Schlagzeilen wie „EU-Kommission senkt Wachstumsprognose deutlich„, „Drohende Rezession. Deutschland ist Schlusslicht – und bremst das Wachstum in der EU“ und „Neue OECD-Prognose: Deutschland bleibt Wachstumsschlusslicht“ scheinen derzeit in der öffentlichen Debatte weniger Aufmerksamkeit zu erzielen als Streiks.

Warum sind Produktivität und Wachstum so wichtig für unseren Wohlstand? Als ich mich mit dieser Frage beschäftige stellt Josef Ackermann, ehemaliger Vorstandssprecher der Deutschen Bank, gerade seine Memoiren vor. Im ARD-Talk mit Sandra Maischberger sagte er mit Blick auf Deutschland u.a.:

  • „Die Eigenverantwortung und die Leistungsbereitschaft haben abgenommen“. Er habe – so Ackermann – im Fernsehen eine junge Dame gehört, die von einer 20- oder 30-Stunden-Woche gesprochen habe.
  • „Als ich nach Deutschland kam, habe ich junge Menschen kennengelernt, die unglaublich einsatzfreudig waren. Und das ist etwas verloren gegangen.“ Man versucht gar – so Ackermann weiter -, Fürsorge vom Staat zu bekommen. „Und da müssen wir, glaube ich, umdenken.“
  • „Um die dramatischen, epochalen Herausforderungen zu finanzieren, braucht es mehr Wirtschaftswachstum. Nur mit mehr Wirtschaftswachstum können wir mehr Erträge generieren und damit die Kosten finanzieren, die wir haben.“

Diese Aussagen erinnern mich an eine McKinsey-Publikation, in der notwendige Prioritäten für CEOs in 2024 thematisiert werden. Neben geopolitischen Themen und der Energiewende geht es um Generative KI, den Weg zum Wachstum, und die Rolle der mittleren Führungskräfte.

In Anlehnung an den ARD-Talk und die McKinsey-Publikation möchte ich zur Frage „Warum sind Produktivität und Wachstum so wichtig für unseren Wohlstand?“ drei Impulse in die Diskussion mit einbringen:

  • Wachstum und Wohlstand sind auch eine Kulturfrage
  • Generative KI als Wirtschaftsbooster
  • 4-Tage-Arbeitswoche, Gesundheit und Produktivität

Wachstum und Wohlstand sind auch eine Kulturfrage

Aktuelle Untersuchungen beleuchten insbesondere eine „Kultur aus der Mitte heraus„.

Ein Ergebnis der Studie „Führungsbarometer: Die strategische Rolle des mittleren Managements“ lautet: Das Engagement-Level der Mittelmanager ist entscheidend. „Während 86 Prozent der Unternehmen mit hohem Engagement angaben, ihre Mittelmanager würden selbständig auf Veränderungen am Markt reagieren, waren es bei denjenigen mit niedrigem Engagement nur 31 Prozent.“

Die Studie von Spencer Harrison und Kristie Rogers hat u.a. zum Ergebnis, dass ein Unternehmen nur dann die Kraft der Kultur nutzen kann, wenn Manager und Teamleiter diese aktiv aufbauen. Führungskräfte auf mittlerer Ebene können sowohl die Gesamtwerte des Unternehmens unterstützen (Big-C-Kultur) als auch die Alltagserfahrung (Small-c-Kultur) ihrer Teammitglieder bereichern (s. Folie 2 in beiliegender Präsentation).

Diesen Erkenntnissen stimme ich aus voller Überzeugung zu; insbesondere bei Strategieprojekten im Rahmen der Umsetzung! Mittlere Führungskräfte können die Umsetzung der Unternehmensstrategie beschleunigen, indem sie Ideen zwischen den Hierarchieebenen übersetzen und Probleme mit Daten lösen.

Dies ist auch eine der Kernaussagen des Buches „Power to the Middle“ von den McKinsey-Autoren Bill Schaninger, Ph.D., Bryan Hancock und Emily Field (s. Folie 3 in beiliegender Präsentation).

Auf die Korrelation von Kultur und Unternehmenserfolg bin ich in einem früheren Beitrag bereits detailliert eingegangen.

Generative KI als Wirtschaftsbooster

Dieser zweite Impuls setzt direkt auf dem ersten auf. Basierend auf jahrzehntelanger Forschung zu den Qualitäten effektiver Führung identifizierten Rasmus Hougaard, Jacqueline Carter und Robert Stembridge Chancen und Risiken eines KI-gestützten Managements, sowie einzigartige menschliche Fähigkeiten, auf deren Verbesserung sich Führungskräfte konzentrieren sollten (s. Folie 4 in beiliegender Präsentation).

So könnte laut einer gerade erschienenen Pressemitteilung von strategy& Generative KI in Deutschland einen BIP-Boost von bis zu 220 Mrd. Euro auslösen. Dies entspräche einem Wirtschaftswachstum pro Jahr um 0,4 Prozent bis zu 0,7 Prozent. Größte Gewinner der neuen Technologie seien die Branchen, in denen große Mengen Daten gesammelt und verarbeitet werden.

Im September 2023 habe ich über Generative KI (GKI) in HR publiziert. Darin enthaltene Querverweise auf McKinsey- und BCG-Beiträge unterstreichen mögliche Produktivitätssteigerungen. KI-High-Performer setzen weniger auf Kostensenkung; stattdessen auf Innovationen und damit auf Wachstum! Keine neue Erkenntnis, wie ein Beitrag aus dem Jahr 2013 belegt.
Wie wichtig gegenseitiges Vertrauen ist, um Produktivitätssteigerungen und Wachstum zu erreichen, untersuchten die i4CP-Autoren Kevin Oakes, Mollie Lombardi and Kevin Martin (s. Folie 5 in beiliegender Präsentation). Generative KI ist dabei ein wichtiger Treiber (s. Folie 6 in beiliegender Präsentation).

4-Tage-Arbeitswoche, Gesundheit und Produktivität

Auch beim dritten Impuls geht es um Führungskräfte; insbesondere solche, die Arbeitsplätze schaffen, die der körperlichen, geistigen, sozialen und spirituellen Gesundheit Priorität einräumen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des McKinsey Health Institute (s. Folie 7 in beiliegender Präsentation). Mitarbeitende, die positive Arbeitserfahrungen gemacht haben, berichteten von einer besseren ganzheitlichen Gesundheit, waren innovativer bei der Arbeit und hatten eine verbesserte Arbeitsleistung.

Wie nun die 4-Tage-Arbeitswoche da hineinpasst ist noch nicht eindeutig belegt:

  • Benjamin Laker, der sich seit mehreren Jahren mit der 4-Tage-Arbeitswoche beschäftigt, skizzierte in einem Beitrag die Ergebnisse einer britischen Studie. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass 92 Prozent der 61 Unternehmen, die am Pilotprojekt teilgenommen haben, die Fortsetzung der 4-Tage-Arbeitswoche planen. Auch die ARD berichtete darüber. Die erwartbaren Auswirkungen der 4-Tage-Arbeitswoche auf die Gesundheit scheinen sich demzufolge zu bewahrheiten. Die Auswirkungen auf die Produktivität sind demgegenüber vage, weil diesbzgl. keine Daten erhoben wurden! Zudem ist die Stichprobe für die Studie umstritten.
  • Interessant findet ich die Untersuchungen von Josh Bersin: Erstens besteht ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen geleisteten Arbeitsstunden und Produktivität; mit jeder zusätzlichen Stunde, die jemand arbeitet, sinkt die Produktivität. Längere Arbeitszeiten sind auch mit einer Zunahme von Fehlern und Arbeitsunfällen sowie einem Rückgang der Indikatoren zum Wohlbefinden Mitarbeitender wie Zufriedenheit und Engagement verbunden.

Unternehmen müssen also wohl eine umfassende Umgestaltung der Arbeit vornehmen, um die Arbeitszeit zu reduzieren und gleichzeitig die Geschäftsergebnisse beizubehalten. Das bedeutet, Abläufe zu rationalisieren, Verwaltungslasten zu beseitigen und wirkungsvolle Arbeiten zu priorisieren. Bei höherer Digitalisierung und unter Einbindung generativer KI könnte dies gelingen.

Dafür müssten aber die Trainingsstunden ausgeweitet werden. Lynda Gratton skizziert hierzu in einem Beitrag drei Herausforderungen durch das Aufkommen neuer Arbeitsmodelle, die Druck auf traditionelle Lernmodelle ausüben.

Wachstum-und-Wohlstand-Evidenz-oder-Streik-Folie-1 (1)
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Schlussbemerkungen

Die Bundesregierung und die EU-Kommission senkten ihre Prognose auf nur noch 0,2 und 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2024. Auch wichtige Institute wie Ifo nahmen ihre Prognosen zurück. In diesem Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) kaum wachsen, wenn überhaupt.

Die im Beitrag skizzierten Impulse sollen zur Diskussion und Kommentierung anregen.

Die Unternehmenskultur beeinflusst, wie Mitarbeiter ihr Arbeitsumfeld wahrnehmen und wie sie sich im Unternehmen engagieren. Eine positive Unternehmenskultur kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter motivierter und produktiver sind und sich besser mit dem Unternehmen identifizieren können.
Kultur ist als das Nervensystem einer Organisation zu betrachten. Eine der wichtigsten Aufgaben der Personalabteilung besteht darin, die Aspekte der Kultur zu analysieren, die Leistung ermöglichen oder behindern.

Wenn Deutschland ein wirtschaftliches Schwergewicht bleiben will, dann müssen KI-Champions durch Zugang zu Talenten, digitale Infrastruktur, attraktives Investmentumfeld und weitere Anreize nach Deutschland geholt und auch gehalten werden.

Erste Untersuchungen zur 4-Tage-Arbeitswoche scheinen darauf hinzudeuten, dass das Wohlbefinden und die Bindung Mitarbeitender verbessert werden, während Geschäftsergebnisse weitgehend aufrechterhalten werden können. Deutschland benötigt allerdings einen deutlichen Produktivitäts- und Wachstumsschub, um den Wohlstand zu erhalten.