Die künstliche Intelligenz (KI) hat inzwischen in fast allen Lebensbereichen maßgeblichen Einfluss auf Entscheidungen. Die Technologien, die dies möglich machen, entwickeln sich rasant und werden preislich attraktiver. Woran liegt es dann, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen KI bisher nur in Pilotprojekten oder einem einzigen Geschäftsprozess einsetzt?

Im letzten Jahr sorgte ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für Aufsehen: KI soll Beethovens „Unvollendete“ vollenden. Wissenschaftler trainierten einen Algorithmus so, dass er die vielen fehlenden Passagen Beethoven-gemäß ergänzt. Leider musste die für April 2020 geplante Uraufführung mit dem Beethoven Orchester Bonn wegen der Corona-Pandemie auf ungewisse Zeit verschoben werden.

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Was bisher eher in (Video-)Spielen und beruflichen Situationen, wie z.B. in der Medizin, in der Strategieumsetzung und im Recruiting, zum Einsatz kam hält nun auch Einzug in der Klassik.

Die technische Komponente der Künstlichen Intelligenz (KI, AI) können zahlreiche Experten deutlich besser erläutern, als ich es kann. Als Stratege und Nahtstelle zwischen Fach- und IT-Bereich bin ich immer wieder fasziniert von den technischen Möglichkeiten der KI. Häufig erlebe ich aber auch die Grenzen und Barrieren; weniger die technischen als vielmehr die kulturellen und organisatorischen.

In den 10 ethischen Leitlinien für die Digitalisierung von Unternehmen heißt es unter Punkt 9: Künstliche Intelligenz soll werteorientiert gestaltet werden.
Intelligente Systeme sollen so gestaltet werden, dass die Grundrechte der Menschen gewahrt und ihnen ein gutes und gelingendes Leben ermöglicht werden kann. Bei der Entwicklung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) sind ethische Grundsätze zu berücksichtigen (wertebasiertes Design). Damit nicht durch automatisierte Entscheidungen paternalistische Effekte eintreten, die die Handlungsfreiheit des Menschen einschränken, bedarf es einer ständigen Systemkontrolle und Eingriffsmöglichkeiten ins System.

Ich möchte hier nun nicht meinen Beitrag zum Thema „Digitale Ethik – wofür und wozu? was ist wert-voll?“ repetieren, sondern stattdessen folgende Leitfragen in den Vordergrund stellen:

  • Was erwarten Mitarbeitende von KI?
  • Welche Rolle spielt emotionale Intelligenz?
  • Wie kann KI richtig genutzt werden?

Erwartungen Mitarbeitender an KI

Plant ein Unternehmen die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI), bleibt der wichtigste Faktor – der Mensch – meist außen vor. Stattdessen stehen technische Fragestellungen und Kosten der Technologie im Vordergrund.

Interessante Einblicke zum Faktor Mensch liefert u.a. eine Umfrage der Initiative Wegofive unter der Leitung von Professor Andreas Moring von der International School of Management ISM in Hamburg:

  • Mitarbeitende wollen wichtige Kompetenzen in der Arbeit mit KI – soziale und emotionale Intelligenz, Empathie und Menschenkenntnis – von ihren Führungskräften vorgelebt bekommen.
  • Mitarbeitende sind grundsätzlich dazu bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und selbst immer wieder neue Aufgaben und Ziele zu entwickeln. Um dies möglich zu machen, sollten Führungskräfte – im Einklang mit der Unternehmenskultur! – Freiraum garantieren.
  • Das Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeitendem/r wird wichtiger eingeschätzt als Vertrauen in die KI-Anwendungen und Systeme.
  • Mitarbeitende erwarten Transparenz zu den von der KI verwendeten Daten, um die neue Technologie und ihre Ergebnisse beurteilen zu können.
  • Mitarbeitende wünschen sich klare ethische Regeln zur Beurteilung von KI-Prognosen und -Vorgaben, sowie die Erlaubnis, das System zu missachten – also weiter „Herr des Verfahrens“ zu bleiben.

Rolle der emotionalen Intelligenz

Bei Führungskräften wie auch betroffenen Mitarbeitenden reift zunehmend die Erkenntnis, dass emotionale Intelligenz – und damit Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Selbstmanagement, soziales Bewusstsein, Beziehungsmanagement und Kommunikationsgeschick – eine Kernkompetenz für den Erfolg im digitalen Zeitalter ist.

Eine Studie des Capgemini Research Institutes kam u.a. zu folgenden interessanten Ergebnissen:

  • Unternehmen, die über Mitarbeiter mit hoher emotionaler Intelligenz verfügen, genießen erhebliche Vorteile: Im Durchschnitt haben 60 Prozent der befragten Unternehmen höhere Gewinne von mehr als 20 Prozent durch ihre Mitarbeiter mit besagten Fähigkeiten. Zu den wichtigsten quantitativen Vorteilen gehören eine gesteigerte Produktivität, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und ein wachsender Marktanteil.
  • Unternehmen, die nachhaltig in emotionale Intelligenz investieren, erzielen einen RoI zwischen dem 2,2- und 4,4-fachen, wenn man die Auswirkungen auf Umsatz, Produktivität, Kosten und Fluktuation einkalkuliert.
  • Unternehmen müssen die emotionale Intelligenz vornehmlich in den Bereichen Rekrutierung, Training, Entlohnung & Beförderung, sowie Kultur priorisieren, um krisenresistente Teams in einer VUCA-Welt aufzubauen.

Nutzungshinweise für KI

Nachfolgende Hinweise erscheinen mir mit Blick auf kulturelle und organisatorische Hemmnisse wichtig:

  • Es braucht ein „big picture„: Unternehmen haben Schwierigkeiten, von den Pilotprojekten zu unternehmensweiten Programmen überzugehen, etwa vom Fokus auf einzelne Geschäftsprobleme, wie verbesserte Kundensegmentierung, zu den großen Aufgaben, wie das Optimieren der gesamten Customer Journey. Dafür müssen eingefahrene Denkmuster und Arbeitsweisen, die dem Einsatz von KI entgegenstehen, konsequent hinterfragt und ggf. aufgegeben werden.
  • Es braucht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit: KI kann dann die größte Wirkung entfalten, wenn sie von funktionsübergreifenden Teams entwickelt wird, in denen unterschiedliche Fähigkeiten und Perspektiven zusammenkommen. Benötigte Daten sind so zu benennen und zu speichern, dass sie von allen genutzt werden können. Die Lösung ist eine interne Plattform für KI, auf die alle Teams zugreifen können.
  • Es braucht richtige Daten: Drei Datenquellen sind hervorzuheben: (1) Kundendaten, dazu zählt z.B. das Kaufverhalten, (2) Daten über die eigenen Produkte bzw. das eigene Angebot, (3) Branchen- und Wettbewerbsdaten.
  • Es braucht datengestützte, evidenzbasierte Entscheidungen: Wenn KI auf breiter Basis angenommen wird, erweitern die Mitarbeiter aller Hierarchieebenen durch die Empfehlungen der Algorithmen ihr eigenes Urteilsvermögen und Gespür. So gelangen sie zu besseren Lösungen, als Menschen oder Maschinen allein sie finden könnten. Der traditionelle Top-down-Ansatz ist damit überholt!
  • Es braucht Experten aus dem KI-Bereich, die die neuen Anwendungsbereiche erschließen:
    • Research Scientists betreiben Langzeitforschung mit dem Ziel, neue Wege für die Anwendung von KI und Machine Learning zu entwickeln und so dem Unternehmen neues Wissen erschließen.
    • Data Scientists verfügen über grundlegende Kenntnisse aus den Bereichen der Softwareentwicklung und erarbeiten in kurzen Zeiträumen neue Lösungen.
    • Research Engineers verbinden Forschungskompetenz mit Softwareentwicklung und arbeiten an Software, die bestehende Prozesse verändert und verbessert. Sie forschen an komplexen Problemen und arbeiten an deren Lösung.
    • Empfehlenswert ist es, mit einem Data Scientist zu beginnen, der versteht, welche Möglichkeiten KI bietet und der konkrete, auf die Kundengruppe des Unternehmens bezogene Lösungen entwickeln kann.
  • Es braucht Experimentierfreude: Selten ist eine Idee zu Beginn einer KI-Initiative bereits voll ausgereift. Eine Trial-and-error-Mentalität ist dringend anzuraten. Feedback von den ersten Nutzern kann in die nächste Version einfließen. So werden Ungereimtheiten ausgemerzt, bevor sie sich zu kostspieligen Problemen auswachsen. Das beschleunigt die Entwicklung und versetzt kleine KI-Teams in die Lage, innerhalb kurzer Zeit Produkte in einer funktionsfähigen Basisversion zu entwickeln (Minimum Viable Products).
  • Es braucht eine Unternehmenskultur, die sich laut Dale-Carnegie-Studie auf drei Arbeitsbereiche fokussiert: Vertrauen seitens der Führungskräfte in die Belegschaft, Transparenz in der Kommunikation über den Einsatz und den Sinn von KI, sowie Unterstützung und Fortbildung Mitarbeitender.

Fazit

Künstliche Intelligenz ist der wichtigste Beschleuniger der zweiten Welle der Digitalisierung, die zu tiefgreifenden Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen und in unserem Alltag führen wird. Erstmals werden Daten nicht nur maschinenlesbar gespeichert, übertragen und verarbeitet, sondern die digitalen Inhalte werden durch KI auch inhaltlich verstanden, so dass Entscheidungen wissensbasiert unterstützt werden können.

Der Schritt von funktionalen zu interdisziplinären Teams bringt zu Beginn unterschiedliche Fähigkeiten und Sichtweisen zusammen und den Benutzerinput, der nötig ist, um effektive Tools zu entwickeln. Mit der Zeit übernehmen die Mitarbeiter im gesamten Unternehmen neue Formen der Zusammenarbeit. Je enger sie mit Kollegen in anderen Funktionen und Bereichen zusammenarbeiten, desto größer die Dimensionen, in denen die Mitarbeiter allmählich denken – vom Lösen isolierter Probleme bis zum Entwerfern neuer Geschäftsmodelle. Das Innovationstempo nimmt Fahrt auf, wenn auch andere im Unternehmen allmählich den Ansatz des Lernens aus Erfahrung übernehmen, der die Pilotprojekte erfolgreich vorangetrieben hat. Während sich die KI-Tools im gesamten Unternehmen ausbreiten, werden diejenigen, die am nächsten am Geschehen sind, immer mehr befähigt, selbst Entscheidungen zu treffen, die zuvor bei ihren Vorgesetzten lagen. Das führt zu flacheren Hierarchien im Unternehmen, die wiederum weiter zur Zusammenarbeit anregen und das Denken in noch größeren Dimensionen fördern.

Technologiewandel braucht Kulturwandel!

Wichtige Begriffe zu KI werden im Glossar erläutert.