Nach „Sechs Impulse zur Digitalen Transformation“ und „HR Transformation – ein kontinuierlicher, strategischer Prozess“ fasse ich in drei Beiträgen den aktuellen Stand von HR im Thema Digitalisierung zusammen – sicherlich nicht allumfassend, aber bezogen auf die in der Praxis derzeit wesentlichen Themenfelder: Technologien, HR-Prozesse und HR-Strukturen.

Digitalisierung ist weit mehr als eine rein technische Thematik. Vielmehr wird Digitalisierung verstanden als ein durch technologische Entwicklungen getriebener bzw. ermöglichter Transformationsprozess von Unternehmen, der weitreichende strategische, organisatorische und sozio-kulturelle Veränderungen mit sich bringt.
Bzgl. HR kann von einer doppelten Digitalisierungsherausforderung gesprochen werden:

  1. Mitwirkung bei der digitalen Transformation des Unternehmens, beispielsweise hinsichtlich geänderten Kompetenzbedarfen und neuen Führungs-, Kommunikations- und Interaktionsansätzen, sowie
  2. Digitale Transformation der HR-Funktion selbst.

Zu Punkt 1 existieren bereits etliche Publikationen – auch in diesem Corporate Blog. Der Fokus dieser Beitragsreihe liegt deshalb auf Punkt 2. Petry/Jäger entwickelten hierzu folgenden Bezugsrahmen:

In Anlehnung daran beschäftigen sich die drei Beiträge zum Status Quo von HR im Thema Digitalisierung mit drei Schwerpunkten:

  • Potenziale neuer Technologien für HR im Kontext einer HR-Strategie,
  • Gestaltung digitaler und smarter HR-Prozesse, sowie
  • Gestaltung agiler HR-Strukturen.

Potenziale neuer Technologien

Ich werde an dieser Stelle nicht mehr auf Social Media u.ä. eingehen und auch Themen wie Virtual & Augmented Reality sowie Robotics b.a.w. aussparen. Wichtig sind mir an dieser Stelle die Themen Workforce Analytics, Künstliche Intelligenz, sowie die Rolle der HR-Strategie für das digitale Zeitalter.

Das zentrale Ziel von Workforce Analytics ist es, Personalentscheidungen stärker informationsbasiert, d.h. auf der Basis von Wissen, zu treffen und weniger intuitiv und vom Bauchgefühl getrieben (evidenzbasiertes HR-Management). Hierfür bedarf es neben deskriptiver auch explanativer, prädiktiver und präskriptiver Informationen.

4.0 regt zu einer neuen Art des Personalcontrollings an: Predictive Analytics. So, wie z.B. die Maschine einen Service signalisiert, selbständig, vorausschauend, so analysiert der Personalcontroller nicht mehr die Daten der Vergangenheit, sondern die Daten der Zukunft:

  • Wie viele Mitarbeiter fehlen am kommenden Montag, weil die Eintrittswahrscheinlichkeit von Erkrankungen ein bestimmtes Mass erreicht?
  • Wie viele Ersatzbeschaffungen in welchen Berufsbildern werden in x Jahren notwendig sein?
  • Welche Fluktuationskandidaten muss ich bearbeiten, weil bestimmte Merkmale zu einer Warnleuchte führen?
  • Welche Mitarbeiter habe ich im Wettkampf der Recruitingplattformen an welche Wettbewerber verloren und von welchem bekommen?

Einen geeigneten Ansatz, um bei Personalentscheidungen strategisch und strukturiert evidenzbasiert vorzugehen, liefert der LAMP-Ansatz von Cascio/Boureau. Dieser Ansatz beschreibt ein Rahmenmodell, das zur strategischen Analyse in Personalprozessen herangezogen werden kann, er steht für Logic (Logik), Analytics (Analysen), Measures (Metriken) und Process (Prozess).
Logik beschreibt die vermuteten Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Variablen der zugrundeliegenden Fragestellung und sollte klar und nachvollziehbar sein.
Metriken beziehen sich auf die Daten, die erhoben werden sollten, um die aufgestellte Logik zu untersuchen.
Die Analysen beziehen sich auf das Forschungsdesign und auf die Statistik, um die Fragestellung zu untersuchen, und verknüpfen die Logik mit den Metriken.
Der Prozess beschreibt die Umsetzung der Erkenntnisse im Unternehmen.

Die vorherrschende Personalpraxis in der DACH-Region ist derzeit noch weit von einer systematischen strategischen Analyse von Mitarbeiterdaten entfernt. Zwar sind häufig Kennzahlensysteme im Einsatz und über ein HR-Reporting wird deren Entwicklung kontinuierlich erfasst, jedoch kann dieses Vorgehen weder Ursachen für Veränderungen aufdecken, noch lassen sich in der Regel die betriebswirtschaftlichen Folgen direkt ableiten. Gerade durch Digitalisierung und die Diskussion um die Nutzung von Big Data im Personalmanagement bietet sich hier aber eine hervorragende Möglichkeit für Unternehmen, die so entstehenden Daten über reines Reporting hinaus zu nutzen.

Interessante Use Cases in diesem Thema werden an der diesjährigen Fachtagung im November vorgestellt und diskutiert.

Künstliche Intelligenz (kurz: KI) steht als Oberbegriff für alle Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, Computer bzw. Maschinen zu bauen, die eigenständig Probleme bearbeiten können und somit über eine menschenähnliche Intelligenz verfügen. KI-Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie verstehen, schlussfolgern, lernen und interagieren können.

Natürlich können auch die Systeme keine 100 Prozent richtige Antwort garantieren, sind jedoch in ihrer Entscheidungsfindung sehr transparent. Sie stellen eigenständig Hypothesen aus den erfassten Daten auf und leiten daraus Empfehlungen ab. Dadurch ist es möglich, schneller bessere Entscheidungen zu treffen.

Das Teilgebiet der KI, bei dem Muster und Gesetzmässigkeiten in Lerndaten (Texte, Bilder, Videos) über statistische Datenanalysen erkannt, eigenständig Rückschlüsse gezogen und auf andere (Daten-)Situationen übertragen werden, wird auch als Machine Learning bezeichnet.

Standardreports und –analysen können heute bereits von KI-Systemen mit entsprechendem Datenzugang automatisiert erstellt werden.

Immer stärkere Verbreitung erfahren auch Chatbots. Dies sind text- bzw. sprachbasierte, computergestützte Dialogsysteme, die dem Nutzer über entsprechende Ein- und Ausgabemasken in natürlicher Sprache eine Kommunikation mit dem dahinterstehenden System ermöglichen. Chatbots lassen sich häufig in bestehende Lösungen und Anwendungen (z.B. Messenger) integrieren und unterstützen einen natürlichsprachlichen Dialog mittels Text- oder Spracheingabe.

Die Entwicklung geht hier auf Basis von Machine Learning zunehmend von einfachen Auskunftssystemen zu komplexen, lernenden Interaktionssystemen, die einen erweiterten Dialog mit dem Nutzer ermöglichen – bis hin zum Führen von ganzen Bewerbergesprächen im Recruitingprozess oder Beratungsgesprächen für die Auswahl von passenden Trainings und Karriereschritten.

Die Potenziale dieser neuen Technologien sind im Kontext einer HR-Strategie für das digitale Zeitalter zu bewerten und ggf. zu nutzen. Ein sinnvolles, weil agiles und partizipatives Instrument, um die Kernaspekte einer adäquaten HR-Strategie im Digitalzeitalter zu analysieren und zu definieren ist der von Osterwalder/Pigneur vorgestellte Business Model Canvas bzw. eine abgewandelte Canvas-Version, wie beispielsweise der von der STRIM entwickelte Talent Sourcing Canvas.

Noch wichtiger als der Canvas selbst ist der beispielsweise im Rahmen der STRIM Foren initiierte Austausch über die Kernaspekte der HR-Strategie bisher, die zentralen Einflussfaktoren heute und zukünftig sowie die zukünftige HR-Strategie. Wesentliche Guiding Principles sind:

  • Kunden- bzw. Mitarbeiterorientierung/-zentrierung,
  • Individualisierung,
  • Einfachheit,
  • Agilität,
  • Evidenzbasierung,
  • Effizienzorientierung (inkl. Automatisierung), und
  • Skalierbarkeit.

Getreu dem Motto „structure follows strategy“ muss die HR-Strategie über eine passende Ausgestaltung von HR-Prozessen (Teil 2) und HR-Strukturen (Teil 3) implementiert werden (Strategieimplementierung). Ein Beispiel: McKinsey publizierte vor wenigen Tagen unter dem Titel „Winning with your talent-management strategy“ interessante Studienergebnisse zur Talent-Management-Strategie. Diese Ergebnisse zeigen drei gängige Praktiken, die sich sowohl auf die Effektivität des Talentmanagements als auch auf die organisatorische Leistung auswirken:

  • schnelle Zuteilung von Talenten,
  • Einbindung der HR-Funktion, um eine positive Mitarbeitererfahrung zu fördern, und
  • ein strategisch ausgerichtetes HR-Team.

Demzufolge besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen Talent Management und organisatorischer Leistung. Mittels Workforce Analytics und Künstlicher Intelligenz werden wir in naher Zukunft noch mehr solcher strategie-gerichteter, faktenbasierter Erkenntnisse „heben“ und in Fachtagungen diskutieren.

Daneben gilt: Bei der Gestaltung von HR-Prozessen und –Strukturen als „harten“ Faktoren sind natürlich immer die „weichen“ Faktoren zu beachten. Auf eine (agile) Kultur werde ich im dritten Beitrag dieser Reihe eingehen; weitere interessante Veröffentlichungen finden Sie im Corporate Blog. Führung resp. Digital Leadership werden ich im zweiten Beitrag dieser Reihe thematisieren.