Die Veränderung bestehender Geschäftsmodelle vollzog sich bisher eher in „homöopathischen Dosen“. Wie in Teil 1 (Customer Journey, etc.) und Teil 2 (datengetriebene Geschäftsmodelle, etc.) dieser Beitragsreihe dargelegt wächst jedoch der Druck auf Versicherer vor dem Hintergrund der angespannten Lage am Kapitalmarkt, der veränderten Erwartungshaltung der Kunden, sowie aufgrund der steigenden Konkurrenz durch neue Marktteilnehmer. Für Versicherer bedeutet das: Das bisherige Geschäftsmodell ist ein Auslaufmodell!

Treiber und gleichzeitig größte Potenziale für die notwendige digitale Transformation der Versicherer bilden technologische Trends und Entwicklungen, die in der Studie „Assekuranz 4.0 als digitales Dreieck bezeichnet werden.

  • Was zeichnet die Versicherung im digitalen Dreieck aus?
  • Wo greifen InsurTechs an?
  • Welche Herausforderungen stehen für etablierte Versicherer im Vordergrund?

Versicherung im digitalen Dreieck

Das digitale Dreieck unterscheidet drei Bereiche – Smart Analytics, Industrialisierung/Automatisierung und Customer Interaction -, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Digitalisierung gelingt demzufolge nur, wenn sie als Zusammenspiel von intelligenten Datenanalyseverfahren, einer hohen Automatisierung und datenbasierten Steuerung von Geschäftsprozessen sowie besseren Interaktionsmöglichkeiten auf Seiten der Kunden verstanden und umgesetzt wird. Zu den drei Bereichen im Einzelnen:

Entlang der Möglichkeiten der Smart Analytics werden sich Versicherer zu datengetriebenen Organisationen entwickeln (Data Science!). Die einstige Paradedisziplin der Branche, nämlich die Gewinnung von Erkenntnissen aus Daten und der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten, wird es auch wieder werden. Vielfach bin ich auf Analytics in Tagungen und Blogbeiträgen bereits eingegangen. Folgende Trends gehen mit Smart Analytics einher:

  • Die AI-gestützte Hybrid Cloud bietet eine Plattform zur Rationalisierung der Applikationslandschaft. Zusätzlich zur Vereinheitlichung der bestehenden Produkte und Tarife geht es dabei auch um die rasche Umsetzung neuer Marktideen und die zügige Integration passender externer Partner. Ein zentraler Meilenstein war in diesem Zusammenhang die Herausgabe der versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT).
  • Herkömmliche Datenanalyseplattformen müssen sich neuen Herausforderungen stellen, da sowohl die Skalierung als auch die Komplexität realer Daten kontinuierlich zunehmen. Bestehende Datenanalyseplattformen verfügen selten über umfassende Funktionen für Benutzer. Als Reaktion auf diese Herausforderungen wird die BDAP (Big DAta Placement Strategy) vorgeschlagen. BDAP unterstützt umfangreiche Datenspeicherung, parallelen ETL-Prozess, Data Mining, statistische Analyse, Text Mining und Stromnetzdatenverarbeitung, die auf Spark basieren.
  • Kubernetes ist ein Open-Source-System zur Automatisierung der Bereitstellung, Skalierung und Verwaltung von Container-Anwendungen, das ursprünglich von Google entworfen und an die Cloud Native Computing Foundation (CNCF) gespendet wurde. Es zielt darauf ab, eine „Plattform für das automatisierte Bespielen, Skalieren und Warten von Anwendungscontainern auf verteilten Hosts“ zu liefern und unterstützt eine Reihe von Container-Tools, einschließlich Docker.
  • Die Ledger-Technologie bietet v.a. im Schadenmanagement und im Vertragsmanagement neue Chancen. Schäden lassen sich beispielsweise als Ledger und damit in einer Kette anlegen und dokumentieren. Da hierauf nicht nur die Versicherungen selbst, sondern auch andere Beteiligte wie Gerichte und Gutachter zugreifen können, werden sich die Bearbeitungszeiten enorm verkürzen. Ein ganz neues Feld tut sich auch bei sog. „Smart Contracts“ auf, der Vollautomatisierung von Policen unter Nutzung sämtlicher Informationen einer Kette.
  • Edge Computing analysiert die Daten dort, wo sie entstehen und stellt sie bei Bedarf weiteren Systemen in der Nähe des Edge-Bereiches zur Verfügung. Für die Versicherungsbranche ergeben sich daraus immer neue Einsatzmöglichkeiten. So zum Beispiel Kfz-Versicherungen mit Telematik-Tarifen, Smart-Home-Schutzbriefe oder Krankenversicherungen, die das persönliche Verhalten analysieren und zusammen mit KI/AI Verhaltensänderungen unterstützen. In Firmen verbreiten sich Sensoren z.B. in der Maschinensteuerung und der Logistik. Sie erhöhen den Schutz der Nutzer und begrenzen Schäden. Zugleich bekommen die Versicherer genauere Einblicke in das Verbraucherverhalten und können so ihre Angebote am tatsächlichen Bedarf ausrichten.

Die Möglichkeit dessen, was mit wirtschaftlichem Aufwand aktuell bereits automatisiert werden kann, ist nur ein Vorausahnung dessen, was neuartige, selbst-lernende Systeme an Aufgaben übernehmen können. Momentan sind vor allem Systeme erfolgreich, die zwei Herangehensweisen verknüpfen: Das Rahmenwerk und die zentralen Abläufe funktionieren nach Regeln, während komplexe Einzelaufgaben durch selbst-lernende Komponenten ergänzt oder ersetzt werden. Folgende Trends gehen mit Industrialisierung/Automatisierung einher:

  • Insbesondere in den Bereichen Prämienzahlung und Schadensbearbeitung haben Versicherungsunternehmen einen großen Bedarf, Blockchain-Lösungen zur Prozessautomatisierung einzusetzen (siehe auch o.g. „Smart Contracts„),
  • Noch gelangen Versicherer in ihrer täglichen Arbeit an zu wenige Erkenntnisse automatisch. Dabei könnten sie mit selbst-lernenden Verfahren schon heute ihre Risikoprofile verfeinern sowie Kunden intelligenter auswählen. Auch das Underwriting und die Interaktion lassen sich mittels maschinellem Lernen effizienter gestalten.
  • Zahlreiche Versicherer nutzen Robotic Prozess Automation (RPA), um transaktionale Massenprozesse zu automatisieren, bei denen die prozessunterstützenden IT-Systeme nicht ausreichend vernetzt sind. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Einkauf, Finanzen, Buchhaltung und Personalwesen. Mit zunehmenden kognitiven und natürlich-sprachlichen Fähigkeiten eignet sich RPA aber auch zu intelligenteren Formen der Prozessautomatisierung. Damit adressiert RPA nun auch die eigentliche Wertschöpfung, wie etwa in den Bereichen Underwriting und Kundeninteraktion sowie Schadensregulierung und Forderungsmanagement.
  • Die Brancheninitiative Prozessoptimierung (BiPRO e.V.) hat sich die Schaffung technischer und fachlicher Normen zum Ziel gesetzt, um unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse zwischen Maklern und Versicherern zu optimieren.

Nun noch zum dritten Bereich des digitalen Dreiecks: Im Rahmen der Kundeninteraktion geht es darum, den (potenziellen) Kunden die notwendigen Informationen in passgenauer und angenehmer Form zu präsentieren. Bislang ist das Design der Prozesse und Produkte stark von der Vorstellung fest umrissener Kundentypen bzw. Zielgruppen ausgegangen, die oftmals unmittelbar mit bestimmten Vertriebskanälen assoziiert wurden. Wo diese Konzepte sichtbar an Grenzen gestoßen sind, wurde versucht, eine punktuelle Durchlässigkeit für die sogenannten hybriden Kunden zu schaffen. Dafür wurden oft nur die nötigsten Anpassungen vorgenommen, mit zum Teil großen Einschränkungen in der Benutzbarkeit, sowohl für Kunden als auch für Vermittler und Berater. Das Design künftiger Interaktionsprozesse wird vermutlich drastisch einfacher, wenn es weitestgehend losgelöst von Kanälen erfolgt und jene nur noch als modulare Präsentationsschicht über einem einheitlichen strukturellen Fundament verstanden werden. Folgende Trends gehen mit Customer Interaction einher:

  • Eines der dynamischsten Anwendungsfelder der KI/AI ist Robo Advisory. Hier öffnen algorithmen-gestützte Analysesysteme völlig neue Vertriebs- und Kommunikationskanäle. Versicherer bekommen ein starkes Mittel, um ihre Omnichannel-Strategie auszubauen und die Nachfrager tatsächlich dort abzuholen, wo sie sich vorzugsweise aufhalten. Perspektivisch verlieren der Vermittler als zentrale Schnittstelle zum Kunden und sein Beziehungsnetzwerk als Basis für den Verkauf sukzessive an Bedeutung. Virtuelle Berater beobachten permanent Verhalten und Umgebung des Kunden, analysieren und verknüpfen die gesammelten Daten und geben aktiv Empfehlungen, wenn sich die Risikosituation des Kunden ändert oder passen die Deckung gleich automatisch an. Die Beratung erfolgt künftig maschinell, gleichzeitig aber hochgradig persönlich, da die virtuellen Berater in der Lage sind, individuell auf ihr Gegenüber einzugehen und in natürlicher Sprache zu kommunizieren.
  • Je gezielter Versicherer ihre Kunden adressieren, desto höher ist die Erfolgsquote. Mit ausgefeilten Kontext- und Zielgruppen-Targeting-Tools sowie Analysewerkzeugen (Advanced Analytics) können Erfolgsquoten bei Versicherern deutlich gesteigert werden. Auch der Versicherungsnehmer profitiert. Dies ermöglicht u.a. maßgeschneiderte Angebote (automatisierte Mass Customization), personalisierten Service sowie eine bessere Betrugsbekämpfung.
  • Augmented Reality– (AR), 3D- und Remote-Viewing-Technologien erlauben eine dreidimensionale Erfassung von Räumen – ein perfektes Werkzeug für die Aufnahme und Beurteilung von Schäden. Unfälle lassen sich minutiös am Rechner rekonstruieren.
  • Identitätsplattformen für das Kunden-Onboarding machen es möglich, die verifizierte digitale Identität eines Kunden zentral zu verwalten und den Cloud-Diensten seines Vertrauens mit einfachsten Mitteln zur Verfügung zu stellen.

Andockpunkte der InsurTechs

Die neuen Wettbewerber resp. Start-Ups im InsurTech Sektor üben mit ihrer Digitalisierungsdynamik Druck auf etablierte Versicherer aus; dies insbesondere dort, wo sich durch die skizzierten Technologien und Trends im digitalen Dreieck neue Marktstandards ergeben können.

InsurTechs nutzen digitale Informations- und Kommunikationskanäle für eine individualisierte Kundenansprache und Beratung. Mit Hilfe von Apps für mobile Endgeräte sowie Skills für sprachgesteuerte, digitale Assistenten können sie Produkte um Serviceleistungen wie etwa digitale Gesundheitsanwendungen ergänzen und so die Kundenbindung erhöhen.

Die Kundenschnittstelle ist aus zwei Gründen wesentlich: Erstens fallen beim direkten Kundenkontakt viele wichtige Daten, z.B. für die Produktgestaltung und spätere Kundenansprachen, an. Zweitens hat das Unternehmen an der Kundenschnittstelle die Chance, die Sichtbarkeit des Unternehmens und der Marke zu erhöhen und somit auch die Möglichkeit zur unmittelbaren Pflege der Kundenbeziehung und zum Cross-Selling.

InsurTechs treten zunehmend in Kooperation mit etablierten Versicherungsunternehmen, die bereits über große Datenbestände verfügen, auf. Etablierte Unternehmen haben in der Regel bereits das Vertrauen ihrer Kunden gewonnen, ihre Marke am Markt durchgesetzt und kennen sich gut mit Regulierung und Aufsicht aus. InsurTechs spielen ihre Stärken sowohl bei der Leistungserstellung als auch an der Kundenschnittstelle aus.

Unmittelbare Herausforderungen

Was ist also nun zu tun, um sich als Versicherer vom Auslaufmodell zu lösen und – ggf. unter Einbindung von InsurTechs – datengetriebene Geschäftsmodelle aufzubauen?

Grundlegend wird sein, einen Kulturwandel und Organisational-Change-Management-Programme anzustoßen. Die im Beitrag skizzierten digitalen Technologien werden das Kundenerlebnis revolutionieren: von zielgenauerer Kundenansprache, Robo Advisory und Vertriebsservices, über automatisierte Schadensregulierung, vernetzten Geräten und VR, bis hin zu CRM Analytics.

Voraussetzung für die Entwicklung neuer Produktkonzepte sowie die dringend notwendige Weiterentwicklung der Geschäftsmodells insgesamt ist neben einer marktseitigen Neuausrichtung vor allem eine Anpassung der internen Strukturen, Abläufe und der IT-Landschaft. Auf ausgewählte Prozesse werde ich im nächsten, dem vierten Teil dieser Beitragsreihe detailliert eingehen. Mit den aktuellen technologischen Entwicklungen, wie z.B. den selbst-lernenden Systemen, zeichnet sich ab, dass die Möglichkeiten, Prozesse mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu automatisieren, sprunghaft zunehmen werden.

Eine wesentliche Herausforderung für Versicherer wird in diesem Kontext die Verfügbarkeit und Nutzung der notwendigen Daten sein. Denn auch wenn diese Daten in beeindruckenden Geschwindigkeiten weiter anwachsen, sind sie noch lange nicht für die Versicherer verfügbar und nutzbar. Daneben wird sich die digitale Transformation im Sinne eines ganzheitlichen Anpassungsprozesses insbesondere auch auf den Aufbau von Wissen und entsprechend neuen Kompetenzen konzentrieren. Notwendig ist darüber hinaus eine entsprechende Offenheit für gänzlich neue und bislang unbeachtete Möglichkeiten, um Schutz für Versicherungskunden zu bieten (Cyber Security!).

Im Rahmen datengetriebener/-basierter Geschäftsmodelle werden physische Produkte in einer vernetzten Wertschöpfung durch datenbasierte Dienste ergänzt und erweitert und Konsumenten erhalten auf diese Weise ein individuell konfiguriertes Produkt-Service-Paket. Versicherungen werden in diesen Paketen künftig als Leistungsbestandteil integriert sein. Versicherer müssen frühzeitig entscheiden, wie sie sich in diesem Ökosystem positionieren wollen – entweder als Lieferant für andere Marktteilnehmer des Ökosystems oder als Full-Service-Anbieter, der in Zusammenarbeit mit Partnern ein übergreifendes Leistungspaket vertreibt.

Stand heute können also in Anlehnung an alexanderthamm drei Reifegrade unterschieden werden: