Aktuelle Debatten über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz (kurz: KI) – auch: Artificial Intelligence (kurz AI) – konzentrieren sich häufig auf die Auswirkungen auf Mitarbeitende und den Geschäftsbetrieb. Unternehmen sollten daneben jedoch v.a. der Rolle, die KI auf Vorstands- resp. Geschäftsführungsebene einnehmen wird, Bedeutung beimessen.

Heute bereits und erst recht in der Zukunft werden die Auswirkungen von KI zu einer beispiellosen Zusammenarbeit zwischen zwei Schlüsselrollen führen: dem Chief Human Resource Officer (CHRO) und dem Chief Information Officer (CIO). Im Wesentlichen konvergieren die beiden Rollen und verändern die Grundlagen unserer Geschäftstätigkeit.

Traditionell als Unterstützungsfunktionen wahrgenommen, spielen sowohl IT als auch HR eine wichtige Rolle bei der strategischen Positionierung und der nachhaltigen Leistungsstärke eines Unternehmens. Die Zusammenarbeit zwischen beiden und anderen Funktionen ist von entscheidender Bedeutung, um neue strategische Richtungen zu durchdenken und neue Einblicke in zukünftige Möglichkeiten in einem Ökosystem zu schaffen, das von ständigen Störungen, Disruptionen und Innovationen geprägt ist.

In der heutigen Welt werden vom CIO zunehmend Geschäftssinn, Zusammenarbeit, effektives Änderungsmanagement und Konfliktlösung erwartet. Zu den wichtigsten Fragen, über die CIOs nachdenken sollten, gehören folgende:

  • Was ist die grösste Bedrohung, die aufkommende Technologien für unser Geschäftsmodell darstellen?
  • Welche neuen Wettbewerber werden wahrscheinlich in unseren Markt einsteigen?
  • Wer ist der wichtigste Kunde in unserer Kunden-/Stakeholder-Kette?
  • Welche Möglichkeiten gibt es bzw. bieten sich uns, um neue Dienstleistungen und Produkte durch technologische Innovationen (einschliesslich KI) bereitzustellen?
  • Welche Konsequenzen haben diese Innovationen für unsere zukünftigen Talentbedürfnisse?
  • Wie können wir diesen zukünftigen Talentbedürfnissen durch Rekrutierung, kontinuierliche Mitarbeiterentwicklung und gezielte Bindung von Schlüsselmitarbeitern effektiv begegnen?

Mit der weiteren Entwicklung von KI wächst die Anforderung an IT- und HR-Funktionen, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Die letzten drei Fragen beziehen sich auf die Notwendigkeit fortlaufender Partnerschaften mit CHROs, um notwendige Programme für die Talententwicklung, die Bindung von Talenten und die Nachfolgeplanung, die aus der Strategischen Personalplanung abzuleiten sind, zu unterstützen.

Fortschreitende Anwendung von KI in der Personalabteilung

KI hat in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht, indem es sowohl Mitarbeiter identifizieren konnte, die am wahrscheinlichsten aus dem Unternehmen ausscheiden, als auch interne Talente mit offenen Stellen matchen konnte. Darüber hinaus „beschäftigen“ bereits einige Unternehmen Chatbots – im Wesentlichen KI-Agenten -, die natürliche Sprache verwenden und mit Kunden und Mitarbeitern zusammenarbeiten. Zugegeben: Die derzeitigen Einsatzmöglichkeiten sind noch nicht „berauschend“.

Trotzdem werden die oben beschriebenen Technologien in Unternehmen mit dem Ziel eingesetzt, um Initiativen in verschiedenen Bereichen des Talent-Management-Prozesses zu erweitern und um den Prozess hinsichtlich Umfang und Geschwindigkeit zu verbessern. Gleichzeitig sollen diese Innovationen dazu beitragen, die Kosten zu senken – eine Priorität für fast jedes Unternehmen, das sich einen Vorsprung sichern oder gewinnen will.

Hier einige Beispiele:

  • Intel verfügt über eine digitale Technologie, die „Ivy“ genannt wird, um die Fragen der Mitarbeiter zu Vergütungen, Leistungen und verschiedenen anderen Themen im HR-Bereich zu beantworten. Das Programm soll überzeugend simulieren, wie ein Mensch auf solche Fragen antworten würde.
  • Ähnlich geht Siemens mit „Carl“ vor, eine digitale Assistenz, die HR-bezogene Standardfragen der Mitarbeiter beantwortet, etwa „wo kann ich meine Überstunden einsehen?“ oder „was muss ich tun, wenn ich ein Sabbatical machen will?“. Mitarbeiter können Carl diese Fragen direkt im Intranet stellen – auf Deutsch, Englisch oder Chinesisch. Der selbstlernende Algorithmus wird mit jeder Frage, die er verarbeitet, besser.
  • Eine der grossen Flugzeughersteller verwendet KI zur Beschaffung und Auswahl potenzieller Bewerber als Kernbestandteil des Rekrutierungsprozesses.
  • Eine Investmentgesellschaft verwendet KI-Prognoseindizes, um Entscheide bzgl. Neueinstellungen und Beförderungen zu unterstützen.

Eine der faszinierendsten Talent-Management-Anwendungen von KI ist der Einsatz im Führungs-Coaching-Prozess. Während der Einsatz von KI im Coaching noch in den Anfängen steckt, werden Coaching-Apps wie Butterfly, Giant Otter, Voice Vibes und Orai von immer mehr Unternehmen eingesetzt. Durch die Analyse von Daten aus 360 Feedback-Umfragen und Mitarbeiterumfragen, Leistungsberichten und das Abhören von Sprachnachrichten diagnostizieren Apps die Coaching-Anforderungen ihrer Benutzer und geben Empfehlungen sowie Schulungsempfehlungen, um deren Mängel zu beheben. Ein weltweit agierendes Pharmaunternehmen führt aktuell ein KI-Coaching-Programm durch, das sich an juniore Führungskräfte richtet.
KI kann auch Führungskräfte unterstützen, die derzeit einen menschlichen Coach haben, der zwischen den Live-Coaching-Gesprächen auf Entwicklungsbedürfnisse abzielt. In einer Welt, in der mehr Menschen aus der Ferne und an verschiedenen Standorten arbeiten, kann KI Einzelpersonen trainieren, die möglicherweise nur eingeschränkten Zugang zu persönlichem Mentoring und Feedback haben. Während Experten auf absehbare Zeit nicht erkennen können, dass KI menschliche Trainer ersetzt, werden sich ihre Rollen mit der Weiterentwicklung der Technologie zweifellos weiterentwickeln.

Mit der weiteren Entwicklung von KI wächst die Anforderung an IT- und HR-Funktionen, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Die Entwicklung fortschrittlicherer KI-Anwendungen bietet zwar zahlreiche Vorteile für die Unternehmensleistung; darunter Kosteneinsparungen, Service-Verbesserungen und neue Marktchancen. Um diese Leistungsvorteile zu realisieren, müssen die Auswirkungen auf die Arbeitskräfte aber auch effektiv angegangen und wirksam genutzt werden. Dazu gehören

  • der selektive Abbau von Arbeitsplätzen entlang Belegschaftssegmenten,
  • die Umverteilung der Arbeit innerhalb des Unternehmens,
  • die Aufwertung existierender Rollen und Verantwortlichkeiten, sowie
  • die Schaffung neuer Rollen.

Einige Entwicklungsschritte ist der CHRO bereits gegangen

Wenn ich vorab die Verbindung von CHRO und CIO in den Vordergrund gestellt habe, dann basiert das auf der Grundannahme, dass der CHRO nicht mehr der Personalleiter ist, wie wir ihn über viele Jahre hinweg erlebt haben. Auch wenn die HR Transformation manches Mal mehr oder weniger erfolgreich verläuft – die „Zielfunktion“ ist bekannt; insbesondere deren strategische Dimension.

Lt. aktueller Studien von McKinsey, BCG, HBRDeloitte, u.a. zeichnet sich der CHRO durch v.a. drei Eigenschaften aus:

  1. Ergebnisprognosen erstellen: Eine qualitative Bewertung quantitativer Analyseergebnisse kann im Rahmen datengestützter Entscheidungsprozesse zum evaluierbaren Vorteil für ein Unternehmen werden.
  2. Probleme diagnostizieren: CHROs nutzen ihr Wissen über ein Unternehmen dafür, die grösseren, fundamentaleren Mängel im Unternehmen – Eisbergmodell! – zu diagnostizieren. Fakt ist: Der Ursprung eines Grossteils aller Herausforderungen liegt beim Personal – Mitarbeitenden und Führenden!
  3. Talentstrategien umsetzen, die dem Unternehmen einen Mehrwert verschaffen: Der CHRO ist die Führungskraft im Unternehmen, deren Aufgabe es ist, im Rahmen einer Strategischen Personalplanung festzulegen, wie ein Unternehmen Mitarbeiter zur Erreichung seiner Geschäftsziele einsetzt.

Fazit

Die Umsetzung dieser oben skizzierten Änderungen erfordert eine enge Zusammenarbeit. Alle sind sich einig, dass Änderungen unvermeidlich sind, auch wenn die Geschäftswelt derzeit noch keine Einigkeit über die spezifischen Auswirkungen von KI auf die Belegschaft oder den Zeitpunkt ihrer Auswirkungen erzielt hat. Eines kann man heute sicher schon sagen: Der Arbeitsplatz der Zukunft wird grundlegend anders aussehen und funktionieren als heute. Gleichzeitig erfordert der Einsatz von KI mit all seinen technologischen Fortschritten immer noch menschliche Einsichten und die persönliche Note, die das Wesentliche der HR-Funktion ausmachen.