In einem früheren Beitrag vom 31. Januar 2017 bin ich auf die zentrale Bedeutung von Kultur zum Gelingen digitaler Transformation eingegangen. Nachfolgend werde ich mit Bezug auf Studien von McKinsey, The Conference BoardLEAD, sowie der Universität St. Gallen einige Aussagen des früheren Beitrages vertiefen und um das Thema Agilität ergänzen. Ausserdem werde ich die Rolle von HR beleuchten.

Die Kernaussage bleibt: Um Erfolg zu haben ist es notwendig, über eine technologische Transformation hinaus eine personelle Transformation anzustreben.

Über den Stellenwert der Innovationskultur – diese beinhaltet eine konstruktive Fehlerkultur, eine Feedback-Kultur, sowie eine Vertrauenskultur – habe ich bereits ausführlich geschrieben; so z.B. in: Innovationsstrategien und Innovationskultur, in: Digitale Transformation: ängstlich? verwirrt? überfordert?, sowie in: Digitale Transformation erfordert neue Denkweisen – 4-Teiler!.

Innovationskultur

Alles gesagt also? Nicht ganz.

Kulturelle Herausforderungen in Unternehmungen

McKinsey publizierte kürzlich im Beitrag „Culture for a digital age“ u.a. eine interessante Kernaussage: Kulturelle Hindernisse korrelieren deutlich mit der negativen Wirtschaftsleistung.

Demzufolge korrelieren die Hürden bei der Digitalisierung und dem Firmenergebnis auf Werte zwischen -0.36 und -0.47. Am stärksten schlägt das Fehlen einer Innovationskultur, einer digitalen Kultur, zu Buche. Danach folgen die Silostrukturen und die zu geringe Risikobereitschaft.

McKinsey kommt zum Schluss: Führungskräfte, die auf organisatorische Kulturen warten, um sich organisch zu verändern, bewegen sich zu langsam, wenn die digitale Durchdringung wächst, die Grenzen zwischen den Sektoren verschwimmen und die Wettbewerbsintensität zunimmt. Stattdessen sind Führende gefordert, Kultur pro-aktiv mit zu gestalten.

Wie Beispiele des US-Händlers Nordstrom und der Café-Kette Starbucks zeigen, schlagen einige Unternehmen neue Wege ein, um eine Innovationskultur zu institutionalisieren und damit eine wesentliche Hürde bei der Digitalisierung aus dem Weg zu räumen.

In der Studie „Driving Digital Transformation: Why Culture and Structure Matter“ von #TheConference Board werden in puncto Organisationskultur folgende Merkmale hervorgehoben:

  • Extreme Kundenorientierung. Digitale Transformation ermöglicht es Unternehmen, sich kontinuierlich mit aktuellen und potenziellen Nutzern zu verbinden, die eine Quelle für neue Möglichkeiten darstellen können. Aber digitale Technologien schaffen auch höhere Erwartungen bei den Kunden.
  • Offenheit für digitale Disruption. Neugier und Neugierde werden geschätzt und sie werden von den Mitarbeitern auf allen Ebenen erwartet, unabhängig von ihrer Rolle.
  • Unternehmertum. Führungskräfte von alt eingesessenen Organisationen, d.h. grosse, traditionelle, langjährige Firmen, wünschen sich, dass sie die kulturellen Qualitäten eines digitalen Unternehmens wie Google oder Facebook klonen könnten.
  • Innovation. Es sollte demokratisiert werden, anstatt den Blick nur auf eine kleine Elite zu richten; dies ist kein Widerspruch zu unseren Ausarbeitungen bzgl. der Digitalisierungselite.
  • Risikobereitschaft und Experimentierfreude. Es werden konzertierte Anstrengungen unternommen, um die Risikobereitschaft und die Toleranz eines Unternehmens zu verändern.
  • Zusammenarbeit. Fluide Teams und erweiterte Netzwerke müssen von einer Kultur unterstützt werden, die gemeinschaftliche Bemühungen und Problemlösungen berücksichtigt.
  • Offenheit für Aussenseiter. Anstatt Ideen oder Menschen  zu misstrauen, weil sie „von aussen“ kommen, müssen Unternehmen für sie empfänglich sein; egal, ob sie von einem Ökosystempartner, einer Crowdsourcing-Plattform oder einem temporären Mitarbeiter kommen.
  • Transparenz. In der digitalen Welt ist es viel schwieriger für Unternehmen, den Informationsfluss innerhalb und ausserhalb ihrer Unternehmensgrenzen zu kontrollieren. Unternehmen, die eine solche Transparenz als Chance begreifen, können sie zu ihrem Vorteil nutzen.

Nun noch kurz zur LEAD-Studie „Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt“. Auch hier finden wir die o.g. Hindernisse wieder – nur etwas anders aufbereitet. Dieser Studie zufolge „wächst bei den Mitarbeitenden auf allen Ebenen angesichts rasanter Veränderungen und einer wachsenden Verunsicherung das Bedürfnis nach Orientierung. Dies gilt auch und sogar verstärkt für die mittlere Managementebene“.

Führungskräfte – so die Studie – bewegen sich in Spannungsräumen. Drei Cluster von Spannungsräumen, in denen Führungskräfte die grössten Herausforderungen zu bewältigen haben, sind zu unterscheiden:

  • die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sicherstellen,
  • mit der Organisation interagieren,
  • die eigene Rolle als Führungskraft ausgestalten.

Führungskräfte müssen beides können: sowohl Risikobereitschaft zeigen und Freiräume für Neues geben als auch dafür Sorge tragen, dass das Kerngeschäft läuft und die wirtschaftliche Basis gesichert bleibt. Ich bezeichne dies häufig als Balance von operativer Exzellenz einerseits und Wachstum durch Innovation andererseits. Dieser Spannungsraum erzeugt Zielkonflikte bei der Verteilung von zeitlichen Ressourcen, Kapazitäten und Investitionen. Die wichtigste Herausforderung ist es demzufolge, eine Kultur zum Leben zu erwecken, in der sich Kerngeschäft und Innovation gegenseitig befruchten.

Organisationen sind tendenziell beharrend, oft veränderungsresistent. Wettbewerbsfähigkeit hingegen setzt ein hohes Mass an Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft, Agilität und Anpassungsfähigkeit voraus. Eine Führungskraft muss also permanent gegen die Beharrungskräfte und die Schwerfälligkeit einer Organisation ankämpfen, will sie die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens stärken.

Die inneren Spannungen, denen Führungskräfte bei der Bewältigung der Spannungsräume ausgesetzt sind, sind hoch. Entscheidungen haben sie letztlich alleine und persönlich zu verantworten; Führende sind „accountable“!

Welche Rolle spielt Agilität?

Vor gut drei Jahren habe ich zu Agilität geschrieben: Agilität bedeutet Standardisierung und Wandel „nach Bedarf“, Balance von Effizienz und Wachstum durch Innovation, Parallelität von Kostendruck und Umsatz- resp. Gewinnsteigerung, sowie hohe Rendite bei hohem Risiko – auf Basis von Vision, Mission und Unternehmenswerten.

Das entspricht in etwa der Quadratur des Kreises, denn angesichts grassierender Unsicherheit, Komplexität und Unübersichtlichkeit sehen sich Führungskräfte häufig gefordert, ihrem Umfeld Sicherheit und Ruhe zu vermitteln und Orientierung zu geben. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten müssen sie hingegen die Organisation in einen Zustand ständiger Unruhe versetzen, Dynamik einfordern und Agilität vorleben.

Ich empfehle deshalb folgenden Orientierungsrahmen:

  • Agile Werte bilden das Fundament. Sie spiegeln die wesentlichen Grundsätze wider: ein Mehr an Flexibilität und ein Weniger an unnötigen Strukturen. Prüfen Sie, inwieweit Agilität per heute zu Ihnen und Ihrem Unternehmen passt. Agile Werte sind:
    • Menschen und deren Zusammenarbeit sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
    • Ein funktionierendes Produkt ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation – auch, wenn letztere hilfreich ist.
    • Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen.
    • Die Reaktion auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
  • Agile Prinzipien basieren auf agilen Werten und bilden Handlungsgrundsätze. Hierzu gehören beispielsweise Iterationen, Inkremente (funktionierende Teilprodukte mit Kundennutzen), Reviews, Retrospektiven und selbstorganisierte Teams.
  • Agile Techniken sind konkrete Verfahren zur praktischen Umsetzung der Werte und Prinzipien. Zu den bekanntesten Techniken gehören Task Board, Use Cases – sehr beliebt im Thema Analytics! -, Daily-Standup-Meetings, Burn-Down-Charts, Planning Poker, sowie Earned Value.
  • Agile Methoden geben den agilen Techniken eine Gesamtstruktur.  Auf der Ebene von Prozessmodellen werden Prinzipien und Techniken zu einem schlüssigen Prozess kombiniert. Die wohl bekannteste Methode ist Scrum und stammt wie viele andere Methoden auch aus der Softwareentwicklung. Allerdings ist Scrum nur ein Rahmenwerk; d.h., es gibt Strukturen vor, jedoch keine konkreten Techniken.

Fakt bleibt: Keine Agilität um jeden Preis! Der Hauptnutzen von Agilität im Rahmen einer digitalen Transformation muss in einer gesteigerten Effektivität (im Sinne von „Tun wir die richtigen Dinge?“) bei steigender Effizienz („Tun wir die Dinge richtig?“) liegen; wissend, dass eine digitale Transformation ein freies, uneingeschränktes Nachdenken erfordert, welches einer strikten Planung und einem planmässigen Handeln bzw. Abarbeiten gegenübersteht.

Aktuell wird in Unternehmen das Pferd noch zu häufig von hinten aufgezäumt, heisst: Scrum-Schulungen sind „in“, über die zugehörigen Werte sowie die Implikationen auf Kultur und Führung ist man sich häufig jedoch nicht im Klaren. Ausserdem meinen viele, dass die Durchführung von Daily Scrum Meetings ein klares Bekenntnis zu Agilität sei. Das ist leider für die erfolgreiche Gestaltung einer digitalen Transformation bei Weitem nicht ausreichend.

Welche Rolle spielt HR?

HR-Fachleute können eine Schlüsselrolle bei der Stärkung der Werte spielen, welche die digitale Transformation erfordert. Nachfolgend zähle ich einige spezifische Aktionen auf:

  • Ergründen Sie die kulturellen Komponenten, die Unternehmen konsequent umsetzen, um digitale Transformation erfolgreich zu gestalten.
  • Beobachten Sie die Wahrnehmung Mitarbeitender auf Unternehmens- und auf Arbeitsgruppenebene bzgl. kultureller Werte.
  • Unterstützen Sie Führende bei der Gestaltung der Organisations-/Unternehmenskultur.
  • Helfen Sie mit, den Widerstand gegen den Wandel zu überwinden, indem sie den Mitarbeitern helfen, die Auswirkungen der Digitalisierung auf das geschäftliche Umfeld zu verstehen und geben Sie ihnen die Möglichkeit, Fragen zu stellen, Bedenken zu äussern und neue Arbeitsweisen kennen zu lernen.
  • Untersuchen Sie externe Arbeitstrends in Talent-/Belegschaftssegmenten
    [mehr Informationen], die für den Erfolg Ihrer Organisation entscheidend sind.
  • Machen Sie eine Bestandsaufnahme der aktuellen Kompetenzen, Fähigkeiten und Qualifikationen Ihrer Belegschaft und entwerfen Sie eine Lernstrategie, um sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter für die digitale Wirtschaft auszustatten.
  • Beurteilen Sie aktuelle Human Resources-Praktiken – einschliesslich Performance Management, Karrieremobilität, Anerkennungen und Belohnungen – um sicherzustellen, dass sie an den Werten und Verhaltensweisen, die Sie streben, ausgerichtet sind.
  • Überlegen Sie, ob die physischen Arbeitsräume Ihrer Organisation für eine Zusammenarbeit förderlich sind.
  • Rüsten Sie Mitarbeiter mit den richtigen digitalen Werkzeugen aus, um zusammenzuarbeiten, zu innovieren und über interne und externe Grenzen hinweg zu arbeiten.
  • Werden Sie ein Student der digitalen Transformation. Suchen Sie eine enge Zusammenarbeit mit Führungskräften, Marketing und anderen Funktionen, um ein Auge auf Störungen in Ihrem Ökosystem zu richten; idealerweise bevor diese an die Oberfläche kommen.

Fazit

Zu den kritischsten Treibern oder Hindernissen der digitalen Transformation gehören Faktoren, die von Human-Capital-Führungskräften verantwortet werden: Unternehmenskultur, Struktur, Führung, Talent und Kompetenz.

Aussagen zur Unternehmenskultur im Sinne einer Innovationskultur standen in diesem Blogbeitrag im Vordergrund. Daneben gilt:

  • Das Verwischen externer Grenzen ermöglicht digitale Transformation (Partnerschaften innerhalb des Ökosystems, Investitionen in Startups, Akquisitionen, digitale Plattformen, Open Innovation).
  • Interne Strukturen müssen digitale Transformation ermöglichen (flexible Strukturen und Netzwerke, fluide Teams, dezentrale Entscheidungsfindungen).
  • Unternehmen müssen sich für eine digitale Zukunft fit machen (digitale Plattformen, Talentplattformen mit Such- und Matching-Möglichkeiten, Balance von Buy, Build, Borrow, Redeploy).
  • Die Rolle von HR muss sich deutlich verändern, wenn HR-Fachleute bei der digitalen Transformation eine tragende Rolle spielen wollen.