Im dritten und letzten Beitrag dieser Reihe zum Thema Talent Analytics stehen drei Schlüsselstrategien für die Talentansprache und -gewinnung im Mittelpunkt. Im einleitenden Beitrag 1 habe ich diese nur kurz skizziert, in Beitrag 2 habe ich den analytischen Ansatz zur Bewertung von Interventionen bei der Talentansprache und –gewinnung vertieft.

In mehreren Befragungen wurden Experten im Thema Talent Acquisition gebeten, ihre drei wichtigsten Strategien zur Bewältigung von Problemen bei der Talentansprache und -gewinnung aus einer Liste von elf Optionen auszuwählen und zu bewerten:

  1. Beziehungen zu Talentgemeinschaften / Talentpools / Handelsorganisationen aufbauen,
  2. eine überzeugende Arbeitgebermarke schaffen,
  3. ein engagiertes Team für die Umsetzung von Strategien zur Talentansprache und -gewinnung zusammenstellen,
  4. Rekrutierungskanäle ausweiten,
  5. auf die Rekrutierung nicht-traditioneller Arbeitskräfte konzentrieren,
  6. strategische Personalplanung umsetzen,
  7. Talent-Assessment-Tools einführen,
  8. Fähigkeiten und Prozesse im Recruiting optimieren,
  9. Partnerschaften mit Regierungen forcieren,
  10. Diversität und Integration in der Belegschaft fördern,
  11. Daten und Analysen dazu nutzen, um Talententscheidungen zu unterstützen.

Die Befragten gaben an, dass ihre drei wichtigsten Strategien darin bestanden, eine überzeugende Arbeitgebermarke zu schaffen (78 %), eine strategische Personalplanung zu implementieren (48 %), sowie Rekrutierungskanäle zu verbessern (46 %; vgl. Beitrag 1/3;).
In mehreren Beiträgen bin ich auf diese Schwerpunkte – u.a. mit Blick auf die Berufsausbildung – bereits eingegangen: Sieben Handlungsempfehlungen; Berufsbildung: Leitfaden für Betriebe – 3-Teiler; Herausforderungen und Strategien in der Berufsausbildung; Studie Recruiting 4.0.  Im Folgenden gehe ich nun dediziert auf diese drei Schlüsselstrategien ein.

Schaffen Sie eine überzeugende Arbeitgebermarke

Die Schaffung einer überzeugenden Arbeitgebermarke wird derzeit von HR-Experten als die wichtigste Strategie für die Durchführbarkeit und den Erfolg von Talentakquisitionsprogrammen angesehen. Eine Möglichkeit, eine überzeugende Arbeitgebermarke zu schaffen, besteht darin, Mitarbeiter als Kunden zu betrachten und sich dazu zu verpflichten, Daten zur Verbesserung der Marke zu verwenden, genauso wie Unternehmen Daten verwenden, um ihre Kunden besser zu verstehen und zu segmentieren. Organisationen beklagen zwar einen Mangel an Talenten und Fachkräften, greifen dieses Problem aber selten mit der gleichen Konsequenz an, die sie es auf Kundenseite völlig selbstverständlich tun. Ich empfehle, die gleiche Schärfe, Einsichten und Marketingkenntnisse anzuwenden, um ein differenziertes Wertangebot für die Mitarbeiter zu entwickeln.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es Kategorien von Mitarbeitern gibt, die unterschiedliche Employee Value Propositionen (EVP) – Werteversprechen der Unternehmen an die Mitarbeitenden – benötigen (vgl. „Neues Geschäftsmodell für die Berufsausbildung„). Zum Beispiel schätzen Millennials – vgl. Berufsorientierungsstudien der STRIM – Leistung und Spass mehr als Nicht-Millennials; zusätzlich erwarten sie Karrierefortschritt in kürzeren Zeitabständen. Daher sollte die EVP für Millennials diese Bedürfnisse widerspiegeln. Unternehmen müssen sich anpassen und neu positionieren (bspw. mittels TSC), um neue Arbeitskräfte zu gewinnen.

Mithilfe von Analytics und dabei genutzter Daten (bspw. aus dem Ausbildungscontrolling) können Unternehmen Einsichten gewinnen, wie verschiedene Kategorien der Belegschaft die Marke des Unternehmens wahrnehmen. Auf diese Weise können Personalverantwortliche gezielter bei ihren Rekrutierungsbemühungen eingesetzt werden und dabei mehr Erfolg erzielen. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass Wachstum und Mobilität für die Millennial-Führungskräfte von zentraler Bedeutung sind. Im Vergleich zu Nicht-Millennials hatte die Zufriedenheit der Millennials mit ihrer beruflichen Entwicklung doppelt so viel Einfluss auf ihr Job-Engagement. 75 Prozent der Millennials sind auch der Ansicht, dass sie Unternehmen wechseln müssen, um die höchste Führungsebene zu erreichen. Organisationen müssen daher ihr Image managen, um die Sorgen der Millennials über Aufstiegschancen aktiv aufzugreifen.

Führen Sie die Strategische Personalplanung ein

Neben der Schaffung einer überzeugenden Arbeitgebermarke und der Ausweitung von Rekrutierungskanälen gilt die strategische Personalplanung als eine der wichtigsten drei wichtigsten Akquisitionsstrategien. Strategische Personalplanung verbindet die Personalstrategie und -praxis mit der Geschäftsstrategie, um sicherzustellen, dass das Unternehmen zum richtigen Zeitpunkt und zu den richtigen Kosten die richtigen Mitarbeiter am richtigen Ort hat. Da die strategische Personalplanung es Organisationen ermöglicht, vorausschauend zu planen und den Bedarf an Nachwuchskräften zu berücksichtigen, nutzen viele Organisationen dieses wertvolle Instrument, um Herausforderungen im Recruiting zu reduzieren (vgl. Buy, Build, Borrow).

Organisationen, die eine strategische Personalplanung zur Unterstützung ihrer Talentansprache und -gewinnung anstreben, sollten erkennen, dass es sich nicht um einen statischen Prozess handelt, sondern um einen, der sich im Laufe der Zeit entwickelt. Informationen wie Personalbestandsdaten und Arbeitskräfteangebot sind ebenso dynamisch wie die Geschäftsanforderungen und -strategien des Unternehmens. HR-Experten müssen sich daher darauf vorbereiten, Daten und Analysen in Echtzeit zu verwenden, um diese Änderungen zu überwachen und anzupassen, damit ihre strategischen Entscheidungen zur Personalplanung auf genauen Informationen und Trends basieren.

Erweitern Sie Rekrutierungskanäle

Die Ausweitung der Rekrutierungskanäle (vgl. Brave New World: Recruiting Talent in the Digital Age) gilt bei HR-Experten als eine der drei wichtigsten Strategien zur Talentansprache und -gewinnung. Sie sind der Überzeugung, dass die Entwicklung von Online-Plattformen, wie z. B. LinkedIn Recruiter, den Zugang zu brauchbaren Talentpools erheblich verbessert. Dabei wird v.a. mit Blick auf den deutschen Mittelstand nicht übersehen (vgl. Studie Recruiting 4.0), dass die Unternehmenswebsite, die Jobbörse der Agentur für Arbeit, sowie Tageszeitungen die nach wie vor beliebtesten Rekrutierungskanäle sind. Mit deutlichem Abstand folgen Fachzeitschriften, Jobportale, Headhunter, spezielle Apps und Online-Plattformen.
Um den Zustrom an Kandidaten aus der ganzen Welt aufgrund der zunehmenden Anzahl an Rekrutierungskanälen bewältigen zu können, setzen Unternehmen zudem Technologien ein, um ihren Bewerberauswahlprozess zu vereinfachen. Virtuelle Interview-Tools, wie Vieple und Sonru, erleichtern den Bewerbern das Vorstellungsgespräch und reduzieren die Einstellungszeit.

Recruiter haben einen Grossteil ihrer Jobs auf LinkedIn, XING, Facebook, WhatsApp und Twitter eingestellt. Da die Talentansprache und -gewinnung in die Kanäle der sozialen Medien expandiert, müssen HR-Experten erkennen, dass das Recruiting transformiert werden muss, um eine Zusammenarbeit mit Corporate Branding und Communications zu ermöglichen. Dies ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Kandidaten ein konsistentes Image wahrnehmen.

HR-Experten können mittels Analytics die Effektivität dieser Rekrutierungskanäle verwalten und verstehen; sie können entscheiden, wie die verfügbaren Rekrutierungsoptionen und -plattformen am besten genutzt werden können.

Organisationen, die ihre Rekrutierungskanäle erweitern möchten, können ihre derzeitigen Mitarbeiter als Quelle potenzieller Kandidaten ansehen. Da die derzeitigen Mitarbeiter ein gutes Gespür für die Unternehmenskultur sowie für die beruflichen Anforderungen haben, sind die von ihnen beworbenen Kandidaten eher für die Organisation geeignet. Organisationen können Mitarbeiterempfehlungen anregen, indem sie zusätzlich zu Empfehlungsanreizen ein sehr begehrtes Arbeitsplatzumfeld schaffen.

In direkter Folge der Erweiterung der Rekrutierungskanäle sollte auch die Kandidatenbewegung – abgebildet im Recruitingfilter (auch: Rekrutierungstrichter) – untersucht werden. In einem Kundenmandat erkannte das Projektteam, dass die Führungskräfte mit einem langwierigen Prozess konfrontiert waren, bei dem der Fortschritt der Kandidaten entlang des Rekrutierungsprozesses überwacht wurde. Um Informationen über Kandidaten zu erhalten, mussten sie die Recruiter über Telefonanrufe oder Dateiaustausch für Statusaktualisierungen erreichen. Dieser mehrstufige Prozess war sehr störend und führte mitunter zu falschen und zu spät gelieferten Informationen. Als Ergebnis erstellte das Analyseteam ein Dashboard entlang der Recruitingfilter, das den Führungskräften dabei helfen konnte, ihre Anforderungen und Kandidatenpipeline besser zu verstehen, ohne jedes Mal auf Recruiter zugreifen zu müssen, wenn sie ein Update benötigen.

Mithilfe von QlikView erstellte das HR-Analytics-Team ein Dashboard, das es Führungskräften ermöglichte, spezifische Engpässe im Rekrutierungsprozess zu identifizieren und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Zum Beispiel könnten Führungskräfte das Dashboard verwenden, um zu ermitteln, ob Recruiter oder sonstige Prozessbeteiligte den Prozess behindert haben. Darüber hinaus erleichterte das Dashboard die Personalplanung erheblich, da die Führungskräfte nun wussten, wann die Anforderungen erfüllt werden und wann neue Mitarbeiter mit der Arbeit beginnen könnten.

Es braucht Zeit, um ein gut durchdachtes Dashboard zu entwickeln, das effektiv auf die Bedürfnisse der Benutzer eingehen kann. Wir fordern ständig Feedback von unseren Endbenutzern und aktualisieren unsere Dashboards, um sicherzustellen, dass sie unseren Benutzern helfen, ihre Herausforderungen zu meistern. Es ist nicht die erste Version des Dashboards, die den Erfolg des Projekts definiert. Stattdessen sind es die nachfolgenden Iterationen, die dem Angebot einen immer höheren Stellenwert verleihen.

Abschliessende Bemerkungen zur Talentansprache und -gewinnung

Die Realität: In den letzten Jahren ist Talent Acquisition (auch: Talent Relationship Management) für viele Unternehmen zu einem Schlagwort geworden, da sie die am besten geeigneten Kandidaten suchen. Viele Unternehmen sind jedoch nicht in der Lage, die gewünschten Talente auf einfache Weise für sich zu gewinnen, da Faktoren, die ausserhalb der Kontrolle des Unternehmens liegen, wie z. B. der angespannte Arbeitsmarkt, die Ergebnisse der Talentakquisition stark beeinflussen. Nur sehr pragmatische Organisationen, die sich ihrer Realität bewusst sind, können ihr Vorgehen bei der Talentansprache und -gewinnung so steuern, dass Schwankungen sowohl auf dem externen Arbeitsmarkt als auch in den internen organisatorischen Anforderungen berücksichtigt werden.

Die Wissenschaft: Die Talentansprache und -gewinnung kann als eine Wissenschaft betrachtet werden, in der Daten Talentprofis helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Wenn der Kandidat, den ich eingestellt habe, innerhalb eines Jahres weggeht, bedeutet das, dass ich beim Onboarding des Kandidaten keinen guten Job gemacht habe. Wenn ich dagegen sehe, dass sich mit der Zeit ein Kandidat entwickelt und gewachsen ist, um grössere Verantwortung innerhalb der Firma zu übernehmen, dann weiss ich, dass ich wahre Talente in die Organisation geholt habe.

Die Tools (für Professionals): Durch Tools wie DiSC, welche die Verhaltensmerkmale von Kandidaten vor dem Eintritt in das Unternehmen bewerten, können Organisationen die Persönlichkeitsprofile der Kandidaten erhalten und grosse Kandidatenpools erheblich straffen. Einige Unternehmen setzen auch Gamingtools wie z.B. KNACK, die Verhaltensforschung und maschinelle Intelligenz verwenden, ein. Hiermit erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, qualitativ hochwertige Kandidaten zu finden. Diese Tools bieten HR neben der Ansprache der Kandidaten detaillierte Informationen darüber, ob sich potenzielle Kandidaten gut eignen. Tools, die Unternehmen dabei helfen, HR-Rekrutierungs- und Analyseinformationen zu verstehen und darauf zuzugreifen, werden von Organisationen, die sich mit Workforce Analytics beschäftigen, sehr gefragt. Zum Beispiel ermöglicht LinkedIn Talent-Akquisitionsteams, einen grossen Pool von Kandidaten zu erreichen und stellt umfangreiche Analysedaten bereit. HRBoss, ein Technologieunternehmen, erstellt Cloud-basierte Dashboards, die grafische Illustrationen von Analysedaten bereitstellen, um Organisationen dabei zu helfen, ihre Mitarbeiter- und Rekrutierungsdaten zu organisieren und zu verstehen.

Benchmarking bietet auch Informationen, mit denen Talent Analytics weiterentwickelt werden kann. Historische Informationen innerhalb der Organisation liefern dem HR-Team eine Basis, während externe Informationen eine indikative Bandbreite der Marktsituation liefern. Es ist jedoch sehr wichtig, dass Personalverantwortliche objektiv sind und sich nicht rücksichtslos an Benchmarking-Informationen anpassen. Stattdessen sollten Benchmarking-Daten verwendet werden, um den Markt besser zu verstehen und die HR-Verantwortlichen sollten beurteilen, wie sie die Daten optimal für die Bedürfnisse ihrer Organisationen nutzen können.

Die Kunst: Die Kunst hängt stark von den Fähigkeiten und der Erfahrung des involvierten Recruiters ab. Um gut rekrutieren zu können, müssen Sie in der Lage sein, schnell eine enge Beziehung und ein harmonisches Verhältnis mit dem Kandidaten oder der Kandidatin aufzubauen. Es ist hilfreich, sich in die Rolle des Kandidaten oder der Kandidatin zu versetzen und zu versuchen aus seiner / ihrer Sicht zu verstehen, ob die Organisation in der Lage ist, das zu liefern, wonach er oder sie sucht. Obwohl Metriken sehr hilfreich sein können, können sie nur sehr eingeschränkt und mittels Indikatoren dabei unterstützen, die Kultur und die Rollenanpassung zu bewerten.

Konkret sollte Kulturanpassung auf drei Arten bewertet werden: die gesamte Unternehmenskultur, die Subkultur einer Geschäftseinheit und die Übereinstimmung zwischen der direkten Führungskraft und dem Kandidaten. Die Anwendung eines einheitlichen Ansatzes für die Platzierung von Kandidaten ohne Berücksichtigung der Anpassung über kulturelle Schichten hinweg führt tendenziell zu einer schlechten Platzierung. In diesen Fällen sind Metriken und Daten weniger nützlich. Erfahrung hilft Talent-Acquisition-Profis stattdessen Kandidaten zu identifizieren, welche die rechte kulturelle Passung aufweisen.