Je mehr sich CHROs auf die für sie relevante Customer Journey konzentrieren, um so mehr stellen wir im Thema People Analytics eine Verlagerung der inhaltlichen Schwerpunkte fest.

Nach wie vor liegt ein Fokus zwar auf HR-Themen wie Ansprache & Recruiting, Personalentwicklung und Mitarbeiterbindung. Gleichzeitig stellen wir einen zweiten, stark anwachsenden Strategie-Fokus rund um Kultur & Risiko, Mitarbeitererfahrung, sowie – abhängig von der HR-Kernstrategie – die strategische Personalplanung fest.

Welche Handlungsfelder und Fragen stehen bei diesen Themen aktuell im Vordergrund?
Wie setzen Unternehmen die Themen derzeit um – beispielhafte Use Cases?
Welche neuen Ansätze werden in diesen Themen gegenwärtig erarbeitet?

HR-Schwerpunkte

Beginnen möchte ich mit den „Klassikern“ im Thema People Analytics.

Ansprache & Recruiting

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Welcher Recruiting-Kanal liefert den besten Return on Investment?
  • Welche Rekrutierungskanäle sind am erfolgreichsten?
  • Was macht das Unternehmen als Arbeitgeber bei bestimmten Zielgruppen attraktiv?
  • Wie wird die Arbeitgebermarke wahrgenommen?
  • Welcher Bewerber passt am besten zu den gewünschten Fähigkeiten, zur Stelle, ins Team und zum Unternehmen?
  • Welche Merkmale der Stellenanzeige werden wahrscheinlich die gesuchten Talente anziehen?
  • Welcher Kandidat hat die höchste Wahrscheinlichkeit, nach der Einstellung hervorragende Leistungen zu zeigen?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

  • Die Adolf Würth GmbH & Co. KG, die Heidelberg Cement AG und etliche andere führen regelmäßig Touchpoint-Befragungen bei Schüler:innen durch – vom Erstkontakt bis zum Onboarding als Auszubildende oder dual Studierende. Die Unternehmen gewinnen damit Erkenntnisse zu den oben genannten Leitfragen und verbessern damit sowohl Effektivität als auch Effizienz relevanter Prozesse.
  • Die HelloFresh Deutschland SE & Co. KG geht noch weiter im Prozess und ermittelt auf Basis anonymisierter Mitarbeiterdaten, welche Einflussfaktoren dafür ausschlaggebend sind, dass ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin nachhaltig hervorragende Leistungen zeigt. Diese Faktoren werden im Recruitingprozess besonders hoch gewichtet.

Neue Ansätze:

Personalentwicklung

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Welchen Einfluss hat ein Onboarding-Programm auf die Frühfluktuation?
  • Welche Karrierewege sind für unsere Talente aufgrund ihrer aktuellen Fähigkeiten am wahrscheinlichsten?
  • Welche Mitarbeiter werden gute Führungskräfte und wer sollte gefördert werden?
  • Welche Trainings- und Entwicklungspraktiken fördern das Engagement und die Arbeitsleistung der Mitarbeiter?
  • Wie können wir eine effektive Nachfolgeplanung sicherstellen?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

  • Die Standard Chartered Bank beschäftigte sich mit den wichtigsten Fähigkeiten einer People-Analytics-Führungskraft: einen ausgeprägten Geschäftssinn, einen beratenden Ansatz, um Geschäftsprobleme zu verstehen, und hoch entwickelte Kommunikationsfähigkeiten.
  • A1 Telekom hat sich in dem Projekt „AI Meets Learning“ u.a. mit der Entwicklung maßgeschneiderter Lernangebote beschäftigt. Ein eigener AI-Algorithmus wurde genutzt, um den Abgleich zum Mitarbeiterprofil durchzuführen, und auch individuelle Entwicklungsangebote vorzuschlagen. Im Ergebnis konnten Qualifikationslücken identifiziert und aufgrund neuer Anforderungsprofile Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt und geschaffen werden.

Neue Ansätze:

  • Im Zuge von Fachkräftemangel und Digitalisierung kristallisieren sich einige Fähigkeiten als strategisch notwendig heraus. Darüber hinaus müssen sich Mitarbeitende ein digitales Mindset aneignen – eine Reihe von Einstellungen und Verhaltensweisen, die Menschen und Organisationen in die Lage versetzen, zu erkennen, wie Daten, Algorithmen und KI neue Möglichkeiten eröffnen und einen Weg zum Erfolg in einer zunehmend technologisierten Welt aufzeigen.
  • Nicht erst seit der Corona-Pandemie nehmen digitale Lernformate rasant zu. Sie sind on demand nutzbar sowie kosten- und ressourcenschonend einsetzbar. Um die Wirkung dieser Lernangebote zu evaluieren, sind allerdings valide Kennzahlen und Referenzwerte notwendig, die häufig erst aufgebaut bzw. entwickelt werden müssen.
  • Grundlage sollte das Predictive Learning Impact Model von Nick Bontis bilden.

Mitarbeiterbindung

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Wer wird höchstwahrscheinlich kündigen und warum?
  • Welche Maßnahmen können Manager und Unternehmen ergreifen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Mitarbeitende bleiben?
  • Welche Schlüssel-Mitarbeiter sind wann und warum abwanderungsgefährdet?
  • Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein bedauerlicher Abgänger in naher Zukunft wieder eingestellt wird?
  • Welche Auswirkungen haben das Mitarbeiter-Wellnessprogramm und die Gesundheit auf die Mitarbeiterbindung und -leistung?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

  • Nielsen verlor ständig wertvolle Mitarbeiter in wichtigen Geschäftsbereichen und Funktionen. Bei der Untersuchung des Fluktuationsproblems identifizierte das People-Analytics-Team zwei spezifische Gruppen von Mitarbeitern, von denen es vermutete, dass sie ein hohes Risiko darstellten, und testete diesen Verdacht anhand zweier Hypothesen. Im Ergebnis sank die freiwillige Fluktuationsrate auf die Hälfte der Rate, die im gleichen Zeitraum des Vorjahres zu verzeichnen war.
  • Westpac testete Hypothesen, die Anekdoten, Mythen und Überzeugungen im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden von Mitarbeitern in Frage stellten: (1) Arbeitsflexibilität wird mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht, (2) Mitarbeiter mit höherer Teamvolatilität sind eher von Stress betroffen. Die statistischen Modelle zeigten, dass Stressereignisse aufgrund der beobachteten Verhaltensweisen tatsächlich vorhersehbar waren.

Neue Ansätze:

  • Laut Gianni Giacomelli ist die Analyse der Netzwerkstärke in Bezug auf emotionale Unterstützung und die Fähigkeit, etwas zu bewirken, ein zuverlässiger Prädiktor für das Fluktuationsrisiko. Zwei Gründe sind hervorzuheben: (1) Haben Sie das Gefühl, Teil einer (guten) Gruppe zu sein? Geben Ihnen Ihre starken und schwachen Netzwerkverbindungen ein Gefühl der emotionalen Unterstützung, des „Gruppenflusses“ und der funktionalen Hilfe? (2) Sind Sie in der Lage, etwas zu bewirken – und zwar etwas, das anerkannt und belohnt wird?

Unternehmens-Schwerpunkte

Nun zu den „Shooting Stars“ im Thema People Analytics.

Kultur & Risiko

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Warum ist Kultur wichtig, was bedeutet Kultur und wie kann man Kultur verändern?
  • Ist Teamarbeit vorbei? Braucht es „Co-acting groups“ – lose Zusammenschlüsse von Mitarbeitenden im Laufe eines Projektes?
  • Wie können Unsicherheiten bewältigt und Burnout vermieden werden?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

  • Die Aufgabe bei der Merck KGaA bestand darin, eine datengetriebene Kultur in HR zu schaffen. Entlang einer Kulturpyramide wurde zunächst der Mehrwert  der neuen Kultur demonstriert. Zudem wurde mit Blick auf neun Kernkompetenzen in Aus- und Weiterbildung investiert. Daneben wurden Tools und Maßnahmen aufgesetzt, um People Analytics in der Breite von HR zu etablieren. Schließlich wurde Vertrauen in ein evidenzbasiertes Vorgehen aufgebaut und der Mentalitätswandel gefördert.

Neue Ansätze:

  • Dave Ulrich empfiehlt ein Spielbuch für die Kulturagenda. Denn neuere Untersuchungen zeigen, dass Kultur eine immer komplexere Herausforderung für Organisationen darstellt – eine Herausforderung, die durch die Pandemie und die Verlagerung auf hybrides Arbeiten nur noch verschärft wurde.

Mitarbeitererfahrung

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Was sind die Stimmungen und Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden, besonders in Krisenzeiten?
  • Wie reagieren Mitarbeitende auf unsere Strategie und Kommunikation?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

  • Die Strategie von ABN AMRO stellt das Mitarbeitererlebnis in den Mittelpunkt der Unternehmens- und Personalstrategie. Die doppelte Betonung der Umwandlung von Mitarbeiter- und Kundenerfahrungen und deren Verknüpfung unter dem Motto „Glückliche Menschen, glückliche Kunden“ hat sich als wichtiger Meilenstein für die Bank erwiesen. Der Ansatz des „Zuhörens“ ist dabei ein sich entwickelndes Gebiet für das People-Analytics-Team. Dabei kommt fortschrittliches Textmining zum Einsatz.

Neue Ansätze:

  • Befragungen von Insight222 zufolge, sind 45 Prozent der befragten Unternehmen der Meinung, People Analytics erzeuge im Thema Employee Engagement & Listening den höchsten Mehrwert. Dirk Petersen hat sich intensiv damit beschäftigt.
  • Dave Ulrich hat ein Konzept für psychische Gesundheit entwickelt. Dieses Konzept über das Warum, Was und Wie der Förderung der psychischen Gesundheit führt zu einer besseren Mitarbeitererfahrung und besseren Geschäftsergebnissen. Ein von Dave entwickeltes Audit könnte durchgeführt werden, um zu ermitteln, worauf man sich konzentrieren sollte, und um die Fortschritte zu verfolgen.
  • The EX factor: Serena Huang stützt sich auf Untersuchungen von McKinsey, um drei Möglichkeiten aufzuzeigen, wie People Analytics dazu beitragen kann, die Mitarbeitererfahrung als wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die Bindung von Talenten zu nutzen.
  • TI people hat mit EXI (Employee Experience Intelligence) einen Index entwickelt, der zeigt, ob die Mitarbeitererfahrungen an den zentralen Touchpoints eines Arbeitsverhältnisses positiv oder negativ vom Benchmark abweichen. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen sind in einem intuitiven Dashboard verfügbar, das es ermöglicht, Erfahrungsdaten aus erster Hand zu finden, zu priorisieren und zu nutzen.

Strategische Personalplanung

Handlungsfelder und Leitfragen:

  • Planen Sie für den künftigen Talentbedarf
  • Haben wir die Talente, die wir heute brauchen?
  • Welche Talente und Fähigkeiten werden wir in 24, 36 oder 60 Monaten brauchen?

Umsetzung – beispielhafte Use Cases:

Neue Ansätze:

  • Vier McKinsey-Autoren beschäftigten sich mit den zehn neuen Realitäten für das Finden, Halten und Entwickeln von Talenten und entwickelten ein Priorisierungsraster für die Personalplanung zur Identifizierung von Rollen, die aufgebaut, gekauft oder Partner werden sollen. Dieses fußt auf einer Studie von The Conference Board: Buy, Build, Borrow, or None of the Above? New Options for Closing Global Talent Gaps.
  • Laut einer Studie von PwC bestimmen vier Kräfte die Personalstrategie: Spezialisierung, Knappheit, Rivalität und Menschlichkeit. Unternehmen unterschiedlicher Branchen steuern das Zusammenspiel dieser vier Kräfte, um die Schaffung einer zukunftsfähigen Belegschaft zu unterstützen. Bindeglied zwischen Unternehmens- und Personalstrategie ist die strategische Personalplanung.
  • In der von MIT Sloan Management Review und Deloitte durchgeführten Studie „Future of the Workforce“ geht es um die Orchestrierung von Workforce Ökosystemen. Solche Systeme – mitunter auch unter dem Begriff Total Workforce Management diskutiert – zeichnen sich durch einige charakteristische Merkmale aus und bedingen die Einbindung mehrerer Funktionsbereiche.

Fazit

People Analytics entwickelt sich schnell zu einem der wichtigsten Bereiche der Personalabteilung. In früheren Beiträgen habe ich mich vor allem mit Grundlagen von People Analytics, dem richtigen Einstieg, notwendigen Fähigkeiten und der dafür notwendigen Kultur beschäftigt.
Dieser Beitrag gibt einen persönlichen, sicherlich nicht vollständigen, Überblick entlang aktuell wesentlicher Themenschwerpunkte.

Trotz der offensichtlichen Sinnhaftigkeit der Handlungsfelder und erster Umsetzungserfolge ist der aktuelle Implementierungsgrad gering. Jedoch ist laut aktueller Herausforderungen (Demografie, evidenzbasiertes HRM, etc.) und eigener Beobachtungen davon auszugehen, dass die Relevanz von People Analytics deutlich zunehmen wird.

Große Hürden sind nach wie vor die mitunter fehlenden Kompetenzen in psychometrischen Verfahren und empirischen Sozialwissenschaften, Sorge vor Widerstand innerhalb der Belegschaft und ungenügende Datenqualität.
Die größten Auswirkungen von People Analytics werden in der strategischen Personalplanung und im Recruiting erwartet.

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