Durch die Engpässe am Arbeitsmarkt erhält der Talentbeschaffungsprozess eine noch höhere Priorität. Es ist an der Zeit, sich die Abteilung für Talentansprache und -gewinnung als Service Delivery Unit vorzustellen, die über die Geschäftsstrategie und unter Einbindung einer Strategischen Personalplanung ihre Recruiting- resp. TRM-Strategie ableitet und konkretisiert.

Das Bild zum Blogbeitrag ist bewusst gewählt. Musik und Noten scheinen zuerst einmal weit weg zu sein von Finanzkennzahlen und Unternehmenssteuerung. Was jedoch die Musik – im Bild: ein Orchester – bereits verinnerlicht hat ist die konsequente Ausrichtung auf den Kunden (den Zuhörer), eine von dort aus gedachte Strategie und eine daraus abgeleitete Rekrutierung neuer Musikerinnen und Musiker. Ähnliche Analogien gibt es auch aus dem Bereich des Sports.

Recruiter müssen also zahlreiche Informationen und Prognosen in ihre Überlegungen einbinden,

  • um zu bestimmen, welche Fähigkeiten das Unternehmen (das Orchester, die Sportmannschaft) in Zukunft benötigen wird,
  • um eine hervorragende Arbeitgebermarke und ein spannendes Bewerbererlebnis zu schaffen, und
  • um mit Geschäftseinheiten zielgerichtet zusammen zu arbeiten (z.B. Streicher, Bläser, oder Hochspringer, Stürmer); d.h. Kandidaten zu finden, welche die richtigen Fähigkeiten mitbringen und Kunden zufriedenstellen.

Nachfolgend habe ich Ihnen deshalb mit Bezug auf Ihren Unternehmensalltag insgesamt sieben Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Bitte schreiben Sie mir direkt unter diesen Beitrag Ihren Kommentar, Ihre Anregungen und/oder Ihre praktischen Erfahrungen. Darüber würde ich mich sehr freuen!

Sie haben eine Kundenmarke. Jetzt brauchen Sie eine Arbeitgebermarke

Ihre Arbeitgebermarke beinhaltet Aussagen zu Kultur, Nutzen, Auswirkungen von Nachhaltigkeits- und Gemeinschafts-Programmen, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, einer klaren Karriereentwicklung sowie dem Bewerbererlebnis.

Pflegen Sie eine separate Karriere-Website, die veranschaulicht, wie es ist, für Ihr Unternehmen zu arbeiten. Videos, Fotos und Mitarbeiterberichte sind gute Möglichkeiten, um Ihre Geschichte zu erzählen. Machen Sie auf Vergünstigen und Nebenleistungen, wie z. B. der Erstattung von Studiengebühren oder Sabbaticals, aufmerksam und stellen Sie heraus, was Sie unterscheidet.

Nutzen Sie soziale Medien – differenziert nach Zielgruppen (Talent Sourcing Canvas) -, um Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Verwenden Sie ggf. einen Hashtag #LifeAt [Firmenname] über mehrere Medien hinweg.

Achten Sie darauf, Marketing und Kommunikation in den Brandingprozess mit einzubinden. Branding ist kein isoliertes HR-Projekt.

Betrachten Sie Job-Kandidaten als Kunden

Führen Sie ein Journey-Mapping durch, um die emotionale Verbindung zu Bewerbern heraus zu finden. Sehen Sie sich alle Kontaktpunkte (Touch Points) Ihrer Website an, um sich für eine Talent-Community anzumelden, eine Bewerbung auszufüllen, ein Vorstellungsgespräch zu führen und ein Angebot abzugeben oder Kandidaten abzulehnen.

Halten Sie den Anwendungsprozess kurz und einfach; ggf. über ein mobiles Gerät.

Teilen Sie den Kandidaten genau mit, was sie erwarten können, z. B. potenzielle Assessments, Zeitrahmen und nächste Schritte; insbesondere dann, wenn es sich um einen längeren Bewerbungs- und Auswahlprozess handelt.

Lassen Sie die Kandidaten nicht hängen. Teilen Sie ihnen mit, wann der Job besetzt wurde.

Trainieren Sie Interviewfähigkeiten mit Ihren Recruitern.

Ziehen Sie in Betracht, dass sich Recruiter testweise bei anderen Unternehmen bewerben, um zu sehen, wer Assessments oder digitale Interviews durchführt, und um ein Gespür für gute und schlechte Bewerbungsprozesse zu bekommen.

Erstellen Sie Stellenanzeigen, welche die Aufmerksamkeit eines Arbeitssuchenden auf sich ziehen

Einige Stellenanzeigen lesen sich wie drei oder vier Stellenbeschreibungen in einem, was es schwierig macht, die richtige Person zu finden. Mehr und mehr Unternehmen listen nur noch die Mindestanforderungen für die (Plan-)Stelle auf, statt jede benötigte Fertigkeit.

Erstellen Sie zu den schriftlich hinterlegten Anzeigen auch sog. Video-Job-Postings. Meist beinhalten solche Videos Voice Overs und Footage, die die Kultur darstellen. Manche Videos geben einen kurzen Einblick in den Berufsalltag eines Mitarbeiters.

Testen Sie Ihre Stellenausschreibungen anhand verschiedener Überschriften und Berufsbezeichnungen, um zu sehen, welche die beste Traktion erzielen.

HR resp. Recruiter sollten mit einstellenden Linien-Managern und Geschäftseinheiten zusammenarbeiten, um den Job, den sie besetzen, wirklich zu kennen.

Gehen Sie bei der Personalbeschaffung kreativ vor, um versteckte Jobkandidaten zu finden

Bevor Sie das Datenbank-Mining von Indeed und LinkedIn nutzen sollten Sie einige Recherchen durchführen:

  • (A) Lebenswelten Ihrer Zielgruppen,
  • (B) relevanter Markt (Identifizierung von Wettbewerbern, Zielorganisationen und geografischen Regionen zur Gewinnung von Talenten),
  • (C) Branche (z. B.: wo werden Mitarbeitende gerade freigestellt/gekündigt, wo entstehen neue Geschäftsfelder).

Verwenden Sie „kreative Quellen“ (neben LinkedIn und Indeed), um Talente zu finden; wie z.B.

  • Branchenpublikationen (wer wird häufig zitiert oder hat neue Forschungsergebnisse publiziert),
  • Konferenzagenden und Rednerbios,
  • soziale Medien (insbesondere Blogger und Kommentatoren zu Blogbeiträgen),
  • auf Diversity basierende Organisationen, sowie
  • Netzwerke oder Nutzergruppen.
  • Starten Sie daneben eine Talentgemeinschaft.

Verstehen Sie die Rolle, die Sie versuchen zu rekrutieren und welche Fähigkeiten sie und die Organisation hierfür benötigen. Danach eruieren Sie, welche anderen Organisationen Mitarbeiter mit diesen Fähigkeiten beschäftigen. Beginnen Sie dort mit der Beschaffung.

Gehen Sie neue Wege und suchen Sie nach Personen, die potenziell einen Job mit einem breiteren Skillset ausführen können, auch wenn sie diese Rolle noch nie innehatten.

Es ist schwieriger, die Aufmerksamkeit der glücklich Beschäftigten zu erlangen

Wenn Sie auf LinkedIn mit passiven Kandidaten Kontakt aufnehmen, sagen Sie nicht: „Ich bin in LinkedIn auf Ihr Profil gestossen, habe eine Vertriebsposition im Unternehmen XYZ zu besetzen und denke, dass Sie dafür geeignet wären. Bitte kontaktieren Sie mich unter … .“ Da passive Kandidaten keinen Job suchen, wird eine solche Formulierung keine Resonanz auslösen. Verwenden Sie stattdessen kurze personalisierte Nachrichten mit der Absicht, eine Konversation zu starten oder um Hilfe zu bitten, beispielsweise: „Ich bin in LinkedIn auf Ihr Profil gestossen und Ihr Hintergrund ist faszinierend. Wir suchen Vordenker im Thema XYZ und ich würde mich über ein Gespräch mit Ihnen sehr freuen. Ich habe auch bemerkt, dass wir XYZ als gemeinsamen Kontakt haben (die Welt ist klein!).

Trainieren Sie Recruiter, um zu erkennen, dass

  • passive Kandidaten nicht so begeistert von der Stelle sind,
  • wahrscheinlich wählerischer als andere Kandidaten sind, die sie so oft interviewen, und dass
  • sie viele Fragen haben werden: Kultur, Umsatz, Flexibilität, etc.

Trainieren Sie Recruiter in unbewusster Voreingenommenheit sowie in D&I-Praktiken

Führen Sie ein Diversity-Awareness-Training für Recruiter durch. Zu den Themen gehören

  • der Umgang mit einer Mehrgenerationen-Belegschaft,
  • die Überwindung vorgefasster Vorstellungen von Veteranen,
  • die Bewältigung kultureller Unterschiede (z. B. wird in manchen Kulturen Augenkontakt als respektlos und bedrohlich wahrgenommen und kein Augenkontakt als ein Zeichen von Respekt),
  • geschlechtsspezifische Sprache, einschliesslich
  • verschiedener Denkweisen im D&I-Bereich. So kann die Formulierung „Bringe dein ganzes Selbst zur Arbeit“ verschiedenen Menschen verschiedene Dinge bedeuten.

Verwenden Sie Storytelling und Rollenspiele im Training von Vorurteilen, weil sie ein Gespräch über D&I ankurbeln können.

Hüten Sie sich vor unterschwelligen Botschaften in Stellenangeboten, die dazu neigen könnten, eine Generation über eine andere zu stellen; z.B.: „Super-Spass-Büro-Partys“, „Treten Sie einem jungen, dynamischen Team bei“ und „Sie sind ein digitaler Einheimischer.“ Versuchen Sie stattdessen, Fotos von gemischten Generationen auf Ihrer Karriereseite zu zeigen.

Talent Analytics zur Implementierung der Talentgewinnungsstrategie einbinden

Dashboards helfen dabei, die Einstellungsgeschichte „zu erzählen“. Sie sehen damit z.B. auf einfache Weise, wie viele Stellen insgesamt besetzt wurden, die Anzahl der Stellen nach Segmenten (Belegschaft, Region, Geschäftsbereich, Abteilung) und Einstellungen mit Hilfe diverser Rekrutierungskanäle.

Konsolidieren Sie Ihre HR-Daten mit Daten aus anderen Unternehmensbereichen, wie Gehaltsabrechnung, Gesamtvergütung, Lernen und Entwicklung, Demografie, Diversity und Inklusion, sowie Finanzen. Auf diese Weise können Sie eingehendere Analysen durchführen, z. B. die Fluktuationshistorie entlang Jobfamilien, die Beziehung zwischen Entgelt und Umsatz, Bereiche mit hoher Fluktuation in bestimmten Regionen oder Geschäftseinheiten, Kosten pro Einstellung, Kosten für die Anwerbung von Talenten und welche Quellen haben die niedrigsten freiwilligen Fluktuationsraten. Aktualisieren Sie die Daten regelmässig.

Nutzen Sie Prognosen, um Ihre Talentgewinnungsstrategie zu bestimmen. Fragen Sie z.B.: Wird die Organisation in Zukunft XYZ-Fähigkeiten benötigen? Wie viele Leute im Unternehmen haben bereits diese Fähigkeit? Wie viel mehr Leute mit dieser Fähigkeit brauchen wir jetzt? Wie viele Menschen mit dieser Fähigkeit werden wir in Zukunft brauchen? Sobald Sie die Nachfrage nach der Fertigkeit ermittelt haben, können Sie eine Strategie zum Finden von Personen mit dieser Fertigkeit entwickeln (Strategische Personalplanung).

Stellen Sie datenaffine Mitarbeiter ein, um eine Architektur für die Daten zu erstellen, mit der Sie diese in Messwerte konvertieren und komplexe Analysen durchführen können. Stellen Sie auch Personen ein, die Anfragen über die Datenbanken ausführen und diese Informationen dann in Berichte und Geschichten umwandeln können.

Binden Sie bei der Einbindung neuer Technologien insbesondere die IT- und Risikomanagement-Abteilungen mit ein.

Fazit

Arbeitnehmer haben auf dem heutigen Arbeitsmarkt viele Optionen. Denken Sie daran, dass Sie nicht mehr nur Jobs anbieten, sondern eine Erfahrung. Zeigen Sie daher, warum sie für Ihre Organisation arbeiten sollten.

Ein fester Bestandteil Ihrer Arbeitgebermarke ist das Bewerbererlebnis (Candidate Experience). Ziel ist es, den Bewerbungsprozess für den Job-Kandidaten so angenehm wie möglich zu gestalten.

Ihre Stellenangebote sind ein weiterer wichtiger Bestandteil der Arbeitgebermarke. Gestalten Sie diese benutzerfreundlich und spassig. Überfrachten Sie diese Angebote nicht mit Anforderungen, die letztlich nicht entscheidend für die Besetzung sind.

Da passive Kandidaten keinen Job suchen, haben Sie b.a.w. nur die Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen. Nutzen Sie diese!

Eine gut ausgebildete Belegschaft ist produktiver. Stellen Sie also sicher, dass Sie Mitarbeiter einstellen, die anders aussehen und handeln als Sie. Seien Sie sich bewusst, dass Sie in Stereotypen denken und handeln.

Talent Analytics liefert Ihnen Informationen, die Sie dabei unterstützen, faktenbasierte und daher fundierte Entscheidungen zu treffen.

Menschen mit Mut und Charakterstärke nutzen Leidenschaft und Ausdauer, um langfristige Ziele zu erreichen, und sie bestehen trotz Widrigkeiten. Die Leidenschaft ist der Schlüssel, weil sie dazu führt, weiterzumachen, wenn es schwierig wird. Menschen mit Mut und Charakterstärke haben häufig eine ausgeprägte Wachstumsmentalität, weil sie eher neue Ansätze ausprobieren, wenn sie mit Herausforderungen konfrontiert sind.
Im Ergebnis bedeutet das: Rekrutieren Sie entlang Mut, Charakterstärke und Wachstumsmentalität. Menschen mit diesen Merkmalen haben tendenziell eine längere Verweildauer im Unternehmen und erreichen dort anspruchsvollere Positionen.[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]