Strategie und HR sind nicht einfach zusammenzubringen. Selbst wenn das zu gelingen scheint, ist der Übergang von der Entwicklung in die Umsetzung eine große Herausforderung.

In den Hochphasen der Pandemie ging es für HR vor allem darum, als krisenresistenter Entscheider notwendige Maßnahmen zur Sicherstellung der Geschäftstüchtigkeit bei zeitgleicher Berücksichtigung der erhöhten Gesundheitsvorkehrungen zu initiieren.

Gegenwärtig machen sich nun viele Top-Entscheider Gedanken über die künftige Rolle von HR. CHROs selbst

  • erwarten, dass HR Business Partner Personaldaten und Analytik umfänglich in ihrer täglichen Arbeit nutzen, aber nur 42 % der HRBPs bauen aktuell ihre Datenkompetenz aus (Insight222);
  • fassen erhebliche Änderungen am HR-Geschäftsmodell in den nächsten zwei bis drei Jahren ins Auge (McKinsey).

Das ist sicherlich alles gut und richtig, aber die Umsetzung einer HR-Strategie beginnt anders! Ich erspare mir an dieser Stelle Hinweise zum PDCA-Zyklus, zum Strategie-Regelkreis und vergleichbaren Methoden und Verfahren.
Links auf vertiefende Blogbeiträge zur (HR-)Strategie, deren Umsetzung und zur HR-Transformation habe ich als Anhang zu diesem Beitrag hinzugefügt.

Ich fokussiere mich auf

  • die Entwicklung eines strategischen HR-Portfolios, und
  • das sog. Human Capability Framework.

Entwicklung eines strategischen HR-Portfolios

Bevor mit der Entwicklung eines strategischen HR-Portfolios begonnen werden kann ist vieles zu erledigen. Neben der Festlegung der HR-Kernstrategie sind – deduktiv und induktiv – personalstrategische Handlungsfelder zu ermitteln.
Mit Hilfe von Benchmarks, externer Quellen und Best Practices, durch die Aneignung neuer Kompetenzen und die Anwendung neuer Verfahren, wie z.B. Design Thinking, Six Sigma und Lean, werden zahlreiche Optionen pro Handlungsfeld entwickelt.

Nun greift das Paradoxon des divergenten und konvergenten Denkens.

Divergenz bedeutet in diesem Zusammenhang, Herausforderungen zu erkennen und Optionen für Antworten zu entwickeln. Die Schaffung von Optionen führt in der Regel zu einem Übermaß an Ideen und Maßnahmen, welche die Aufmerksamkeit zerstreuen und die Ergebnisqualität mindern.

Nehmen wir an, eine HR-Abteilung identifiziert 12 personalstrategische Handlungsfelder im Rahmen der Strategieentwicklung und leitet daraus jeweils drei Best-Fit-Aktivitäten ab – in der Praxis sind es häufig deutlich mehr! -, dann sind das im Ergebnis 36 Maßnahmen, Projekte oder Initiativen, die zur Umsetzung anstehen, mit Kennzahlen unterlegt und fortlaufend auf ihre Zielerreichung hin gemonitort werden. Dies geschieht parallel zum operativen Geschäft!

Deshalb muss nun die Konvergenz greifen. Konvergenz „verwandelt“ viele Optionen in einige wenige, strategisch notwendige Aktivitäten, deren Umsetzung durch Fokussierung – Disziplin 1 bei 4DX – von Ressourcen und Maßnahmen sichergestellt wird.

Konkret sind hierfür drei Analysen zielführend:

  • Mit Hilfe einer SWOT-Analyse werden identifizierte Best-Fit-Aktivitäten im Marktkontext überprüft (Marktvergleich).
  • Die primäre Gap-Analyse zeigt Lücken zwischen bereits laufenden und neu identifizierten personalstrategischen Handlungsfeldern resp. Best-Fit-Aktivitäten auf (Aktivitätenvergleich).
  • Die sekundäre Gap-Analyse identifiziert Lücken zwischen den strategischen Prioritäten und vorhandenen Fähigkeiten und Kapazitäten (Ressourcenvergleich).

Diese drei Analysen wirken also im Rahmen der Konvergenz wie Filter. Nur diejenigen Best-Fit-Aktivitäten, die diese Filter durchlaufen haben, bilden das strategische HR-Portfolio und stehen im Rahmen der HR-Roadmap zur Umsetzung an.

Human Capability Framework

Im Rahmen dieser o.g. Analysen greift ein Framework, ein Rahmen, in dem einzelne Optionen und Aktivitäten zu Mustern zusammengefasst werden. Hiermit werden Prioritäten gesetzt, Komplexität reduziert und Aufmerksamkeit fokussiert.
Dave Ulrich schlägt in seinen jüngsten Publikationen einen integrierten Rahmen für menschliche Fähigkeiten vor, der eine Blaupause für die Konvergenz und den Fortschritt des Personalwesens darstellt.

Dieser Rahmen ist in vier Pfade unterteilt:

Talent,

oft auch als Humankapital bezeichnet, befasst sich mit der Frage, was getan werden kann, um die richtigen individuellen Kompetenzen, Arbeitskräfte oder Menschen sicherzustellen. Aktuelle Themen sind:

  • Personalisierung der Arbeitserfahrung, um den Mitarbeitenden mehr Flexibilität zu geben, wo, wann und wie sie arbeiten, was die wichtige DEI-Agenda erweitert.
  • Bereitstellung eines Wertversprechens für die Mitarbeitenden in Bezug auf Glauben (Bedeutung), Werden (Wachstum) und Zugehörigkeit (Verbindung).
  • Verbesserung der psychischen Gesundheit und Überwindung von Isolation und Einsamkeit, indem man den Mitarbeitenden hilft, miteinander in Kontakt zu treten.
  • Aufbau von Vertrauen und Wahrheit, so dass Mitarbeitende zu Fürsprechern ihrer Organisation werden können.
  • Definition von Arbeit als Aufgabe und nicht nur als Job, Abgleich von Fähigkeiten und Aufgaben.

Die Aufgabe der Personalabteilung wird weiterhin darin bestehen, den Mitarbeitenden dabei zu helfen, ihre persönlichen Ziele durch ihre Arbeitsgestaltung zu erreichen.

Organisation,

manchmal auch Struktur, Governance oder Kultur genannt, konzentriert sich auf die Definition der Organisationsfähigkeit, des Arbeitsplatzes oder des Teams. Sich auf die Fähigkeiten einer Organisation zu konzentrieren bedeutet:

  • Identifizierung der Fähigkeiten der Organisation, die den Kunden einen Mehrwert bieten, wie z. B. Agilität, Innovation, Zusammenarbeit und strategische Zielsetzung.
  • Etablieren einer Unternehmenskultur, die Kundenversprechen durch organisatorische Maßnahmen einlöst.
  • Aufbau leistungsstarker Teams und Ökosysteme in IT, Einkauf und Supply Chain.
  • Einführung von Richtlinien, z. B. zu Hybridarbeit, die auf Marktbedingungen reagieren.

Die Aufgabe der Personalabteilung wird es sein, die richtigen organisatorischen Fähigkeiten zu diagnostizieren und bereitzustellen, die den Anforderungen von Kunden und Investoren entsprechen.

Führung

betont sowohl die individuelle als auch die kollektive Führung. Mit weniger hierarchischen Organisationen werden Führungskräfte zukünftig in der Lage sein müssen

  • sich um alle Mitarbeitende zu kümmern, eine enge Beziehung mit ihnen aufzubauen und sie zu unterstützen, indem sie empathisch sind, sich engagieren und sie befähigen.
  • weniger durch ihre Position und mehr durch vertrauensvolle Beziehungen Einfluss zu nehmen.
  • Zukünftige Führungspositionen schaffen, indem sie ihre Stärken nutzen, um andere zu stärken.
  • Sie sind sowohl für die finanziellen als auch für die menschlichen Ergebnisse rechenschaftspflichtig.

Die Aufgabe der Personalabteilung wird es sein, verschiedenartige Führungskräfte zu identifizieren, zu coachen, zu schulen und zu entwickeln, die andere besser machen.

Personalabteilung

bezieht sich auf die Personalfunktion oder -abteilung und die Art und Weise, wie die Personalarbeit durchgeführt wird. HR-Strategie impliziert, dass die HR-Abteilung aufgerüstet wird, um strategierelevante Ergebnisse zu liefern:

  • Transformation der Personalabteilung, um sicherzustellen, dass sie eine klare Mission, einen Governance-Prozess und Verantwortlichkeiten hat.
  • Aufbau der Qualität von HR-Experten, damit sie sich als Geschäftspartner verstehen und über die nötigen Kompetenzen verfügen, um effektiv zu sein.
  • Schaffung klarer Verantwortlichkeiten in der Zusammenarbeit mit Linienmanagern, um menschliche Fähigkeiten bereitzustellen.

Die Aufgabe der Personalabteilung besteht darin, eine Einheit mit Methoden, Praktiken und Mitarbeitenden derart weiterzuentwickeln, dass sie Erkenntnisse liefert, die für andere einen Mehrwert darstellen.

Fazit

Bis heute konzentriert sich die Personalabteilung auf Talente in ihrer HR-Agenda. Die Organisation hat jedoch einen weitaus größeren Einfluss auf die Ergebnisse des Unternehmens als das individuelle Talent; vgl. Beitrag zu Engagement. Die Personalabteilung kann quasi der Architekt für die Schaffung von Organisationsfähigkeiten sein.

Die Personalabteilung schafft einen Mehrwert, wenn sie weiß, welche Initiativen in den vier vorgestellten Bereichen Talent, Organisation, Führung und Personalabteilung den größten Einfluss auf die wichtigsten Geschäftsergebnisse im Unternehmen haben.

Anhang

Zur Vertiefung dieser so wichtigen Thematik – im Allgemeinen und mit Blick auf HR im Speziellen – empfehle ich einige, bereits publizierte Beiträge:

Im Beitrag „Strategischer Mut in VUCA-Zeiten“ bin ich u.a. auf einige Leitfragen im Rahmen der Umsetzung eingegangen.
Im Beitrag „Transformation: Wege und Ergebnisse“ habe ich die wesentliche – auch kulturelle – Erfolgsfaktoren von Transformationsprozessen skizziert.
Im Beitrag „HR Transformation – ein kontinuierlicher, strategischer Prozess“ habe ich vier Phasen und sechs Kernelemente der HR Transformation im Detail erläutert.
Im Dreiteiler „Was ist der Status Quo von HR im Thema Digitalisierung?“ setze ich mich mit Potenzialen neuer Technologien für HR im Kontext einer HR-Strategie (Beitrag 1/3), der Gestaltung digitaler und smarter HR-Prozesse (Beitrag 2/3), sowie der Gestaltung agiler HR-Strukturen (Beitrag 3/3) auseinander.