Nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass nur Unternehmen, die proaktiv die notwendigen Kompetenzen definieren, identifizieren und entwickeln, in Zukunft erfolgreich sein werden. Hierfür sind v.a. Persönlichkeiten notwendig, die durch kreatives Denken, ungewöhnliche Ansätze und umfassende Kenntnisse Akzente im Unternehmen setzen.

Dieser Dreiteiler zum Thema Kompetenz thematisiert Modelle, Vorgehensweisen und Erfahrungen. Im ersten Teil bin ich auf Kompetenzen und Kompetenzmodelle eingegangen. In diesem zweiten Teil gehe ich auf die Rolle des Kompetenzmanagements und die Entwicklung eines Kompetenzmodells ein.

Rolle des Kompetenzmanagements

Ein strategisches Talentmanagement resp. Nachfolgemanagement setzt ein Kompetenzmanagement voraus, das selbstorganisiertes, eigenverantwortliches Handeln, Lernen und Entwickeln Mitarbeitender ermöglicht.

Folgende Ziele stehen im Vordergrund (vgl. Sauter/Staudt):

normativ-strategisch:

  • strategische Unternehmensziele erreichen,
  • Personalmassnahmen konsequent an der Unternehmensstrategie ausrichten,
  • notwendige Kompetenzen zur Zielerreichung identifizieren und transparent machen,

operativ:

  • Rekrutierungsprozesse und die Personalauswahl optimieren,
  • Kompetenzentwicklungs-Massnahmen individuell und zielgenau durchführen, um Kompetenzlücken zu schliessen, und
  • Leistungsträger langfristig an das Unternehmen binden.

In der betrieblichen Praxis lassen sich unterschiedliche Entwicklungs- und Reifegrade ableiten (vgl. Kienbaum-Studie). Diese Grade positionieren sich auf einem Kontinuum von operativem Kompetenzmanagement (Reifegrad 1), über das strategieorientierte Kompetenzmanagement (Reifegrad 2), bis zum strategischen Kompetenzmanagement (Reifegrad 3). Nur ein strategisches Kompetenzmanagement ist inhaltlich, methodisch sowie prozessual in der Lage, einen positiven Einfluss auf das unternehmerische Wertschöpfungspotenzial sowie den Unternehmenswert zu ermöglichen.

Hierbei ist es erforderlich, individuelle Ziele und Bedürfnisse Mitarbeitender und strategische Ziele des Unternehmens in einen Ausgleich zu bringen:

  • Unternehmenssicht: Kompetenzmanagement spielt die zentrale Rolle bei der Umsetzung der Unternehmensziele und dient als Grundlagensystem für zentrale Personalprozesse, wie z.B. Rekrutierung, Entwicklung, Führung, Performance Management und Mitarbeiterbindung.
  • Mitarbeitersicht: Kompetenzmanagement unterstützt die persönliche Karriereplanung und die gezielte Gestaltung und Steuerung der individuellen Kompetenzentwicklung.

Neben diesen Überlegungen mit Blick auf die Strategie spielen Werte im Rahmen des Kompetenzmanagements eine zentrale Rolle. Es gibt kein kompetentes Handeln ohne Werte. Die grundlegende Funktion von Werten ist die Ermöglichung von Handeln in eine offene Zukunft hinein. Vergleichbar den o.g. Ausführungen wird im Wertemanagement zwischen Corporate Values und Human Values unterschieden:

  • Unternehmenswerte (Corporate Values) sind die Werte der Unternehmenskultur. Sie umfassen Elemente der sinnlichen Identifizierbarkeit, des ökonomischen Erfolgs, der Unternehmensethik und der Unternehmenspolitik.
  • Mitarbeiterwerte (Human Values) sind individuelle Ideen und Ansichten, Orientierungen und Verhaltensweisen. Sie beeinflussen nicht nur Urteile und Bewertungen, sondern auch Handlungsweisen nachhaltig.

Entwicklung eines Kompetenzmodells

Nachdem die Rolle des Kompetenzmanagements geklärt ist, kann die Entwicklung eines Modells angegangen werden. Auf die Frage „Welche Kompetenzmodelle sind bekannt?“ bin ich im ersten Teil dieses Dreiteilers bereits eingegangen. Im Folgenden geht es mir um die Phasen der Entwicklung.

Zunächst ist die Zielsetzung zu klären. Hierbei sind folgende Leitfragen wichtig (vgl. Krumm/Mertin/Dries):

  • Für welche Zwecke soll das Kompetenzmodell im Unternehmen Anwendung finden?
  • Wie stark ist die Entwicklung von bestehenden Personalsystemen (Werten, Leitlinien, etc.) abhängig?
  • In welchem Mass sollen Führungskräfte und Mitarbeiter an der Entwicklung beteiligt werden?
  • Für welche Stellen, Funktionen oder Geschäftsbereiche soll das Kompetenzmodell später Gültigkeit besitzen?
  • Welche Vorgehensweise (Bottom-Up versus Top-Down) wird bei der Entwicklung gewählt?
  • Wird ein komplett neues Modell entwickelt oder orientiert man sich an bereits existierenden Modellen (Reißbrett-Methode versus Adaptations-Methode)?

Ausgangspunkt für die nun folgende Modellierungsphase ist die Unternehmensstrategie. In dieser Phase werden das grundlegende Kompetenzmodell und die Methoden der Kompetenzmessung ausgewählt. Häufig geschieht dies im Rahmen eines Workshops mit der Unternehmensleitung und den Leitern*innen einzelner Geschäftsbereiche und/oder Funktionen.

Auf Basis dieser Ergebnisse werden in der anschliessenden Identifikationsphase die Anforderungsprofile in Verbindung mit sog. Belegschaftssegmenten und Personalrisiken erhoben und deren Funktion systematisch erarbeitet. In der Praxis beginnt man mit der Modellierung der geschäftsrelevanten Schlüsselpositionen! Häufig wählen Unternehmen hierbei unter der Annahme „Alle sind wichtig“ viel zu viele Schlüsselpositionen aus; fragen Sie sich deshalb:

  • Wird mit dieser Position ein direkter Mehrwert für das Unternehmen geschaffen?
  • Werden strategische Ziele nicht erreicht, wenn die Stelle nicht besetzt wäre?
  • Würde der kurzfristige Unternehmenserfolg verhindert, wenn die Stelle nicht besetzt wäre?
  • Hat die Position einen wesentlichen Einfluss auf Umsatz, Gewinn oder Profitabilität?
  • Ist die Position wichtig für die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten oder sonstigen für das Unternehmen wichtigen Stakeholder?
  • Sind an die Besetzung der Position hohe Anforderungen gebunden?

Für diese identifizierten Schlüsselpositionen werden nun Kompetenzen abgeleitet und in einem Katalog als Soll-Anforderung zusammengefasst. Aus den beispielsweise bei Erpenbeck und Heyse aufgeführten 64 Einzelkompetenzen des KompetenzAtlas sind i.d.R. 12 bis maximal 16 Kompetenzen relevant, nicht mehr!

In Workshops mit Fach- und Führungskräften werden u.a. folgende Fragen beantwortet:

  • Welche 3-5 strategischen Ziele werden mit der Stelle verfolgt?
  • Welche 12 bis max. 16 strategischen Kompetenzanforderungen mit allgemeiner Verbindlichkeit sind für den Stelleninhaber/die Stelleninhaberin notwendig?
  • In welcher Ausprägung bzw. Bandbreite sollten diese Kompetenzen vorhanden sein?
  • Wie können diese Kompetenzanforderungen unternehmensspezifisch formuliert werden?
  • Mit welchen Verhaltensankern können diese Kompetenzen operationalisiert werden?
  • Welche Empfehlungen zur individuellen Kompetenzentwicklung können daraus abgeleitet werden?

In dieser Phase können unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen: Von der Beobachtung, Interviews/Befragungen, über Auswertungen schriftlicher Materialien, bis hin zur Arbeitsausführung durch den Arbeitsanalytiker.

Dem schliesst sich die Einführungs- und Validierungsphase an:

  • Sichern Sie sich die Unterstützung des Managements und der Arbeitnehmervertretung,
  • schaffen Sie Transparenz über den Einsatzzweck,
  • passen Sie bestehende Personalinstrumente an die Inhalte des Kompetenzmodells an, und
  • überprüfen Sie regelmässig die Angemessenheit des Kompetenzmodells – wenigstens 1-2 mal jährlich.

Nutzen Sie für die Kompetenzevaluierung die Beobachtung von Handlungsweisen (Selbst- und Fremdeinschätzung), Befragungen, sowie (Online-)Assessments. Die Ergebnisse vergleichen Sie nun mit den Soll-Profilen. In den Mitarbeitergesprächen – hierzu braucht es einen systematischen Ablauf (vgl. de Molina/Kaiser/Widuckel) – werden dann hilfreiche Massnahmen besprochen und vereinbart, um Kompetenzlücken zu schliessen.

Abschliessende Anmerkungen

Lernen und Arbeiten, und damit Kompetenzentwicklung, werden in Zukunft zusammenwachsen. Der Fokus des Kompetenzmanagements wird sich von formellen zu informellen, kommunikativen, kollaborativen und selbst gesteuerten Formen der Kompetenzentwicklung verschieben.

Kompetenzmodelle können schnell komplex werden. Zwischen den beiden Extremen – Single-Job-Modell und One-Size-Fits-All-Modell – sind verschiedene Zwischenebenen möglich. Häufige Zwischenebene ist die der Berufsgruppen bzw. Jobfamilien. Eine weitere Differenzierung der Kompetenzmodelle kann anhand der Komplexitätslevel vorgenommen werden. U.a. kann dies durch eine unterschiedliche Ausformulierung der Verhaltensebenen berücksichtigt werden.

Neben sog. Assessment Guides existieren praxiserprobte Checklisten zur Entwicklung eines Kompetenzmodells.

Damit das Kompetenzmanagement den Anforderungen des Unternehmens und der Mitarbeitenden langfristig gerecht und erfolgreich genutzt wird, sind einige wichtige Erfolgsfaktoren zu beachten:

  • Mehrwert und Ziele sicherstellen.
  • Vereinbarungen mit Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertretung treffen.
  • Projektteam und Verantwortlichkeiten klären.
  • Mit Pilotprojekt beginnen – nicht länger als 18 Monate!
  • Professionelles Marketing aufbauen.
  • Einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Führungskräfte legen.
  • Ressourcen – finanziell und personell – bereitstellen.
  • Methodische Unterstützung sicherstellen.