Digitalisierung und Digitale Transformation ändern tiefgreifend, wie wir arbeiten, spielen, leben, kommunizieren und miteinander umgehen. Viele Aspekte unseres Lebens, wie z.B. soziale Netzwerke, smarte Energienetze, Fitnesstracker und Navigationsapps, haben heute bereits eine digitale Komponente.

Wir erheben Daten über unsere Tätigkeiten, analysieren sie, erstellen Statistiken, suchen Korrelationen und Kausalitäten – auch, aber nicht nur im Thema Workforce Analytics – und passen daraufhin an, wie wir in Zukunft arbeiten und leben.

Vor diesem Hintergrund wird eine Ethik der Digitalisierung von zentraler Bedeutung. Eine solche Digitale Ethik untersucht, wie digitale Medien und Technologien von Individuen, Organisationen und in gesellschaftlichen Kontexten eingesetzt werden und welche Lösungsansätze zur Behebung dabei auftretender Probleme und Konflikte verfolgt werden sollten.

Interessante Stellungnahmen

Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die digitale Zukunft gesprochen und forderte eine neue Ethik der Digitalisierung:

„Ziehen wir uns niemals zurück! Überlassen wir den Diskurs im Netz nicht den wütenden und tobenden Scheinriesen. (…) Deshalb brauchen wir den Mut, das Spiel zu unterbrechen und die Spielregeln zu überprüfen. Was einmal gestaltet worden ist, kann auch neu gestaltet werden! Was programmiert wurde, kann neu programmiert werden! Also: Trauen wir uns und ändern wir das Programm. Unser neues Programm kann ein gutes Programm sein.“

Auf der re:publica 2019 in Berlin sagte er:

„Digitalisierung heisst: vernetzt zu sein. Demokratie aber heisst: verbunden zu sein. In der Demokratie sind wir in einem tieferen, einem politischen Sinne aufeinander angewiesen als nur per Like oder Dislike. Diesen Schritt vom Vernetzt- zum Verbundensein, den müssen wir noch gehen.“

Bei einer Diskussion mit Studenten der japanischen Elite-Universität Keio in Tokio im Februar 2019 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel:

Bei einer Beinprothese oder Transplantation von Organen ist man immer noch der gleiche Mensch. Wenn ich aber einen Chip in mein Gehirn bekomme, damit ich schneller denken kann oder besser denken kann, bin ich dann auch noch derselbe Mensch? Wo endet mein Menschsein? Das sind Fragen, mit denen man sich glaube ich beschäftigen muss.

Frau Prof. Dr. Petra Grimm vom Institut für Digitale Ethik schrieb zum Thema Digitale Ethik folgendes:

Die Digitale Ethik ist eine Erweiterung der allgemeinen Medienethik. Sie versucht, Verhalten im digitalen Leben auf seine Verantwortbarkeit hin zu untersuchen und reflektiert die Bedingungen für ein gutes, gelingendes Leben. Zu den Aufgaben einer Digitalen Ethik gehört es, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und den Einzelnen zu diagnostizieren und konsistente Begründungen für moralisches Handeln und normative Standards zu erarbeiten. Des Weiteren kann sie bei Werte- und Normenfragen, die mit neuen Technologien und den daraus resultierenden sozial-kommunikativen Praktiken verbunden sind, als Navigationsinstrument dienen. Ihr Ziel ist es, eine wertebezogene Digitalkompetenz zu fördern.

Frau Cornelia Diethelm, Vordenkerin und Gründerin des Centre for Digital Responsibility (CDR), gibt im Video-Interview Einblicke, was sie von einer digitalen Ethik erwartet, und warum selbst der Generation Z nicht ganz wohl ist beim Gedanken an die digitale Zukunft.

Leitlinien, Ziele und Herausforderungen

Unter Leitung von Prof. Dr. Petra Grimm, Prof. Dr. Tobias Keber und Prof. Dr. Wolfgang Schuster wurden in einem Masterprojekt des Instituts für Digitale Ethik (IDE) der Hochschule der Medien Stuttgart „10 ethische Leitlinien für die Digitalisierung von Unternehmen“ erarbeitet:

Datenökologische Verantwortung

  1. Die Privatsphäre soll geschützt werden.
  2. Smart-Data-Ansätze sollen als Vorbild dienen.
  3. Die Sicherheit und Qualität der Daten sollen gewährleistet sein.

Faires & gerechtes Arbeiten 4.0

  1. Es sollen faire und gerechte Arbeitsbedingungen gelten.
  2. Mitarbeiter sollen am Digitalisierungsprozess des Unternehmens teilhaben.
  3. Die Aus- und Weiterbildung sowie die digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter sollen gefördert werden.

Chancengerechtigkeit & Fürsorge

  1. Chancengerechtigkeit soll gefördert und Diskriminierung vermieden werden.
  2. Auf schutzbedürftige Personen soll besonders Rücksicht genommen werden.

Folgenabschätzung & Nachhaltigkeit

  1. Künstliche Intelligenz soll werteorientiert gestaltet werden.
  2. Die Digitalisierung soll dazu dienen, natürliche Ressourcen zu schonen.

Frau Prof. Dr. Sarah Spiekermann hebt in ihrem Buch „Digitale Ethik. Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert“ einen menschengerechten Fortschritt durch Wertethik hervor. Hiermit meint sie „die ökonomisch rationalen Schlechtigkeiten unserer Zeit wegzulassen, während gleichzeitig Tugenden und positive Werte in der Gesellschaft gefördert werden“. Hierzu gehören Werte wie Mut, Loyalität, Grosszügigkeit, Ehrlichkeit, Willensstärke und Liebe. In einer VUCA world werden Werte wichtiger denn je, weil sie Halt geben und Orientierung bieten.

Wertschöpfung gelingt ihrer Meinung nach erst dann, wenn mittels Digitalisierung die gefühlten menschlichen und gesellschaftlichen Werte gefördert werden. Wenn also beispielsweise durch neue IT-Systeme Menschen Freiheit verlieren, dümmer werden, Wissen an Maschinen auslagern, Privatheit aufgeben und Gesundheit ruinieren, dann ist damit kein Fortschritt im Sinne von Wertschöpfung, sondern ein Rückschritt verbunden.

Als Ziele einer digitalen Ethik nennt Lena Suling die folgenden:

  • Untersuchung der Verantwortbarkeit von Verhalten im digitalen Raum.
  • Diagnose der Auswirkungen von Digitalisierung auf den Staat, die Gesellschaft und das Individuum.
  • Reflexion von Bedingungen für ein gelingendes Leben bzw. einen gelingenden Umgang miteinander.
  • Erarbeitung konsistenter Standards für moralisches Handeln.
  • Schaffung einer Orientierungshilfe für Werte- und Normenfragen im Zusammenhang mit neuen Technologien.
  • Förderung wertebezogener Digitalkompetenz.

Folgende Herausforderungen stellt Petra Grimm in den Vordergrund, um Digitale Ethik zu bewältigen:

  1. Big Data und Privatsphäre; hier geht es um den möglichen Verlust der fundamentalen Werte Selbstbestimmung und Autonomie.
  2. Verletzendes Kommunikationsverhalten im Netz, wie z. B. Cybermobbing, Hate-Speech und sexuelle Belästigung.
  3. Bedeutung von personalisierten Informationen und Nachrichten durch Suchmaschinen und sog. soziale Medien – Gefahr von Manipulation und Informationsselektion.
  4. Initiativen auf nationaler und supranationaler Ebene, um Gefährdungspotenziale durch Medieninhalte, wie extreme Gewaltvideos und Propaganda, zu reduzieren.
  5. Virtuelle Realität (Virtual und Augmented Reality); diese kann Einfluss auf unser Verhalten in der realen Welt, unser Bewusstsein und unsere Identität haben.

Interessant und wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Personalarbeit, die vom Ethikbeirat HR Tech erarbeitet wurden.

Zum Nachdenken

Wir sollten mit der Digitalisierung vorsichtig(er) umgehen: Zahlreiche positive Werte, wie z.B. zeitliche Freiräume, Flexibilität und Mobilität, werden durch eine Reihe von Werteinbußen, wie z.B. Sucht, Konzentrationsunfähigkeit und Oberflächlichkeit, wieder kompensiert. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch sinn- und wertvoll.

Modelle sind, wie alle Algorithmen, die auf ihnen basieren, immer unvollständig. Sie können den nicht identischen Wiederholungen von Lebensrealitäten und ihren Werten nicht gerecht werden.

Viele Menschen befinden sich heute gegenüber dem Fortschritt in einer passiv-pflichtgetriebenen oder Mainstream-Akzeptanz-Rolle; diese wird den gestalterischen und denkerischen Potenzialen des Einzelnen nicht gerecht.

Schliesslich sollten wir in die Berufsbildung investieren, d.h. Lehrberufe und Fachausbildungen pushen; denn nur mit einem fundierten Einblick in die konkreten Bedingungen einer Branche bzw. eines Milieus und der Entwicklung realer Fähigkeiten kann Innovation gelingen (siehe Kommentar vom 6. August 2019 „Nachtrag zur Einstiegsfrage: „Verliert die Berufsbildung die Rolle der Nachwuchsförderung?“ im zugehörigen Blogbeitrag).

Was meinen Sie hierzu? Bitte schreiben Sie mir einen Kommentar!