zu übernehmen (vgl. Sauter, Staudt und Krumm, Mertin, Dries).

Mit Blick auf zunehmende Agilität wurde ein Reifegradmodell mit insgesamt sechs Dimensionen – Strategie, Prozess, Struktur, Führung, HR und Kultur – entwickelt, das TRAFO-Modell (vgl. de Molina, Kaise, Widuckel). Hierbei werden acht agile Kompetenzen unterschieden: Agile Methodenkompetenz, Veränderungskompetenz, Kommunikationskompetenz, Teamkompetenz, Ergebniskompetenz, Selbstführungskompetenz, agile Führungskompetenz, unternehmerisch-integrative Denk- und Handlungskompetenz. Zudem werden sechs Haltungen unterschieden, die in einem agilen Umfeld förderlich sind.

Exkurs: Die Apollo-Optik Holding differenziert Lernagilität in fünf Teilbereiche: Mentale Agilität, Ergebnisagilität, Veränderungsagilität, menschliche Agilität, sowie Selbstreflexion.

Ein weiteres, noch holistischer angelegtes Modell, „Agilität in der digitalen Transformation messen und gestalten“, wurde von Great Place to Work in Kooperation mit SichtWeise entwickelt. Dieses Modell soll Unternehmen direkt aufzeigen, in welchen Gestaltungsfeldern aktuell Handlungsbedarf zur Steigerung der Agilität und Innovationskraft besteht.

Für viele, die sich mit Kompetenzen befassen, ist der KompetenzAtlas inzwischen zu einem state of the art geworden. U.a. arbeiten auch die Bundesagentur für Arbeit sowie die School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) nach diesem Modell. Auf weitere Anwendungsbeispiele gehe ich im dritten Teil dieser Beitragsreihe ein. Inhaltlich werden Kompetenzen in fachliche und methodische Kompetenzen für die Lösung von Sachfragen und den Umgang mit Maschinen und in soziale und personale Kompetenzen für den Umgang mit Personen unterschieden:

  • soziale Kompetenzen, die für den Umgang mit Anderen stehen,
  • personale Kompetenzen, die den Umgang mit der eigenen Person beinhalten,
  • Fach- und Methodenkompetenzen, die die Anwendung von Wissen und Umgang mit Methoden und Objekten erfassen, sowie
  • Aktivitäts- und Handlungskompetenzen, die Tatkraft, Initiative, Mobilität oder Optimismus beinhalten und wichtig sind, damit sich die Kompetenzen aus den anderen drei Kompetenzklassen tatsächlich entfalten.

Die vier Kompetenzklassen/-gruppen des KompetenzAtlas umfassen jeweils 16 bzw. insgesamt 64 Einzelkompetenzen. Mit Hilfe des Kompetenzermittlungsverfahrens KODE (R) können Interpretationen entlang einzelner Teilkompetenzen vorgenommen werden.

Daneben gibt es zahlreiche spezifische Kompetenzmodelle. Hier einige Beispiele:

  • Das Modell von Stevens und Campion spezifiziert Kompetenzen für die Arbeit in traditionellen Teams.
  • Die Zusammenarbeit in virtuellen Teams erfordert zusätzliche, über die der traditionellen Teamarbeit hinausgehende, Kompetenzen. Ein Modell solcher Kompetenzen wurde von Hertel, Konradt und Voss entwickelt.
  • Kompetenzen für Führungskräfte sind immens wichtig! Die wesentliche Rolle der Führungskräfte ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, Ambiguität zu navigieren, Stärken zu fördern, Sinn zu stiften und die Menschen für Lernen im Hinblick auf fachliche wie auch persönliche Weiterentwicklung zu begeistern und sie dabei zu unterstützen, ihren Platz in dem Prozess des Wandels zu finden. Wesentliche Kompetenzen sind daher Auswahl, Entwicklung und Förderung von Mitarbeitern im Sinne einer wertschätzenden Kultur, in der Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert und gefordert wird. Fachkompetenz wird bei Führungskräften künftig in den Hintergrund treten; soziale Kompetenz wird dagegen zu einer besonders relevanten Anforderung, die den fachlichen Bezug allerdings nicht ersetzt. Die personale Kompetenz baut wesentlich auf der Reflexionsfähigkeit der Führungskraft auf; das bedeutet auch, dass die Führungsposition nicht als Gipfel der beruflichen Entwicklung, sondern als veränderter Ausgangspunkt für lebenslanges Lernen aufgefasst werden sollte.  Zur Ausübung dieser drei Kompetenzarten benötigen Führungskräfte eine breite und ausgefeilte Fach- und Methodenkompetenz; dies, ohne dabei auf Intuition und Pragmatismus gänzlich zu verzichten. Ich verwende hierbei häufig das Modell „DNA of engaging Leaders“ (Kernelemente einer Führungs-DNA) von The Conference Board. E.ON hat dieses Modell – inkl. daran ausgerichteter Verhaltensanker – geringfügig adaptiert im Einsatz (vgl. Lenz, Bierwirth).
  • Der o.g. KompetenzAtlas wurde für Jugendliche adaptiert. Wie beim Ausbildersymposium dargelegt arbeitet auch das BIBB danach (siehe Grafik). The Conference Board identifizierte u.a. folgende Kompetenzen: kritisches Denken/agiles Problemlösen, Teamarbeit/eCollaboration, schriftliche und mündliche Kommunikation, Arbeitsmoral, Sinnökonomie, lebenslanges Lernen, Kreativität/Innovation sowie Moral/Ethik. Im dritten Teil dieser Beitragsreihe gehe ich zudem auf Zusatzqualifikationen für digitale Kompetenzen als Teil der Aus- und Weiterbildung ein.
  • Ein Modell von HR Diagnostics, CAIDANCE-R, entwickelte eine Kompetenzanalyse für die Arbeit mit Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund. Hierbei handelt es sich um ein multiples psychologisches Testverfahren zur Erhebung überfachlicher berufsbezogener Kompetenzen (vgl. Frintrup, Spengler).

Weitere Kompetenzmodelle finden sich bei Krumm, Mertin, Dries, sowie bei Erpenbeck, Rosenstiel, Grote.

Halten wir fest …

Ohne ein strategisches Kompetenzmanagement werden Unternehmen in Zukunft nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

Die Performanzrichtung geht von einem neuen Weltverständnis aus, dem wir uns nur sehr langsam bewusst werden. Es ist durch Selbstorganisation und Komplexität geprägt.

In einer VUCA-Welt spielt die Organisationskultur eine entscheidende Rolle, um Mitarbeitende und Führungskräfte zu befähigen, ihre Kompetenzen optimal einzusetzen und Potenziale optimal zu fördern. Gemeinsame Werte, Normen und Einstellungen fliessen in die Haltung und das Handeln der Beschäftigten ein. Die deutsche AUDI Handelsorganisation setzt kulturelle Eckwerte beispielsweise auch in interaktiven Lernplattformen um. Hierbei sollen neueste lerndidaktische Erkenntnisse im Bereich E-Learning mit der automobilspezifischen Kompetenzentwicklung verknüpft werden.

Der KODE Kompetenzatlas von John Erpenbeck umfasst 64 Kompetenzen in vier verschiedenen Bereichen: Personale Kompetenzen, fachliche und methodische Kompetenzen, Aktivitäts- und Handlungskompetenz sowie soziale Kompetenzen. Einsatzbereiche liegen in der Personalauswahl (Entwicklung von Stellenprofilen) sowie der Kompetenzentwicklung.

Insbesondere soziale Kompetenzen, wie Empathie, Veränderungsfähigkeit, aber auch digitale Kompetenz und Lernbereitschaft werden immer wichtiger.

In einer offenen Lernkultur entscheidet der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin selbst, wann er / sie welche Inhalte in welcher Form benötigt und somit am effektivsten für die eigene Arbeit zum Einsatz bringen kann.