Ausbildung ist kein Selbstzweck. Die Betonung der gesellschaftlich-sozialen Verantwortung spielt sicherlich eine Rolle, aber keine treibende. Fakt ist: Auch und gerade im Zeitalter technischer Innovationen – Roboter, selbstfahrende Autos, 3-D-Drucker – wird es ohne gut ausgebildete Mitarbeitende keinen bzw. keinen wettbewerbsfähigen Anstieg der Arbeitsproduktivität geben.

Viele Lehrlings-/Ausbildungsverantwortliche fragen sich deshalb: Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sollten wir ausbilden? Wie müssen wir unser Vorgehen im Betrieb ändern, um junge Menschen zu gewinnen und zu halten? Wie machen wir unseren Beitrag zum gesamten Unternehmenserfolg deutlicher?

In einer 3-teiligen Serie werde ich versuchen, Antworten auf diese Fragen zu liefern. Im ersten Teil gehe ich v.a. auf die Strategische Personalplanung und die Zielgruppenanalyse ein und ziele damit auf die Frage: Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sollten wir ausbilden?

Grundlage: Strategische Personalplanung

Die Ausrichtung der Berufsbildung muss das Ergebnis einer strategischen Personalplanung sein, denn die Talentverknappung stellt aus mehreren Gründen eine grosse Herausforderung dar

[mehr]. Nur mit Hilfe einer solchen Planung kann sich ein Ausbildungsbetrieb einigermassen sicher sein, die richtige Anzahl junger Menschen mit den richtigen und für den Betrieb notwendigen Kompetenzen auszubilden. Die strategische Personalplanung verzahnt die Unternehmensstrategie mit der Personalstrategie. In meinem Buch „Die neue Berufsausbildung – strategisch, agil, wirtschaftlich“ beschreibt Herr Dr. Senn sehr eindrucksvoll am Beispiel der SBB, wie ihm dies gelungen ist. Wir sollten in unseren Planungen heute schon davon ausgehen, dass die Belegschaft in wenigen Jahren aus einem Ökosystem fest angestellter Mitarbeiter, Zeitarbeitskräften, externen Spezialisten, etc. bestehen wird.

Hierzu sind etliche strategische Analysen – unternehmensextern und -intern – notwendig. Die wohl bekannteste externe Analyse ist die PESTEL-Analyse. Im Rahmen der wirtschaftlichen Einflussfaktoren (das erste E) ist m.E. die Analyse des relevanten Arbeitsmarktes besonders wichtig. Entwicklungen des Arbeitsmarktes bspw. in der Altenpflege, bei MINT-Berufen, in der Mechatronik und Automatisierungstechnik, etc. sollten, ja müssen in die strategische Personalplanung mit einfliessen.

Differenzierung nach Zielgruppen

Eine weitere strategische Analyse ist die Zielgruppenanalyse. Hierzu führen wir mit Unterstützung zahlreicher Online-Plattformen und Ausbildungsbetrieben jährliche Schülerbefragungen durch und publizieren die Ergebnisse in Form sog. Berufsbildungsstudien. Im Jahr 2016 standen u.a. folgende Kernthemen im Vordergrund [mehr]:

  • Akademisierung: Schüler/-innen mit Hochschulzugangsberechtigung – überwiegend weiblich sowie konventionell und konservativ-bürgerlich – fühlen sich eher schlecht darauf vorbereitet, Bewerbungen zu schreiben, für den Umgang mit Onlinebewerbungen, für die Berufsorientierung, auf die Ausbildungsinhalte, auf Vorstellungsgespräche, den Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern und in Bezug auf IT-Kenntnisse. Wichtig ist ihnen Sicherheit im Beruf.
  • Digitalisierung: Die Digitalisierungselite ist überwiegend männlich, gehört der Lebenswelt der Bodenständigen an und präferiert Sicherheit, gute Ausbilder, Erfolg und hohe Übernahmechancen. Für den Erwerb von Kompetenzen für das 21. Jahrhundert ist ein ausgewogenes Verhältnis von fachlicher und überfachlicher Qualifikation Voraussetzung.
  • MINT: MINT-ler sind überwiegend männlich; die meisten kommen aus der Realschule/Werkrealschule (DE), Sekundarstufe B (CH), neue Mittelschule und Polytechnikum (AT). MINT-ler legen Wert auf Umweltschutz und soziale Verantwortung; sie suchen Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Social Media Recruiting: Social Media spielen eher beim Employer Branding eine Rolle, weniger im Recruiting. Nur ein gutes Drittel der Befragten bewertet Social Media als wichtig bzw. sehr wichtig; Schülerinnen und Jugendliche mit höherem Bildungsniveau sind hierbei in der Minderheit.

Für Deutschland haben wir vier Jugendcluster in der Berufsorientierung identifiziert: Traditionsverbundene, Erfolgsorientierte, Bodenständige, und Erfahrungshungrige. Der Akademisierungswahn offenbart ideologischen Irrtum; es ist fatal! [mehr].

In der Deutsch-Schweiz haben wir uns auf drei Lebenswelten Jugendlicher fokussiert: Traditionsverbundene, Erfolgsorientierte, und Harmonieorientierte. Übergreifend spielen Social Media für die Informationsbeschaffung zu Lehrberufen nur eine untergeordnete Rolle; Platz 16 von 19 Wahlmöglichkeiten [mehr].

Status Quo in den Betrieben

Auf Basis der oben skizzierten Strategischen Personalplanung in Verbindung mit einer detaillierten Zielgruppenanalyse – bezogen auf die Gen Z, Gen Alpha, die sog. Digital Natives – können Bildungsverantwortliche nun gezielt in das Talent Relationship Management einsteigen. Meiner Einschätzung nach hat sich die Berufsbildung als solche jedoch in den letzten ca. 20 Jahren in den Betrieben kaum verändert. Die Rahmenbedingungen, wie z.B. die Anforderungen der Betriebe und die Erwartungen der jungen Berufseinsteiger, dagegen sehr. Hier ist bereits ein Spagat entstanden. Das Erfolgsmodell der Dualen Bildung wird zu Recht hinterfragt. In unseren Projekten und wissenschaftlich begleiteten Untersuchungen stellen wir fest, dass viele Verantwortliche in der Berufsbildung versuchen, den sich verändernden Rahmenbedingungen dadurch zu begegnen, dass sie

  • abhängig von der momentanen Wirtschaftslage mehr oder weniger Auszubildende/Lernende rekrutieren, ohne die mittelfristigen Auswirkungen zu Ende zu denken und valide Prognosen transparent gegenüber der Geschäftsleitung darzulegen,
  • Massnahmen anderer Betriebe ohne vorherige Analyse einfach kopieren,
  • teilweise stur an Erfolgsfaktoren der Vergangenheit festhalten – Beispiel: Boys Day, Girls Day – ohne Zielgruppen hinreichend detailliert zu analysieren, den Erfolg konsequent zu evaluieren, Dinge auch einmal anzupassen oder ganz einzustellen und neue Wege auszuprobieren,
  • vielfach zu einseitig auf Social Media setzen, nun von Facebook zu Whatsapp wechseln, häufig keine valide Brandingstrategie zugrunde gelegt haben und zu wenig cross-medial agieren.

Wissend, dass es viele exzellente Ausbildungsverantwortliche gibt, die einen hervorragenden Job machen, spreche ich hier von der Mehrzahl derjenigen, die Berufsbildung nicht konsequent genug neu ausrichten. Ich spreche deshalb bewusst von einem notwendigen neuen Geschäftsmodell Berufsbildung entlang der Leitlinie: structure follows strategy. Mehr dazu im zweiten Teil.