In den vorlaufenden Beiträgen habe ich in Teil 1 und Teil 2 dieser 3er Reihe dargelegt, warum Digital Transformation & Innovation mit Blick auf das BIP-Wachstum so wichtig ist und was aus HR-Perspektive die wichtigsten Stellhebel sind, um dieses Wachstum zu fördern. Was machen hierbei die Pioniere im Thema DT&I anders bzw. konsequenter als die Nachzügler?
Der Weg zu nachhaltigem BIP-Wachstum wird im Wesentlichen über drei Stufen erreicht:
- Digitale Innovation als Ergebnis neuer und besserer IKT-Ressourcen und -Dienste;
- Geschäfts-Innovation als Auslöser für neue Produkte und Dienstleistungen sowie verbesserte Geschäftsprozesse; und
- Branchenwachstum im Sinne steigender Produktivität und höherer Profitabilität.
Hierbei sind drei Einflussfaktoren unverzichtbar:
- Beschäftigte in MINT-Berufen sind für Unternehmen entscheidend, um ihre digitalen Innovationen in Geschäfts-Innovationen zu überführen.
- Investitionen in wissensbasierte Vermögenswerte – insbesondere Produkt- und Dienstleistungsdesign, Mitarbeiterschulungen und organisatorische Innovationen – sind der Schlüssel, um Geschäfts-Innovationen voranzubringen.
- Eine technisch versierte Belegschaft ist unverzichtbar, um die digitale Technologie optimal zu nutzen, um neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen und um letztlich produktiver und rentabler zu agieren.
Sechs Stossrichtungen erfolgreicher Unternehmen
Um die Wachstums- und Produktivitätseffekte der Neuen Digitalen Wirtschaft vollständig zu erfassen, muss eine digitale Strategie breit gefächert sein, da sie praktisch jede Funktion und Aufgabe in einer Organisation berührt. Sechs Stossrichtungen (vgl. TCB-Report Navigating the New Digital Economy: Driving Digital Growth and Productivity from Installation to Deployment) sind herbei hervorzugeben:
Welche Trends diese Stossrichtungen widerspiegeln, welche Herausforderungen und Handlungsfelder damit einhergehen, und welche Funktionen im Unternehmen dafür Verantwortung tragen werde ich nachfolgend kurz in Anlehnung an die Schwerpunkte des vorangegangenen Blogbeitrages am Beispiel der Trends 4 bis 6 deutlich machen.
Trend 4: Nachfrage nach digitalen Arbeitsplätzen und einer technisch versierten Belegschaft
Herausforderungen: Die am meisten nachgefragten Fähigkeiten (Statistiker, Operations Research-Analysten, Web-Entwickler und Computer-Systemanalytiker) sind am schwierigsten zu erhalten. Der Grossteil der derzeitigen Belegschaft ist noch nicht bereit für die Digitalisierung.
Handlungsfelder:
- Investieren Sie in digital-affine Talente, um „den Motor zum Laufen zu bringen“ und in der Folge digitale Dienste aufbauen und anbieten zu können.
- Entwickeln Sie ein Verständnis für Fähigkeiten, die bisher nicht als Kern in Unternehmensprozessen betrachtet wurden.
- Planen Sie deutlich höhere Vergütungsstrukturen, bessere Incentivierungspakete und Karrierewege für diejenigen mit analytischen Fähigkeiten ein, denn das Angebot ist knapp.
- Für die meisten anderen Berufe sollten Sie entlang Belegschaftssegmenten eine Reihe von Massnahmen umsetzen, um die für Ihre Digitalisierungsstrategie richtig qualifizierten Arbeitskräfte zu entwickeln, einschliesslich der Beschäftigung von Arbeitsmigranten, Telearbeit oder Offshoring.
- Wägen Sie mögliche Alternativen ab; einschliesslich externer Beratungsunterstützung, zeitlich befristeter Einbindung von Talenten, und/oder sog. Managed Services.
- Bringen Sie sich in sog. Best-Practice-Untersuchungen mit Fokus auf Recruiting, Aus- und Weiterbildung, sowie der Bindung von Mitarbeitenden mit ein.
Die Verantwortlichkeit liegt bei CHRO und CTLO.
Pepperl+Fuchs (vgl. Blogbeitrag vom 2. Juni 2015: Innovationen in der Praxis) gibt Vollgas im Bereich Industrie 4.0. Anfang des Jahres 2017 wurde das Start-up Neoception gegründet. Seitdem arbeiten Dr. Jörg Nagel und sein Team an der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle rund um das Thema „Industrial Internet of Things“ und stehen Kunden beratend zur Seite. Neoception ist der erste Schritt für Pepperl+Fuchs weg vom reinen Komponentenhersteller hin zum Systemanbieter von digitalen Mehrwertdiensten. „Super spannend bei der täglichen Arbeit in der Neoception ist die Freiheit und das Vertrauen, das wir von unseren Gesellschaftern geniessen. Wir dürfen uns sehr frei bewegen und dabei neue, innovative Lösungen für Pepperl+Fuchs und unsere Kunden entwickeln“, so Nagel im Gespräch. Die Herausforderung für Neoception und seine Belegschaft ist, sehr schnell aber auch bedacht vielversprechende Technologien zu beherrschen, Kunden vom Mehrwert zu überzeugen und sich damit im rasch entwickelnden Markt zu etablieren. Mitarbeitende vom Web-Designer über Backend-Entwickler bis hin zu Werkstudenten müssen neue Technologien weiterentwickeln können und sollten Spass daran haben, die Technologien kreativ in Kundenprojekten einzusetzen.
Die Schweiz wurde für das Jahr 2017 erneut zum innovativsten Land gekürt, eine Position, die sie seit 2011 innehat. Das gelingt dem Land vor allem dank einer wissensbasierten Wirtschaft und ihrer Fähigkeit, innovative Ideen in lukrative Projekte zu „verwandeln“. Die Basis dafür bildet ein lokaler Talentpool, der hoch qualifiziert ist; mit einigen der besten Forschungsuniversitäten Europas gibt es immer neue Möglichkeiten, um neue Talente zu fördern. Ein Beispiel für die dadurch entwickelte Innovationsfähigkeit ist die Schweizer Globalbank UBS, die damit begonnen hat, mittels Virtual Reality-Technologie Investmentportfolios für ihre Kunden zu erstellen.
Es sind diese „genährten“ Talente, die der Schweizer Geschäftswelt geholfen haben, dass auch Unternehmen wie Nestlé und Novartis jährlich Hunderte von Patenten beantragen.
Trend 5: Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit und Partnerschaften
Herausforderungen: Synergien zwischen vielen Parteien im Innovations-Ökosystem sind zeit- und ressourcenintensiv. Viele Variablen sind der Schlüssel für Standortentscheidungen in der Neuen digitalen Wirtschaft.
Handlungsfelder:
- Machen Sie die interne und externe Zusammenarbeit zu einem erfolgskritischen Bestandteil der Digitalisierungsstrategie.
- Fördern Sie die Zusammenarbeit mit Lieferanten, Kunden und Wettbewerbern, um Visionen zu schaffen und neue Plattformen zu entwickeln.
- Die Schaffung lokaler Innovationsplattformen zum Treffen, Zusammenarbeiten und Experimentieren in einer offenen Innovationsumgebung ist ein wichtiger Antrieb für die gemeinsame Wertschöpfung.
- Die bessere Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitnehmer durch gemeinsame Bildungs- und Ausbildungsprogramme über öffentliche und/oder private Partnerschaften kann dazu beitragen, Fachkräftemängel – wenigstens in einigen Kompetenzfeldern resp. Jobfamilien – zu reduzieren.
- Der einfache Zugang zu Startup- und Venture-Capital-Quellen ist der Schlüssel zur Innovation.
- Untersuchen Sie verschiedene Modelle des Innovationssystems in der Neuen Digitalen Wirtschaft auf Stärken und Schwächen und bewerten Sie die Anwendbarkeit für Ihr eigenes geografisches Gebiet (über das Silicon Valley hinaus!).
- Partnerschaften zwischen Unternehmen und Behörden können mit Richtlinien einhergehen, um neue Märkte zu entwickeln und Sicherheit, Schutz und Privatsphäre zu gewährleisten.
- Porters fünf Wettbewerbskräfte bleiben eine gute Handlungsanweisung für die Neue Digitale Wirtschaft.
Die Verantwortlichkeit liegt bei CHRO und CTLO.
Als L’Oréal nach einem Partner suchte, um sich mit einem grossen digitalen Ökosystem von Innovatoren und Start-ups zu verbinden, entschied man sich für die Founders Factory, einen in London ansässigen Beschleuniger und Inkubator für die Schaffung neuer digitaler Unternehmen. Kultur war einer der entscheidenden Faktoren. Beide Unternehmen waren gleichermassen begeistert von Innovation und Unternehmertum. Aber es gab auch einen wichtigen kulturellen Unterschied zwischen L’Oréal und seinem neuen Partner: L’Oréal konzentriert sich auf Perfektion, das Gegenteil einer Beta-und-Lern-Kultur in der digitalen Transformation. L’Oréals Beziehung zur Founders Factory ist nur eine seiner Strategien, die neue Wege in die Kultur einfliessen lässt. Es hat auch seine Führungskräfte auf Roadtrips geschickt, um Start-ups zu besuchen, Mitarbeiterschulungen durchzuführen. Ausserdem wurden in den letzten fünf Jahren viele digitale Experten eingestellt.
Trend 6: Agilität und Belastbarkeit als Antwort auf disruptive Kräfte
Herausforderungen: Disruption hat viele Gesichter; von Cyber-Risiken, über neue Marktteilnehmer, bis hin zu kommunikativen Herausforderungen in Verbindung mit sozialen Medien. Die Kenntnis und Vorbereitung auf Risiken und Disruption muss unternehmensweit erfolgen.
Handlungsfelder:
- Ergründen Sie die Ursachen des Gegenwinds im wirtschaftlichen Umfeld: schwache Verbrauchernachfrage, Angebotsengpässe, Mangel an Investitionen oder insbesondere Risikokapital, restriktive Regierungspolitik.
- Schaffen Sie eine Kultur der Innovation, Inklusion und Zusammenarbeit, die von einer effektiven Teamführung, einer Gedankenvielfalt und einem Schwerpunkt auf Kreativität und Unternehmertum unterstützt wird.
- Seien Sie sich bewusst: Systematische Managementpraktiken (klare Zielsetzung, Leistungsverfolgung und Belohnungen für aussergewöhnliche Leistung) zeigen starke Wirkungsbeziehungen zu höherer Produktivität.
- Experimentieren und schaffen Sie eine Kultur für „schnelles Scheitern“ und wiederholen Sie ständig den Weg zum Erfolg.
- Bereiten Sie sich auf interne und gesellschaftliche Auswirkungen von Entlassungen vor, wenn Arbeitsplätze computerisiert werden und betroffene Mitarbeiter eines Belegschaftssegmentes nicht re-integriert werden können.
- Richten Sie im positiven Falle Trainings- und Übergangsprogramme für diejenigen ein, die in neuen Märkten und Einsatzbereichen nachqualifiziert und neu integriert werden können.
- Erstellen Sie Pläne für interne und externe Sicherheitsverstösse und testen Sie diese.
- Streben Sie die Zusammenarbeit mit der Regierung (lokal, regional und national) an, um sorgfältig abzuwägen, wo Skaleneffekte und wo Wettbewerbseffekte mehr Sinn ergeben.
Die Verantwortlichkeit liegt einerseits bei CEO/CSO und andererseits bei CHRO und CTLO.
Im Jahr 2011 lud GE Eric Ries, den Autor von Lean Startup, zu einer Gruppe von Top-Führungskräften ein. Dieser Ansatz, der aus der agilen Software-Entwicklung stammt, nutzt einen iterativen Prozess des Bildens, Messens und Lernens. GE deckte die Organisation mit Kopien von Ries‘ Buch und David Kidders „The Startup Playbook“ zu. Es lud Ries dazu ein, in mehreren Runden der Top-5.000-Führungskräfte zu sprechen und Trainer zu schulen, welche die Methoden, die als GE FastWorks bezeichnet werden, im gesamten Unternehmen unterrichten sollten. Es startete auch das erste FastWorks-Projektteam.
Seitdem hat sich FastWorks mehr als bewährt. Das GE-Geschäftsfeld Industrial verkürzte die Zeit für die Einführung neuer Produkte (NPI) um zwei Drittel und die „Time to Customer Validation“ um 80 Prozent. Das Transport-Geschäft brachte zwei Jahre vor seinem Wettbewerb einen neuen Motor auf den Markt und übertraf die neuen EPA-Standards. GE Energy senkte die Entwicklungskosten für einen neuen Gasmotor um 60 Prozent. Wie viele Veränderungsprojekte löste auch FastWorks zuerst Widerstand aus. Eine „Sucht nach Recht“ und die Vorstellung, dass Scheitern keine Option sei – diese und andere alte kulturelle Werte standen im Weg.
Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
vielen Dank für den interessanten letzten Abschnitt in der Reihe DT&I und die Praxisbeispiele, die dieses „virtuelle“ Thema auch real greifbar machen.
Die Digitale Transformation stellt aus meiner Sicht ein weites Spektrum an Chancen für Unternehmen und auch Mitarbeitenden dar, da sich zum einen gänzlich neue Businessmodelle als auch Job-Profile/Weiterentwicklungsfelder ergeben.
Sicherlich kann nicht jedes Unternehmen den Schritt zu einem „Uber“ oder „Airbnb“ machen und über reine Plattformlösungen neues Geschäft generieren; aber solche Firmen können als Vorbild gesehen werden, wie man auch ohne eigene Assets (z.B. Betten) ein lukratives Geschäft betreiben kann. Wichtig ist hier der Kundennutzen. Entsprechend muss auch die DT an ihrer Customer-Experience gemessen werden.
Kleinere Unternehmen haben aus meiner Sicht zweierlei Optionen: Entweder sie gehen den Weg ein Parallel-Start-Up für die digitale Welt zu gründen und das traditionelle Geschäft sukzessive durch digitale Produkte zu ergänzen und ggf. irgendwann abzulösen; oder sie transformieren sich aus sich selbst heraus und transformieren/digitalisieren ihr Kerngeschäft mit Digitalen Experten aus der eigenen Organisation.
Beides ist möglich und ist je nach Situation des Unternehmens auch sinnvoll – bedarf aber durchaus unterschiedlicher Herangehensweisen im Auf- und Ausbau der digitalen Skillsets der Mitarbeiter und Führungskräfte und vor allem in der Unternehmenskultur.
Sehr geehrter Herr Bursy,
der Dank geht zurück an Sie für den wertvollen Kommentar. In der Praxis finden wir exakt die zwei Optionen, die Sie skizzieren. Pepperl+Fuchs beispielsweise gründete mit Neoception ein Start-Up mit einem deutlichen Mehrwert für Kunden. Mittelfristig – hier sind wir uns einig – muss sich auch die Unternehmenskultur sowie die Skillsets der Mitarbeiter und Führungskräfte im gesamten Pepperl+Fuchs-Konzern in diese neue Richtung verändern. Daimler geht mit Smart auch diesen Weg. Die Innovationen, wie derzeit die Intelligente Elektromobilität (EQ), werden bei Smart pilotiert und in Serie gebracht, bevor EQ die anderen Marken „erreicht“. Führungskräfte im Konzern verbringen einige Jahre bei Smart und tauchen quasi in deren Kultur, Arbeitsmodelle, Führungsstile, etc. ab. Anschliessend nehmen sie wieder Aufgaben in anderen Konzernsparten wahr.
„Der Elektro-smart war 2007 ein Pionier des elektrischen Fahrens. Jetzt legen wir den Schalter um. Wir sind bereit für den Start einer Elektro-Offensive, mit der wir alle Fahrzeugsegmente von der Kompakt- bis zur Luxusklasse abdecken werden.“ Dieter Zetsche.
Interessant ist natürlich auf die zweite Option: GE hat diese gewählt. Die in meinem Beitrag skizzierten (Zwischen-)Ergebnisse, die mit GE FastWorks erzielt werden konnten, geben GE Recht.
Ich denke, dass beide Optionen unter bestimmten Rahmenbedingungen Sinn machen. Wichtige Rahmenbedingungen sind meines Erachtens die Unternehmenskultur, die DNA der Führungskräfte, die Skillsets der Mitarbeiter, fluide interne Strukturen, sowie verwischende „Aussengrenzen“ der Unternehmen. Abhängig vom Reifegrad des jeweiligen Unternehmens wird eine der beiden Optionen greifen.