Im ersten Beitrag dieser Reihe zum Thema Talent Analytics habe ich Strategien zur Talentansprache und -gewinnung skizziert und die Wichtigkeit von Analytics betont, um eine effektive Strategieimplementierung (inkl. Talent-Management-Massnahmen und -Kennzahlen) zu gewährleisten. In diesem Beitrag erläutere ich den dafür notwendigen methodischen Ansatz.

Ohne eine klare Möglichkeit, die Effektivität der aktuellen Vorgehensweisen zu evaluieren oder zu verstehen, wäre es für Unternehmen – diplomatisch ausgedrückt – eine Herausforderung, diese Vorgehensweisen zu erweitern oder bessere Strategien für die Gewinnung von Talenten zu implementieren.
Leider versuchen es deutlich zu viele Unternehmen immer noch, indem sie auch mit Blick auf das Jahr 2018 mit neuen Projekten „um die Ecke kommen“ – mitunter auch noch initiiert durch zahllose Kongresse -, ohne ihr bisheriges Tun hinsichtlich Effektivität und Effizienz auch nur ansatzweise zu verstehen.

Eine Möglichkeit für Unternehmen, ihre Wirkung zu verbessern, ist die Einbindung von Workforce Analytics als Entscheidungshilfe, da sich Workforce Analytics auf die Verwendung von Beweisen und Daten konzentriert und sich nicht nur auf Intuition verlässt, um Entscheidungen zu beeinflussen.
Daraus abgeleitete Messgrössen und Kennzahlen können Unternehmen dabei unterstützen, die Leistung der Talentansprache und -gewinnung im Zeitverlauf zu verfolgen und Ressourcen und Aufmerksamkeit auf Bereiche zu lenken, die sie am meisten benötigen.

Auf die Unterscheidung von Messgrössen, Kennzahlen und KPIs bin ich im Beitrag „Kennzahlen im Recruiting: lagging – leading – strategic“ eingegangen. Wesentliche Kennzahlen zur Talentansprache und –gewinnung sind:

Nur einige dieser Kennzahlen, wie z.B. „Quality of hire“ und „New hire turnover rate“, haben Steuerungsrelevanz und sollten als KPIs hervorgehoben werden. Mitunter kann ein umfassenderes Verständnis auch durch die geschickte Kombination zweier Kennzahlen erreicht werden.

Selbst wenn Unternehmen die Bedeutung der Talentansprache und –gewinnung erkennen, sehen sie sich immer noch mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, die Qualität ihrer diesbzgl. Strategien zu identifizieren und zu quantifizieren (vgl. Talent Sourcing Canvas).

Um die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, die aus der Strategie abgeleiteten Vorgehensweisen bei der Talentansprache und –gewinnung zu verbessern, müssen Unternehmen daher einen systematischen, evidenzbasierten Ansatz entwickeln, um den Erfolg nachzuhalten und zu analysieren. Zu oft starten Organisationen gleichzeitig eine Reihe von Initiativen, ohne dass ein klares Verständnis darüber besteht, welche, wenn überhaupt, einen positiven Einfluss auf die Ergebnisse des Unternehmens haben. Es fehlen klare Aussagen zu Ergebnis und Wirkung! Obwohl HR-Mitarbeitende häufig formale und informelle Gespräche nutzen, um den Erfolg von Talentstrategien und -massnahmen zu bewerten, führt erst die Verwendung von Workforce Analytics zur fakten-basierten Identifizierung und Evaluierung von Interventionen, welche die Talentansprache und -gewinnung weiter verbessern.

Nachfolgend gehe ich auf diesen analytischen Ansatz zur Bewertung von Interventionen bei der Talentansprache und –gewinnung, wie ihn die STRIMacademy seit über 10 Jahren praktiziert, im Detail ein:

Probleme bei der Talentansprache und -gewinnung identifizieren

Bevor Sie sich für die Durchführung von Massnahmen zur Talentansprache und –gewinnung entscheiden, sollten Sie sich die Zeit nehmen, eine gründliche Analyse durchzuführen, um die Bedenken hinsichtlich der Ansprache und Gewinnung von Talenten vollständig zu verstehen. Dabei wird aufgedeckt, ob die Bedenken hinsichtlich der Gewinnung von Talenten durch interne Kräfte, externe Anforderungen, oder beides ausgelöst werden. Hierbei unterstützen Sie strategische Analysen, die üblicherweise in eine SWOT-Analyse sowie daraus abgeleitete Normstrategien münden. Darüber hinaus können mittels Benchmarking – hierzu gehört auch die Abbildung wesentlicher Kennzahlen im Stretch-Profile – mögliche Handlungsfelder aufgezeigt werden. Vorsicht: Wichtige Hinweise zu Voraussetzungen und Grenzen des Benchmarking finden Sie in meinem Beitrag „Passt HR Benchmarking noch in die Zeit?“.

Wesentliche Schritte:

  • Führen Sie strategische Analysen durch, um zu erfahren, wie externe und interne Kräfte sich auf Ihr Geschäft auswirken.
    • Untersuchung potenzieller interner Probleme, wie etwa Employee Engagement, Führung und Unternehmenskultur, sofern sie sich auf Bedenken bezüglich der Ansprache und Gewinnung von Talenten beziehen.
    • Überprüfung externer Informationen zu Wettbewerb, Regularien und Branchentrends.
  • Binden Sie ggf. Benchmarks mit ein, um die Leistungsniveaus der Ansprache und Gewinnung von Talenten zu evaluieren.
    • Besorgen Sie sich öffentlich zugängliche Informationen bzw. Statistiken von Instituten und Behörden, Handelsorganisationen oder Lieferanten über relevante Leistungsniveaus.
    • Vergleichen Sie Brancheninformationen mit den organisatorischen Leistungsniveaus in Ihrem Unternehmen.
  • Lokalisieren Sie potenzielle Ursachen für die Leistung der Talentansprache und -gewinnung, indem Sie fragen, ob das Problem in Zusammenhang steht mit:
    • veralteter Ausstattung und Systemen oder unzureichender Technologie?
    • gering qualifizierten Arbeitskräften, geringer Mitarbeiterbindung?
    • schwacher Führung?
    • nicht-zielgruppengerechter Ansprache, unspezifischer Einbindung von Rekrutierungskanälen?
    • veralteter und/oder nicht-berufsgruppenbezogener Einbindung von Auswahlverfahren?
    • Ungünstiger Aufwandsverteilung hinsichtlich Negativ- und Positivselektion?
    • schlechten Prozessen oder ineffektiven organisatorischen Richtlinien?
    • Veränderungen der externen Marktbedingungen?

In den Foren der STRIMacademy wird hierzu eine online durchgeführte Unternehmensbefragung zu Einflussfaktoren der Talentansprache und –gewinnung verwendet.
Optional kann auch eine zielgruppenspezifische Befragung, wie z.B. Schülerbefragung und Touchpoint-Befragung, mit eingebunden werden [mehr Informationen].

Aktuelle Leistungsniveaus ermitteln

Vor der Durchführung der Intervention müssen die aktuellen Leistungsniveaus bekannt sein. (vgl. Relaunch der STRIM-Foren). Dies ist dann besonders wichtig, wenn keine Vergleichsgruppe verfügbar ist. Die Messung der Baseline-Leistung vor jedem Eingriff gibt einen Eindruck von der aktuellen Situation. In diesem Stadium kann sich das Unternehmen dazu entschliessen, seinen Schwerpunkt neu zu bewerten.

Wesentliche Schritte:

  • Identifizieren Sie die effektivsten Kennzahlen (i.V.m. den Ergebnissen der Diskussion des Talent Sourcing Canvas), um die aktuellen Leistungen zur Ansprache und Gewinnung von Talenten zu messen.
    • Erarbeiten Sie eine Liste mit Messgrössen bzw. Kennzahlen, die mit dem angestrebten Anliegen zur Ansprache und Gewinnung von Talenten verknüpft sind.
    • Wählen Sie die zu berücksichtigenden Messgrössen bzw. Kennzahlen aus:
      • Fähigkeit der Messgrösse bzw. Kennzahl, die Anliegen der Talentgewinnung und -ansprache genau zu bestimmen.
      • Verfügbarkeit und Zugriff auf Messgrösse bzw. Kennzahl.
      • Verfügbarkeit von Benchmarkdaten.
  • Überprüfen Sie vorliegende Datenbestände im Unternehmen zur Identifizierung historischer Trends.
    • Wenden Sie sich an Abteilungen wie z.B. die Finanzabteilung, um weitere Informationen über Messgrössen bzw. Kennzahlen zu erhalten.
    • Analysieren Sie historische Daten auf mögliche Trends.
  • Messen Sie aktuelle Leistungsniveaus.
    • Organisieren Sie ein Team, um die aktuellen Leistungsniveaus zu messen.
    • Stellen Sie die Datenkonsistenz und -genauigkeit durch Schulung von Mitarbeitern, die mit der Messung von Leistungsniveaus beauftragt sind, sicher.

In den Foren der STRIMacademy wird hierzu eine online durchgeführte Unternehmensbefragung zu Outputgrössen der Talentansprache und –gewinnung verwendet [mehr Informationen].
Optional kann vorab der Auswertung und Berichterstellung noch ein Master-/Referenzmodell für Employer Branding, Recruiting, und/oder Berufsausbildung mit eingebunden werden. Dieses Modell beinhaltet alle relevanten Prozesse in einem dreistufigen Detaillierungsgrad, sowie daran ausgerichtete Mengengerüste sowie Kapazitäts- und Kostenverteilungen.

Die Intervention konzipieren

Sobald die Baseline-Leistung bekannt ist, sollte das Unternehmen den Interventionsprozess planen. Dazu gehört die Artikulation der gewünschten Ergebnisse, der wichtigsten Messgrössen und Kennzahlen, aktueller und zukünftiger Prozesse und der Zielbereiche.

Unternehmen neigen dazu, eine Reihe von Initiativen gleichzeitig zu starten, in der Hoffnung, dass wenigstens eine davon das gewünschte Ergebnis schon liefern wird. Dies scheitert in der Praxis, denn: Trotz gut gemeinter Versuche wird die Anpassung mehrerer Ansätze es dem HR-Team erschweren, die Auswirkungen einer bestimmten Intervention bei gleichzeitig laufenden Initiativen genau zu identifizieren und zu quantifizieren. In einer Zeit, in der Geschwindigkeit und Komplexität von entscheidender Bedeutung sind, müssen Unternehmen die Vorteile einer genauen Quantifizierung der Auswirkungen einer Intervention gegenüber dem möglichst gleichzeitigen Ansprechen mehrerer „Brennpunkte“ sorgfältig abwägen und dann die Option auswählen, die entlang des langfristigen Bedarfs des Unternehmens am besten geeignet ist.

Wesentliche Schritte:

  • Spezifizieren Sie Wünsche, Ergebnisse, Messgrössen und Kennzahlen, die sich aus der Intervention ergeben sollen.
  • Aktueller Prozess.
    • Dokumentieren Sie aktuelle organisatorische Prozesse und Richtlinien, die das Leistungsniveau beeinflussen.
    • Heben Sie auffällige Bereiche hervor, die sich negativ auf das Leistungsniveau auswirken können.
  • Vorgeschlagener zukünftiger Prozess.
    • Bestimmen Sie die Interventionsstrategie, die am effektivsten die Anliegen bei der Talentgewinnung und –ansprache aufgreift.
    • Artikulieren Sie vorgeschlagene Änderungen in organisatorischen Prozessen oder Richtlinien, um das Leistungsniveau zu erhöhen.
  • Zielgruppe/-population.
    • Identifizieren Sie Bereiche oder Gruppen, die für die Intervention am besten geeignet sind.
    • Konzentrieren Sie sich auf Bereiche oder Gruppen, welche die grössten geschäftlichen Auswirkungen haben.
    • Weisen Sie wenn möglich die Zielpopulation zwei Gruppen zu: Zielbereich und Kontrollgruppe.
    • Stellen Sie sicher, dass der Zielbereich und die Kontrollgruppe vergleichbar sind.
    • Erfassen Sie die aktuelle Leistung sowohl im Zielbereich als auch in der Kontrollgruppe.

Nach Auswertung der o.g. Online-Fragebögen werden von den Mitarbeitenden der STRIMacademy Berichte verfasst, in denen die Leistungsniveaus der einzelnen Unternehmen separiert und im Vergleich mit anderen Unternehmen grafisch aufbereitet werden.
Am Ende des Berichtes werden Handlungsempfehlungen mit aufgenommen, die mögliche Problemursachen und Handlungsfelder thematisieren und zur inhaltlichen Diskussion anregen.
Daneben kann optional vorab der Fachtagung ein sog. Methoden-Workshop Sinn machen [mehr Informationen].

Die Intervention umsetzen

In akademischen Umgebungen sind Kontrollgruppen essentiell für eine vertretbare Studie, aber in einem geschäftlichen Umfeld sind diese unter Umständen nicht möglich. Es ist jedoch wichtig, sorgfältig über Situationen nachzudenken, in denen ein Zielgebiet oder eine Zielgruppe getrennt behandelt werden kann, da dies die Auswirkungen der Intervention deutlich machen würde. In Fällen ohne Kontrollgruppen dienen Basismessungen der Leistung dazu, Unternehmen zu helfen, die relativen Auswirkungen ihrer Intervention auf die Leistung zu verstehen.

Im Rahmen der STRIM Fachtagungen werden konzipierte Interventionen diskutiert und im Erfahrungsaustausch mit Blick auf die Umsetzbarkeit strukturiert und ausformuliert. Hierzu gehört auch die Quantifizierung erwarteter Ergebnisse und Wirkungen entlang definierter Messgrössen bzw. Kennzahlen.

Wesentliche Schritte:

  • Stellen Sie ein Team zusammen, um die Intervention auszuführen.
    • Definieren Sie die Verantwortlichkeiten der Teammitglieder klar, um die Verantwortlichkeit sicherzustellen.
    • Kommunizieren Sie regelmässig, um sicherzustellen, dass das Team den Interventionsprozess genau kennt und einhält.

Optional kann im Nachgang zur Fachtagung ein sog. Hands-on-Workshop Sinn machen, um eine zielgerichtete Umsetzung anzustossen [mehr Informationen].

Leistungsmessung durchführen

Nach dem Eingriff sollte die gleiche Messgrösse bzw. Kennzahl, die zu Beginn verwendet wurde, erneut verwendet werden, um das Leistungsniveau zu messen. Dadurch wird festgestellt, ob die Interventionen zu wesentlichen Leistungsänderungen geführt haben.

Wesentliche Schritte:

  • Messen Sie die Leistungsstufen sowohl der Ziel- als auch der Kontrollgruppen.
    • Stellen Sie sicher, dass für den Zielbereich und die Kontrollgruppe dieselbe Messgrösse bzw. Kennzahl verwendet wird.
    • Stellen Sie sicher, dass Daten aus verschiedenen Gruppen sorgfältig behandelt werden, um Fehlklassifizierungen zu vermeiden.

Im STRIM Forum stellen wir diesen Schritt durch die jährliche Neuauflage von Auftakt-Webinar, Online-Befragung und abschliessender Fachtagung sicher.

Auswirkungen der Intervention evaluieren

Um den Erfolg einer Intervention zu bewerten, vergleichen Sie die Leistung nach der Intervention mit der Ausgangsleistung. Die Wirkung einer Intervention kann gemessen werden durch die Gegenüberstellung der Leistung vor und nach der Intervention. Das Unternehmen wird auf diese Weise in der Lage sein, die Vorteile der Intervention zu bestimmen und zu artikulieren und sich für die Fortführung ihrer Vorgehensweise zur Ansprache und Gewinnung von Talenten einzusetzen.

Wesentliche Schritte:

  • Berechnen Sie die Auswirkungen der Intervention.
    • Messen Sie die Veränderung der Leistungsniveaus.
    • Vergleichen Sie die Änderung des Leistungsniveaus des Zielgebiets mit der Kontrollgruppe.
    • Evaluieren Sie, ob die Änderung des Leistungsniveaus die gewünschten Ergebnisse erzielt hat.
  • Rollout der Intervention zur Kontrollgruppe / anderen Bereichen, wenn die Intervention gewünschte Leistungsniveaus erreicht.
    • Identifizieren Sie Verbesserungsmöglichkeiten und passen Sie den Interventionsprozess wo nötig an.
    • Starten Sie einen neuen Interventionszyklus.
    • Bestimmen Sie die Auswirkungen der zweiten Intervention und vergleichen Sie diese mit der ursprünglichen Intervention.
  • Identifizieren Sie nachhaltige Vorteile der Intervention; d.h.: Follow-up für einen Zeitraum nach der Intervention, um zu erfahren, ob es nachhaltige Veränderungen in der Leistungsfähigkeit gibt.

Ab dem zweiten Jahr einer Teilnahme am STRIM Forum erfolgt die Auswertung der o.g. Online-Fragebögen auch unter Einbindung der Messgrössen bzw. Kennzahlen der Vorjahre. Hierbei werden wiederum soweit möglich die Leistungsniveaus der einzelnen Unternehmen separiert und im Vergleich mit anderen Unternehmen grafisch aufbereitet und textuell erläutert.

Soweit nun zum systematischen, evidenzbasierten Ansatz entlang einer lernfeld-fokussierten Methodik.

Im dritten Beitrag dieser Reihe vertiefe ich die derzeit wichtigsten Strategien bei der Ansprache und Gewinnung von Talenten. Diese werden auch bei der diesjährigen Fachtagung „Wie unterstützt Analytik im Wettbewerb um talentierte Berufseinsteiger?“ am 21.-22. Juni im Hotel Schloss Edesheim (DE/Rheinland-Pfalz) im Mittelpunkt stehen.[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]