Im Rahmen mehrerer HR Audits habe ich mir in den letzten Monaten wiederholt darüber Gedanken gemacht, wie Arbeitgeber dem Mangel an Fachkräften begegnen können.

In diesem Beitrag möchte ich einige der Erkenntnisse teilen und würde mich über Kommentare und Ergänzungen sehr freuen.

Übergang von Strategischer Personalplanung in operative Aktionspläne

Leider immer noch zu häufig beginnen viele Arbeitgeber nicht mit der validen Produktions- und Personalplanung, sondern mit einer hektisch-planlosen Rekrutierung. Da ich auf die Personalplanung schon mehrfach auf diesem Blog eingegangen bin, möchte ich hier einmal mehr die operativen Aktionspläne, die sich aus der Personalplanung ableiten, näher beleuchten: buy, build, borrow – 2015 erstmals am Conference Board thematisiert.

Dieses Mal fange ich mit „borrow“ an: Weil die Rekrutierung von Fachkräften stetig anspruchsvoller wird, greifen einige Betriebe auf externe Kräfte zurück und binden Personaldienstleister mit ein. Übersehen wird dabei häufig, dass sich auch diese Dienstleister mit der Rekrutierung qualitativ hochwertiger Fachkräfte schwertun – übrigens nicht nur mit erfahrenen Maschinen- und Anlagenbedienern, sondern auch mit Produktionshelfern!
Grundsätzlich gilt: Je solider die Produktions- und Umsatzplanung, desto mehr spricht dafür, Personal einzustellen. Das ist neben einigen weiteren Vorteilen in der Regel kostengünstiger, als auf Leiharbeit oder andere externe Kräfte zurückzugreifen.

Im folgenden Absatz geht es nun um „buy“ und „build“.

Arbeitgeber gehen proaktiv gegen den Fachkräftemangel vor

Häufig werden die Arbeitgeber hervorgehoben, die reaktiv agieren, alles als schwierig einstufen oder bereits resigniert haben – leider auch im Thema Berufsausbildung!
Mit diesem Beitrag möchte ich Mut machen und einige konkrete Maßnahmen nennen, die Arbeitgeber auf Basis unserer HR Audits ergriffen haben und damit Erfolge erzielen.

Immer mehr Arbeitgeber locken in Stellenanzeigen Bewerber:innen mit Einstiegs- und Antrittsprämien und machen die häufig gestiegenen Gehaltsangaben transparenter.

Zweitens senken Arbeitgeber die Bildungsanforderungen und konzentrieren sich auf Bewerber:innen, die über Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Problemlösung, Teamorientierung und zwischenmenschliche Fähigkeiten verfügen.
Das Schließen von Kompetenzlücken geschieht durch Schulungen, Mentoring und Entwicklung on-the-job direkt nach der Einstellung. Diese Investitionen im Rahmen des Onboarding sind notwendig, zahlen sich jedoch mittel- bis langfristig aus. Man nennt solche Programme On-Ramping-Programme.

Drittens denken Arbeitgeber voraus und überlegen, wie sich die Art der Arbeit verändern wird. Während der letzten zwei Jahre haben viele in Automatisierung und Digitalisierung investiert; Robotik in der Fertigung hat zugenommen. Mitunter wurden Geschäftsmodelle komplett modifiziert.
Diese längerfristige Sichtweise erfordert eine kontinuierliche Neubewertung der Fähigkeiten, die Menschen für ihre Arbeit benötigen, und treibt die Schaffung neuer Rollen voran, die heute vielleicht noch nicht existieren, aber in Zukunft unerlässlich sein werden.
Eine Studie des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und des IBS – Institute for Structural Research – liefert hinsichtlich Robotereinsatz und Konsequenzen auf Beschäftigung interessante Einblicke. Die Autoren der Studie heben die schlussendlich höhere Produktivität und Nachfrage sowie den Fokus auf Weiterbildung hervor.

Damit bin ich beim letzten und vierten Punkt: Die kontinuierliche Umschulung und Höherqualifizierung werden immer wichtiger. Dies wird derzeit sowohl in den Ausbildungsberufen als auch in den Weiterbildungsprogrammen deutlich.

Alle vier Punkte tragen nachweislich zur Mitarbeiterbindung bei.

Kennzahlen ja, aber Vorsicht

In den durchgeführten HR Audits hat mich die durchweg ungenügende Datenqualität überrascht. Einfachste Kennzahlen sind mitunter nicht verfügbar, oder nur als Summe über alle rekrutierten Berufe hinweg.

Klassische Kennzahlen, wie „Time-to-Hire“ und „Cost-per-Hire“, müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Denn: Mit Blick auf die o.g. Kompetenzen verläuft die Vorselektion zwar schneller, dafür wird aber mehr Aufwand in die persönliche Selektion investiert. Und das ist gut so! Je nach Automatisierungsgrad der Testverfahren etc. können die Kosten pro Einstellung steigen. Noch nicht eingerechnet sind in dieser Kennzahl die Kosten des Onboarding!
Ein zu starrer Blick auf Kosten ist deshalb kontraproduktiv und sollte sich den neuen Realitäten anpassen. Fakt ist: Dieses proaktive Vorgehen der Arbeitgeber geht mit steigenden Arbeitskosten einher. Was wäre die Alternative? Ein reaktives Vorgehen würde bedeuten, keine Arbeitskräfte mehr zu finden, Produktionskapazitäten und Wachstumspotenziale nicht nutzen zu können, und damit Gewinneinbußen in Kauf nehmen zu müssen.

Aus der Fülle möglicher Kennzahlen möchte ich die folgenden hervorheben:

  • Conversionsrate I und II
  • Effektivität / Kosten der Rekrutierungskanäle
  • Zeit bis zur Annahme des Vertragsangebotes, Zeit bis zur Produktivität
  • Annahmequote des Vertragsangebotes
  • Umsatz / Ergebnis / Kosten je VZK
  • Arbeitskosten pro VZK / als Prozentsatz des Umsatzes / als Prozentsatz der Gesamtausgaben
  • Schulungsaufwand pro Mitarbeiter / Schulungseffizienz
  • Fluktuationsrate im ersten Jahr/Monat
  • Kandidaten- und Mitarbeitererfahrung

Mit Blick auf Nachhaltigkeit liefert die DIN ISO 30414 mit den darin aufgeführten Kennzahlen wertvolle Anhaltspunkte.

Leistungsfähige Analytics-Lösungen können mittlerweile anhand qualitativ hochwertiger Daten und mithilfe von Algorithmen prognostizieren, welche Rekrutierungsmaßnahme passende Einstellungen verspricht (Predictive Analytics). Aufgrund der häufig mangelhaften Datenqualität sind solche Lösungen jedoch sehr selten in der Praxis anzutreffen.

Fazit

Ehe man sich mit konkreten Personalbedarfen und daraus folgenden Maßnahmen auseinandersetzt, sollte man sich mit den Themen Kultur und Führung beschäftigen. Denn der Zweck eines Unternehmens, der sog. Purpose, und seine zugrunde liegenden Ziele bestimmen den Kontext für Führung und die Wirksamkeit bestimmter Führungsstile. Die Aussage „dafür haben wir jetzt keine Zeit“ löst das Problem nicht, es verschlimmert es.

Arbeitgeber machen für die o.g. vier Punkte ihre Jobs sichtbar, rationalisieren ihre Rekrutierungs- und Einstellungspraktiken und bieten ein personalisiertes Bewerbererlebnis, um im Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreich zu sein. Sobald die Bewerber ihr Interesse an einer Stelle bekundet haben, führen Arbeitgeber den Auswahl- und Einstellungsprozess zügig entlang einiger Cut-off-Kriterien und valider Testverfahren durch. Jede Fehlbesetzung kostet Zeit und Geld und mindert notwendige Produktivitätsniveaus!

Solange Freelancer auf ihrem „freien“ Status bestehen und jegliche Anstellungsangebote ablehnen – diese Tendenz nimmt bei Fachkräften zu! -, müssen Arbeitgeber sog. Ökosysteme für Arbeitskräfte orchestrieren. Details finden sich in der 2022-er Studie „Future of the Workforce“.

Eine schnelle Lösung im Umgang mit dem Fachkräftemangel gibt es nicht. Die gute Nachricht ist: Immer mehr Unternehmen denken um und ändern ihr Vorgehen bei der Ansprache, der Rekrutierung und dem Onboarding von Fachkräften. Meines Erachtens gibt es keine Alternative zu einem Vorgehen, das auf Nachhaltigkeit beruht und alle Bereiche im Blick hat: Von Compliance und Ethik, über Kosten, Führung und Kultur, bis hin zu Fähigkeiten und Produktivität.