Am 31. Januar 2017 veröffentlichte Prof. Dr. Christian Gärtner im Human Resources Manager einen Gastbeitrag zum Thema „Wer trifft die besseren Personalentscheidungen?“. Er ist Professor für BWL mit dem Schwerpunkt Digitale Transformation & Leadership an der Quadriga Hochschule Berlin.

Nachfolgend gehe ich auf einige Kernaussagen seines Beitrages ein und hoffe auf eine lebhafte Diskussion im Blog.

Aussage 1: Die grosse Frage ist: Wer trifft die besseren Personalentscheidungen? Mensch oder Maschine? Während die Wissenschaft zur Maschine tendiert, dominiert in der Praxis der Mensch.
Das sehe ich anders. Wir, bei der STRIM Unternehmensgruppe, forcieren ein evidenz-basiertes Handeln (siehe auch: Evidenz-basierte Entscheidungsfindung). Hierbei treffen unternehmensinterne und -externe Daten, Fakten und Erkenntnisse der anwendungsorientierten Wissenschaft aufeinander. Die Maschine bereitet diese auf und unterstützt Menschen – in diesem Fall Personalverantwortliche – dabei, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Maschine und Mensch sind notwendig; am Ende entscheidet der Mensch, nicht die Maschine.

Aussage 2: Der Algorithmus ist dem Expertenurteil zumeist überlegen (mit Verweis auf Thorsten Biemenn und Heiko Weckmüller; personalquarterly).
Algorithmen basieren immer auf Modellen, welche die Realität bestmöglich abzubilden versuchen. Abhängig davon kommt es vor, dass ein Algorithmus Entscheidungen vorschlägt, die einfachen, personellen Einschätzungen vorzuziehen sind. Das Gegenteil kann jedoch auch der Fall sein. Mit der Qualität des Modells steht und fällt die Güte der vom Algorithmus vorgeschlagenen Optionen.

Aussage 3: Solche Algorithmen hat die Softwarebranche in People-/Workforce-Analytics-Produkte gegossen.
In der Tat; bei einigen der grossen HCM-Suite-Anbieter habe ich diese auch getestet und kenne die rules engines. Sicherlich sprechen die grossen Datenmengen aus unterschiedlichen Branchen, Unternehmensgrössen und Ländern in Verbindung mit wissensbasierten Technologien dafür, dass die Algorithmen über die Zeit immer besser werden. Trotzdem ist meine Erfahrung, dass in der Diskussion mit Experten des Personalressorts Einsichten zu Tage treten, die der Algorithmus nicht „wissen“ und berücksichtigen konnte. Deshalb bleibe ich dabei: Die sicherlich hilfreichen Algorithmen wirken entscheidungsunterstützend, nicht mehr. Ich stimme deshalb Joachim Förderer, der das Produktmanagement Recruiting bei SuccessFactors leitet, zu, wenn er sagt, dass die Software nie besser sein kann als ein erfahrener Personaler.

Aussage 4: Die Datenbasis ist zu klein oder nicht verwendbar.
Auch wenn das Problem sicherlich lösbar ist – es existiert! Die häufig heterogene IT-Landschaft im Personalwesen sowie nicht durchgängig gepflegte Datenbestände machen es schwer bis unmöglich, mit Analytics zu beginnen. Vielmehr muss in der Regel zuerst die Datenqualität gesteigert, zusätzliche Daten erhoben und Datendefinitionen vereinheitlicht werden.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Workforce Analytics auf dringliche Geschäftsprobleme fokussieren sollte. D.h., es müssen nicht erst monatelang Daten in aller Breite und Tiefe erhoben und qualitätsgesichert werden. Auch Grossinvestitionen in neue IT-Systeme sind häufig nicht notwendig! Ich plädiere dafür, Daten und Indikatoren ausschliesslich bezogen auf das jeweilige Problem zu erheben, in einem Modell zu verdichten und auf dieser Basis mögliche Lösungsoptionen zu erarbeiten (siehe auch: Leitfaden für Analytics-Initiativen). Gerade zu Beginn einer Analytics-Initiative ist eine MS-Office-Umgebung – ggf. parallel zu SPSS o.ä. Statistik-Software – völlig ausreichend.

Aussage 5: Die Kompetenzen für People/Workforce Analytics sind in der Personalabteilung nicht vorhanden.
Dieser Aussage stimme ich zu. Das ist leider so. Anders als Christian Gärtner plädiere ich allerdings nicht dafür, mit Software-Lösungen Auswertungsmöglichkeiten, Scorecards und Dashboards zu nutzen. Das Grundübel ist m.E. ein zu geringes Geschäftsverständnis der Personaler, Gärtner nennt das „betriebswirtschaftliche Wertschöpfungs- und Wirkungsketten“. Diese sollten die Probleme des Business zu ihren Problemen machen und dafür Lösungsmöglichkeiten anbieten. Die meisten Scorecards und Dashboards verdienen ihren Namen nicht, weil sie von anderen Unternehmen in weiten Teilen abgeschrieben sind und ausschliesslich lagging indicators ohne Steuerungsrelevanz beinhalten (siehe auch: Einsichten und Erkenntnisse ohne Umsetzung sind nur Overhead). Mit Analytics möchte man aber gerade entlang einer Logik (siehe auch: HCM-Leitfaden für Führungskräfte – LAMP) steuern und nicht ein neues, operatives Reporting, das nur anders heisst, anbieten, das die Geschäftsbereiche wieder nicht nutzen werden.

Aussage 6: Personal besteht aus Menschen – und die bringen Höchstleistung nur dann, wenn sie zusammenpassen.
Hier stossen Systeme sicherlich an ihre Grenzen. Gleichwohl zeigt sich beispielsweise in Projekten zur Führungskräfteentwicklung in Verbindung mit Bottom-Up-Beurteilungen, wie Führende speziell auf Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Authentizität, etc. hin beurteilt, ggf. gecoacht, oder mitunter auch ausgetauscht werden müssen, weil messbare Indikatoren darauf hindeuten, dass sie den Erfolg der Abteilung, eines Unternehmensbereiches, oder sogar des gesamten Unternehmens gefährden.

Aussage 7: Beim maschinellen Lernen ist mit dreierlei Verzerrungen zu rechnen: language bias, search bias, overfitting-avoidance bias.
Dieser Aussage stimme ich ausdrücklich zu. Ein Grund mehr dafür, dass der Mensch, in diesem Fall der Personaler, die Maschine steuert und nicht umgekehrt.

Aussage 8: Menschen wollen, dass Personalentscheidungen von Menschen getroffen werden.
Zu Recht, wie ich finde. Wir wissen, dass Mitarbeitende das wichtigste Kapital im Unternehmen sind. Sie haben Anspruch darauf, von exzellent ausgebildeten Führungskräften gecoacht und weiterentwickelt zu werden. Sie wollen Feedback und Interaktion. Maschinen und Algorithmen haben vor diesem Hintergrund und in einer komplexer und volatiler werdenden Welt die Aufgabe, strategische Optionen zu verdichten und Entscheider zu unterstützen. Das ist deutlich mehr, als heutzutage in zahlreichen Unternehmen anzutreffen ist, nämlich Blindflug und Nebel.

Aussage 9: Entscheidungsunterstützung, Mensch und Maschine.
Dem Fazit von Christian Gärtner stimme ich vollumfänglich zu. Entscheidungsunterstützung ist möglich, der Schlüssel liegt in einer intelligenten Interaktion von Mensch und Maschine. Personaler müssen neue Kompetenzen erlernen, wenn sie im Zeitalter von Big Data Analytics eine treibende Rolle spielen wollen. Aktuelle Herausforderungen rund um digitale Transformation sind m.E. nur zu meistern, wenn gut ausgebildete Personaler und Führungskräfte unterstützt durch Workforce Analytics noch bessere Entscheidungen treffen und die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu geschäftlichem Erfolg (ob gemessen in Umsatz, EBIT, oder sonst wie) konsequent im Blick haben (siehe auch: Neue Unternehmenskultur zum Gelingen digitaler Transformation).

Aussage 10: HR und IT.
Ein Grund dafür, dass das Thema Workforce Analytics häufig schräg auf Konferenzen zur Sprache kommt, liegt mitunter daran, dass es zu schnell mit IT in Verbindung gebracht wird. Analytics setzt aber vor allem auf Logik, Algorithmen, Modelle und gutes Geschäftsverständnis. Hierzu benötigt man zunächst weder Daten noch IT, sondern einen gesunden Menschenverstand! Im weiteren Vorgehen bindet man dann – soweit möglich – Daten und Indikatoren mit ein; wenn diese in einem guten IT-System hinterlegt sind umso besser. Aber damit steht und fällt Analytics nicht. Workforce Analytics ist deshalb auch keine blosse Fortführung eines operativen Personalberichtswesens, sondern ein strategischer, an Ursache-Wirkungs-Ketten orientierter Denk- und Lösungsansatz.