Aufgrund sinkender Infektions- und steigender Impfzahlen läuft die Homeoffice-Pflicht vielerorts aus. Wie gelingt nun die Rückkehr ins Büro? Welche Arbeitsformen erscheinen sinnvoll? Welche Auswirkungen ergeben sich dadurch für HR und für organisationale Fähigkeiten?

Hybride Modelle und Arbeitsformen

Viele Führungskräfte tun sich noch schwer damit, Strategien für die Rückkehr ins Büro zu definieren, die ein angemessenes Gleichgewicht zwischen persönlichen und virtuellen Interaktionen widerspiegeln. In Ermangelung von Daten plädieren viele Führungskräfte für hybride Modelle, die auf Intuition basieren. Bei den meisten Unternehmen wird sich das Gleichgewicht zwischen persönlicher und virtueller Interaktion zwar aufgrund der Pandemie sicherlich verschieben. Um Mitarbeiter, die die Vorteile der Remote-Arbeit persönlich erlebt haben, zurückzugewinnen, müssen Führungskräfte jedoch überzeugende Gründe dafür liefern, warum Arbeitsmodelle, die ein gewisses Maß an persönlicher Zusammenarbeit beinhalten, nicht nur für das Unternehmen gut sind, sondern auch für die Mitarbeiter:innen wertvoll sind.

Rob Cross & Peter Gray legen in einem lesenswerten Beitrag dar, warum die Organisationsnetzwerkanalyse (kurz ONA) das richtige Werkzeug dafür ist, um drei kritische Fragen bei der Ermittlung der Strategie für die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu beantworten:

  • Wer sollte in einer wöchentlichen Kadenz persönlicher und virtueller Interaktionen wieder zusammengebracht werden?
  • Welche Arbeit sollte in der jetzt knapper werdenden persönlichen Zeit priorisiert werden?
  • Wie bewältigen Führungskräfte den Übergang zu einem Hybridmodell mit dem geringsten Widerstand?

Die Firma Gillette ging gemeinsam mit MIT Sloan einen etwas anderen Weg und entwickelte einen vierstufigen Rahmen für hybride Arbeit (Abb. 1 in beigefügter Präsentation):

  1. Identifikation der wichtigsten Kennzahlen, die für den Erfolg eines Unternehmens entscheidend sind.
  2. Identifikation der optimalen In-Office-Tage, um die Wirksamkeit jeder Kennzahl zu maximieren.
  3. Einordnen der Metriken für jeden Schritt der Produktlebenslinie.
  4. Verwendung eines gewichteten Durchschnitts, um die optimale Anzahl von Tagen im Büro für jeden Schritt der Produktlebenslinie zu bestimmen.

Im Ergebnis kann festgehalten werden: Unternehmen, die sich auf intuitionsbasierte Ansätze verlassen, neigen dazu, funktionalen Strukturen zu viel Gewicht beizumessen und die Bedeutung funktionsübergreifender Interaktionen zu übersehen. ONA bzw. kennzahlenbasierte Ansätze helfen bei der Optimierung der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Organisationseinheiten und können anregende Interaktionen priorisieren, die viel Zeit in Anspruch nehmen, wie z.B. Brainstorming-, Design Thinking-, Problemlösungs- und Feedback-Sessions (Abb. 2 in beigefügter Präsentation).

Darüber hinaus werden auch Entscheidungen über spezifische Raumnutzungen dank des besseren Verständnisses der Netzwerkanforderungen in vielerlei Hinsicht verbessert.

Wohin steuert HR?

Personalabteilungen investierten in den letzten ca. 15 Monaten sehr viel Zeit rund um Covid-19; insbesondere im Rahmen von Arbeitsschutzverordnungen, arbeitsrechtlicher Auswirkungen und Impfungen durch Betriebsärzte. Vorstände und Geschäftsführer wenden sich sowohl für das tägliche Krisenmanagement als auch für Belegschaftsstrategien an HR. Diese Dynamik ist anspruchsvoll; es stellt sich die Frage nach notwendigen HR-Kompetenzen.

McKinsey identifizierte in einer europaweiten Studie vier Bereiche, auf die sich CHROs konzentrieren sollten:

  • Direkter und intensiver mit den Mitarbeitern interagieren: HR kann eine menschliche Note zurückgewinnen, indem es Self-Service-Lösungen nur sehr gezielt anwendet. Im Zeitalter des hybriden Arbeitens wird die Leistungsspanne zwischen unmotivierten und engagierten Mitarbeitern dramatisch größer.
  • Mitarbeiter ihre ganze Person in die Arbeit einbringen lassen: HR kann gezielter und dynamischer auf die Mitarbeitererfahrung [EX 4.0] eingehen; d.h., den Blick nicht nur auf Vertrags- und Sicherheitsaspekte legen, sondern auch auf Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion, sowie auf Sinn und Zweck. Positive Mitarbeitererfahrungen haben direkte Auswirkungen auf Kundenerfahrungen.
  • Den Weg zum „New Possible“ ebnen: HR kann Agilität verwirklichen, indem die Entscheidungsfindung auf die gesamten Organisation verteilt wird, nicht nur auf die Zentrale. Eine dynamische und kollaborative Struktur ist hierbei förderlich.
  • Als „Humankapitalisten“ agieren: HR-Führungskräfte dehnen ihre Sicht auf Talente auf das gesamte Ökosystem aus; d.h. sie binden die sog. „contingent workforce“ mit ein – Interim-Manager, Freiberufler, Experten. Das Hauptziel besteht nicht darin, Kosten zu senken – kurzfristig könnten sogar höhere, dafür variablere Kosten entstehen -, sondern die Flexibilität zu erhöhen und Talentpools zu erschließen, die für eine Vollzeitbeschäftigung nicht zur Verfügung stehen.

Personaler sollten sich demzufolge auf die interne Kultur sowie die Bereitschaft und Kapazität der Organisation für Veränderungen konzentrieren, sich jedoch ständig des breiteren menschlichen Ökosystems und der Märkte bewusst sein, aus denen sie Talente gewinnen und einbinden (Abb. 3 in beigefügter Präsentation).

Die dafür notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten habe ich an dieser Stelle bereits mehrfach thematisiert. Ian Bailie & Caroline Styr heben in einem aktuellen Beitrag neun Fähigkeiten entlang von drei Kategorien – datengesteuerte, erfahrungsbasierte und geschäftsorientierte Fähigkeiten – hervor (Abb. 4 in beigefügter Präsentation). Die erste Kategorie werden wir im Rahmen einer Fachtagung am 11.-12. November 2021 im Hotel Schloss Edesheim (DE/Rheinland-Pfalz) anhand der Modelle von Ian Bailie und Jonathan Ferrar (Abb. 6 in beigefügter Präsentation) vertiefen.

Wie wird Organisationsfähigkeit forciert?

Mit Blick auf Geschäftsergebnisse zählt „Organisationsfähigkeit“ mehr als „individuelle Kompetenz“. Die Fähigkeiten der Organisation stellen dar, wofür die Organisation bekannt ist, was sie gut kann und wie sie Ressourcen zuweist, um in ihrem Markt zu gewinnen. Das ist deutlich mehr als Rollen und Strukturen!

Dave Ulrich benennt in einem im Juni 2021 publizierten Beitrag zwölf erfolgskritische Fähigkeiten. Personaler können dabei helfen, zu definieren, welche dieser Fähigkeiten am besten zu den wichtigsten Ergebnissen im Unternehmen führen.

Wie aus Abb. 5 in beigefügter Präsentation ersichtlich, haben die zwölf Fähigkeiten einen unterschiedlichen, relativen Einfluss auf Mitarbeiter-, Strategie-, Kunden-, Finanz- und Gemeinschafts-Ergebnisse. Diese Daten zeigen beispielsweise, dass für strategische Geschäftsergebnisse strategische Klarheit und Agilität die wichtigsten Fähigkeiten sind; wohingegen für Kundenergebnisse strategische Klarheit und Kundenorientierung die wichtigsten Fähigkeiten sind. Mit einem solchen Organisationsleitsystem können Personaler ihrer Organisation helfen zu verstehen, welche Fähigkeiten für welche Ergebnisse am wichtigsten sind.

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Fazit

Ein evidenzbasierter Ansatz zur hybriden Arbeitsplanung zeigt Mitarbeitenden, wie sie räumlich und zeitlich mit genau den Personen zusammengebracht werden, mit denen sie am dringendsten persönliche Interaktionen haben. Auch noch zögernde Belegschaften können mittels ONA davon überzeugt werden, tageweise an den Büroarbeitsplatz zurückzukehren.
Aus der Vielzahl möglicher Modelle könnte sich das „Clubhouse-Modell“ durchsetzen; ein Hybridmodell, bei dem Mitarbeiter das Büro besuchen, wenn sie zusammenarbeiten wollen, und nach Hause zurückkehren, um konzentriert zu arbeiten. Das Büro dient als soziales Zentrum – der Ort, an dem sich Menschen treffen, Kontakte knüpfen und zusammenarbeiten.

Es ist von entscheidender Bedeutung, in die Entwicklung von HR-Teams zu investieren. Die Kultur muss die Transformation von HR in eine digitale, datengesteuerte Funktion unterstützen. Nickle LaMoreaux, CHRO der IBM, skizziert eine solche kulturelle Transformation in einem Interview mit Eric Mosley. Vier Dinge stehen bei IBM dabei im Vordergrund: Wachstum, Innovation, Inklusivität und Feedback. „Feedback is as important as growth, innovation, and inclusivity because you can’t have those first three elements without feedback.“

Organisationen sollten weniger durch ihre Struktur und Systeme definiert werden als dadurch, die erforderlichen Fähigkeiten aufzubauen, um zu gewinnen – d. h. Kunden auf eine Weise zu bedienen, die Konkurrenten nicht ohne weiteres kopieren können.
HR trägt dadurch wesentlich zum Geschäftserfolg bei, indem es eine agilere Belegschaft hervorbringt, die richtigen organisatorischen Fähigkeiten entwickelt und in das Unternehmen einbettet, sowie schließlich die DEI-Bemühungen (diversity, equity, inclusion) vorantreibt.