Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind hilfreich, wenn es darum geht, Zusammenhänge in Unternehmen zu verstehen und Komplexität mit Hilfe wesentlicher Einflussfaktoren in den Griff zu bekommen. Bei aller Vielfalt, die es dabei geben kann; eine „Achse“ ist stabil: A compelling place to work (Mitarbeiterfokus) – a compelling place to shop (Kundenfokus) – a compelling place to invest (Eignerfokus).

Diese „Achse“ geht wesentlich auf umfangreiche Datenanalysen von Nick Bontis und Jac Fitz-Enz sowie darauf aufsetzende Untersuchungen von Mark A. Huselid, Brian E. Becker, Richard W. Beatty und J.+P. Phillips zurück. Auch Volker Jacobs et al haben wesentlich an dieser „Achse“ mitgearbeitet. Steigen wir ein!

Mitarbeiterfokus – Employee Experience (EX)

Employee Experience (EX) ist abgeleitet aus dem Customer Experience Management (CXM), mit dem positive Kundenerfahrungen sowie eine emotionale Bindung zwischen Anwender und Anbieter bzw. dessen Produkten erzielt werden sollen. Entsprechend steht EX für die Summe aller Erfahrungen, die ein Arbeitnehmer im Laufe seines Mitarbeiter- Lebenszyklus in einem Unternehmen macht. Und dieses Mitarbeitererlebnis kann der Arbeitgeber, insbesondere die Personalfunktion, aktiv gestalten.
Personalmanager sind deshalb gefordert, sich immer wieder in die jeweilige Situation des Mitarbeiters hineinzuversetzen, um zu verstehen, wie er seine Arbeitsumgebung erlebt, und dann das entsprechende Instrumentarium zur Verbesserung von EX zu entwickeln.

EX umfasst drei Arbeitsumgebungen resp. Dimensionen:

  • Physisch-organisationale Dimension: Sowohl der Standort, die Räumlichkeiten sowie die Gestaltung der Büros als auch die Arbeitsabläufe bestimmen die EX maßgeblich.
  • Die kulturelle Dimension zielt auf Führungs- und Kommunikationsverhalten, Bezahlung und Benefits sowie Chancen zur Weiterentwicklung. Welcher Führungsstil herrscht im Unternehmen? Wie steht es mit der Wertschätzung den Mitarbeitern gegenüber? Und wie sind Interaktion und Kommunikation im Unternehmen gelagert?
  • Bei der technisch-digitalen Dimension geht es v.a. um die technische Ausstattung am Arbeitsplatz: Hardware, Software und Arbeitsmethoden. Wie funktioniert die Infrastruktur – auch im Home Office? Diese Dimension ist durch die Pandemie deutlich wichtiger geworden.

Arbeitgeber fördern eine positive EX mit einer offenen Feedback-Kultur, in der sich Mitarbeiter frei äußern können. Das Management muss diese Kultur vorleben.

Für den Bezug von EX auf Employee Engagement ist wichtig:

  • Eine Steigerung des Engagements verbessert die Arbeitsproduktivität (Ermessensspielraum), die Bindung (Absicht zu bleiben) und die Attraktivität. Das Engagement macht 55 Prozent des gesamten Geschäftswerts von EX aus.
  • EX schafft mühelosere Erfahrungen für Manager und Mitarbeiter. Mühelosigkeit entsteht durch die Vereinfachung des Performance-Management-Prozesses für Manager und durch die Reduzierung der Komplexität interner Services. Durch die Rückgabe von Zeit an Manager und Mitarbeiter steigt die Arbeitsproduktivität. Durch Zeitersparnis und Risikoverringerung (Cloud-basierte IT-Systems, etc.) sinken die (Technologie-)Kosten. Die Mühelosigkeit macht 45 Prozent des gesamten Geschäftswerts von EX aus.

Für den Bezug von EX und Employee Engagement auf CX ist wichtig: EX ist das Ergebnis sowohl emotional belasteter Ereignisse (sog. „Momente, die wichtig sind“ oder „Momente der Wahrheit“) als auch des alltäglichen Austauschs zwischen Mitarbeitern und der Organisation. Ziehen sich die diesbzgl. guten Erfahrungen durch den gesamten Mitarbeiter-Lebenszyklus, wird das wiederum die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen erhöhen. Kurz: Die Mitarbeiterbindung steigt und mit ihr auch das Engagement des Mitarbeiters und seine Leistung. Man spricht in diesem Zusammenhang von den vier Hebeln für eine ganzheitliche EX: Klare Philosophie, unterstützende Kultur, artikulierte Rechenschaftspflicht (accountability) und daran ausgerichtete Messungen.

Dies zieht – ich lasse Employer Branding für einen Moment außen vor – nach sich, dass Kunden bessere Erfahrungen mit dem Unternehmen machen, dort häufiger einkaufen und es weiter empfehlen. Somit steht die „Achse“ EX – Employee Engagement – CX.

Kundenfokus – Customer Experience (CX)

In einem vorherigen Beitrag bin ich insbesondere auf die Bedeutung von CX in der Assekuranz eingegangen. Aktuell werden dort drei Optionen diskutiert: Versicherer können als Zulieferer für Versicherungsschutz in einem Ökosystem agieren oder – weitaus komplexer – selbst ein Ökosystem aufbauen und betreiben. Abhängig von Produktangebot und Strategie können sie in einigen Lebenswelten auch als Anbieter und in anderen als Zulieferer agieren (Mischform). Jeder Versicherer muss hierbei seine Rolle finden!
Eine interessante Parallele mit Blick auf Lebenswelten gibt es übrigens im Recruiting, wo die Berücksichtigung der Lebenswelten von Bewerbern – Beispiel Schweiz – ebenfalls eine hohe Bedeutung haben!

Ein abteilungs-/spartenübergreifendes und an der Strategie ausgerichtetes CXM bedeutet:

  • Definieren Sie Ihre aktuellen Zielgruppen (Kundensegmentierung).
  • Erstellen Sie für jede Zielgruppe einige wenige Personas, um ihr Produktangebot und Kundenprozesse aus Sicht eines (fiktiven) Kunden zu betrachten.
  • Analysieren Sie mögliche Anforderungen und den Bedarf in den verschiedenen Lebensbereichen und Lebensphasen der Personas.
  • Denken Sie in Ökosystemen, nicht in Unternehmensgrenzen.

Dies ist m.E. die einzige Chance, um in einem weitgehend gesättigten Markt neue Wachstumsfelder und Zielgruppen zu erschließen. Hierfür müssen Versicherer – auch, wenn es bislang nicht in ihrer DNA liegt – dynamisch und kreativ sein. Nur so können sie schnell auf Veränderungen reagieren und konstruktiv an Produkten und Prozessen arbeiten. Dies gelingt in einer Unternehmenskultur, die von einem hohen Maß an Transparenz, Vertrauen, Innovationsbereitschaft und Teilhabe geprägt ist. Leitgedanke ist Kooperation statt Kontrolle und die Möglichkeit, neue Dinge und neue Arbeitsweisen auszuprobieren –wissend, dass nicht alles sofort den erwünschten Erfolg bringt. Vielfach bedeutet dies eine grundlegende Veränderung der Haltung, der Strukturen und der Prozesse.

Eignerfokus – Stakeholder Experience (SX)

Der Fokus auf die „Experience“ ist nicht auf Mitarbeiter und Kunden beschränkt. Etliche Unternehmen denken bereits darüber nach, wie jeder Stakeholder – Mitarbeiter, zukünftige Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Partner – die Marke über mehrere Kanäle hinweg erlebt. Um sicherzustellen, dass der Fokus auf das gesamte Unternehmen gerichtet ist, müssen Führungskräfte SX zur zentralen Agenda jedes einzelnen Mitarbeiters machen. Dies schafft eine Kultur der Fürsorge, des Zuhörens und der Lösung auftretender Probleme.

Der Bericht zu den digitalen Trends 2020 von Adobe kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen:

  • Die führenden CX-Unternehmen verfügen fast fünfmal häufiger über einen hochintegrierten, Cloud-basierten Technologie-Stack als andere.
  • Darüber hinaus war es 131 Prozent wahrscheinlicher, dass Unternehmen mit einem einheitlichen Technologie-Stack ihre Top-Geschäftsziele für 2018 deutlich übertroffen haben.

Untersuchungen von TI people haben zum Ergebnis, dass Manager mit Hilfe von EX durchschnittlich 8,7 Stunden und Mitarbeiter durchschnittlich 7,7 Stunden pro Monat einsparen können! Das sind insgesamt 100 Stunden pro Person und Jahr! Die durchschnittlichen Vollkosten pro Mitarbeiter in allen Branchen betragen 26,60 € pro Stunde, pro Manager 58,40 €. Unter der Annahme einer durchschnittlichen Kontrollspanne aller Länder lt. OECD von 1:10 hat das durchschnittliche Unternehmen mit 20.000 Mitarbeitern das Potenzial, durch EX ca. 59 Millionen € pro Jahr einzusparen.

Mitarbeiter- sowie kundenorientierte Prozesse und unternehmerische Effizienz sind also kein Widerspruch. Kundenorientierung heißt, Prozesse maximal an die Bedürfnisse des Kunden auszurichten und das Kundenerlebnis zu verbessern. Die kontinuierliche Customer-Journey-Analyse und-optimierung ist das Mittel der Wahl, um Klarheit über die Prozesse aus der Kundenperspektive zu bekommen. Dieses Ziel muss jedoch nicht im Widerspruch stehen zur ebenso notwendigen Verbesserung der Prozesseffizienz; vorausgesetzt der Kunde profitiert von mehr Effizienz durch schnellere, einfachere und automatisierte Prozesse.

Exkurs: Daten, Daten, Daten

Ich bleibe in meinen Ausführungen in der Assekuranz. Datenmanagement ist dort schon immer Kern des Geschäftsmodells. Bislang wurde jedoch vor allem in den Rückspiegel geschaut (Vergangenheitsbezug). Neue KI-basierte-Verfahren ermöglichen nun auch den Blick nach vorn: Economic Value of CXM, Customer Lifetime Value (CLV), wertschöpfungsorientierte Zielgruppensegmentierung, Einbindung von Umweltdaten und Daten von Kooperationspartnern für ein besseres Kundenverständnis und individuellere Angebote.

Hierfür müssen Versicherer ihre Kundenprozesse und Interaktionsmöglichkeiten, aber auch ihre Produkt- und Serviceangebote neu oder anders gestalten [Beispiel: mögliche Vorgehensweise]. Dafür sind weitreichende Veränderungen in den Bereichen Strategie, Kultur, Organisation, Prozesse und IT notwendig.
Dirk Gronert, Öffentliche Versicherung Braunschweig, fasste es kürzlich wie folgt zusammen: Wir haben früher für eine durchschnittliche Produktentwicklung zwölf bis 18 Monate gebraucht. Durch unser agiles Vorgehen haben wir zuletzt Produkte in acht bis zwölf Wochen entwickelt.“

Fazit

Zufriedene und engagierte Mitarbeiter schaffen bessere Erfahrungen, was zu zufriedeneren und loyaleren Kunden und letztendlich zu Marken- und Unternehmenswachstum führt. Marktführende Unternehmen erkennen, dass ein durchdachter und bewusster Fokus auf EX nicht nur gut für ihre Belegschaft, sondern auch für ihr Unternehmen ist.

In einer Kultur, die von einem hohen Maß an Transparenz, Vertrauen, Innovationsbereitschaft und Teilhabe geprägt ist, werden Mitarbeiter im CXM die Möglichkeit haben, ihre Arbeit stärker selbst zu steuern und zu gestalten. Sparten- und Abteilungssilos werden in einem solchen Umfeld immer mehr durch interdisziplinäre, ressort-übergreifende und situative Zusammenarbeit abgelöst. Unterschiedliche Kompetenzen werden in cross-funktionalen Teams gebündelt. Klassische Berufsqualifikationen und traditionelle Erwerbsbiografien rücken in den Hintergrund; wichtiger für Entwicklungspfade innerhalb des CXM werden eine hohe Lern- und Veränderungsbereitschaft. Im Kundenkontakt werden sozial-kommunikative und persönliche Skills zu den entscheidenden Mitarbeiterkompetenzen. Bei fachlichen Fragen werden Mitarbeiter im Vertrieb und CXM zunehmend durch intelligente IT-Systeme (z.B. CRM-/Vertriebssysteme mit Next-best-Action-Vorschlägen, Chatbots etc.) unterstützt, sodass sie sich stärker auf die Kundenbeziehung und die Kundenbedürfnisse konzentrieren können.

Eine CRM-Plattform (Customer Relationship Management) ist unerlässlich, um die Herausforderung der Fragmentierung und Inkonsistenz im Experience Management zu bewältigen. Obwohl die meisten Unternehmen heutzutage eine Form von CRM verwenden (z.B. im Recruiting und Onboarding, im Self Service, bei EX und CX), werden diese Tools nur selten über Marketing- und Vertriebsfunktionen hinaus eingesetzt. SX ist bisher überwiegend reaktiv, künftig wird SX proaktiver vorgehen, Probleme identifizieren und angehen, bevor sie erkannt werden. Im Ergebnis kann dadurch der Umsatz gesteigert, die Kundenbindung erhöht (vgl. Churn Management mit Machine Learning) und Kosten gesenkt werden.