Je mehr sich CHROs auf die für sie relevante Customer Journey konzentrieren, um so mehr stellen wir im Thema People Analytics eine Verlagerung der inhaltlichen Schwerpunkte fest.
Nach wie vor liegt ein Fokus zwar auf HR-Themen wie Ansprache & Recruiting, Personalentwicklung und Mitarbeiterbindung. Gleichzeitig stellen wir einen zweiten, stark anwachsenden Strategie-Fokus rund um Kultur & Risiko, Mitarbeitererfahrung, sowie – abhängig von der HR-Kernstrategie – die strategische Personalplanung fest.
Welche Handlungsfelder und Fragen stehen bei diesen Themen aktuell im Vordergrund?
Wie setzen Unternehmen die Themen derzeit um – beispielhafte Use Cases?
Welche neuen Ansätze werden in diesen Themen gegenwärtig erarbeitet?
HR-Schwerpunkte
Beginnen möchte ich mit den „Klassikern“ im Thema People Analytics.
Ansprache & Recruiting
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Welcher Recruiting-Kanal liefert den besten Return on Investment?
- Welche Rekrutierungskanäle sind am erfolgreichsten?
- Was macht das Unternehmen als Arbeitgeber bei bestimmten Zielgruppen attraktiv?
- Wie wird die Arbeitgebermarke wahrgenommen?
- Welcher Bewerber passt am besten zu den gewünschten Fähigkeiten, zur Stelle, ins Team und zum Unternehmen?
- Welche Merkmale der Stellenanzeige werden wahrscheinlich die gesuchten Talente anziehen?
- Welcher Kandidat hat die höchste Wahrscheinlichkeit, nach der Einstellung hervorragende Leistungen zu zeigen?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Die Adolf Würth GmbH & Co. KG, die Heidelberg Cement AG und etliche andere führen regelmäßig Touchpoint-Befragungen bei Schüler:innen durch – vom Erstkontakt bis zum Onboarding als Auszubildende oder dual Studierende. Die Unternehmen gewinnen damit Erkenntnisse zu den oben genannten Leitfragen und verbessern damit sowohl Effektivität als auch Effizienz relevanter Prozesse.
- Die HelloFresh Deutschland SE & Co. KG geht noch weiter im Prozess und ermittelt auf Basis anonymisierter Mitarbeiterdaten, welche Einflussfaktoren dafür ausschlaggebend sind, dass ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin nachhaltig hervorragende Leistungen zeigt. Diese Faktoren werden im Recruitingprozess besonders hoch gewichtet.
Neue Ansätze:
- Künstliche Intelligenz kann im Recruiting gleich an mehreren Stellen zum Einsatz kommen: von Stellenanzeigen, über Chatbots und der Bewerberauswahl bis hin zu Jobinterviews.
- Häufig wird derzeit auch über die (teil-)automatisierte Analyse von Lebensläufen nachgedacht.
- Entlang des IMPACT Cycle und mit Hilfe statistischer Verfahren ist es möglich, schneller geeignete Bewerber:innen zu identifizieren und Recruiter mit höherwertigeren Aufgaben zu beschäftigen.
- Natural Language Processing (NLP) ist ein schnell wachsender Bereich – auch entlang der HR Wertschöpfungskette.
Personalentwicklung
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Welchen Einfluss hat ein Onboarding-Programm auf die Frühfluktuation?
- Welche Karrierewege sind für unsere Talente aufgrund ihrer aktuellen Fähigkeiten am wahrscheinlichsten?
- Welche Mitarbeiter werden gute Führungskräfte und wer sollte gefördert werden?
- Welche Trainings- und Entwicklungspraktiken fördern das Engagement und die Arbeitsleistung der Mitarbeiter?
- Wie können wir eine effektive Nachfolgeplanung sicherstellen?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Die Standard Chartered Bank beschäftigte sich mit den wichtigsten Fähigkeiten einer People-Analytics-Führungskraft: einen ausgeprägten Geschäftssinn, einen beratenden Ansatz, um Geschäftsprobleme zu verstehen, und hoch entwickelte Kommunikationsfähigkeiten.
- A1 Telekom hat sich in dem Projekt „AI Meets Learning“ u.a. mit der Entwicklung maßgeschneiderter Lernangebote beschäftigt. Ein eigener AI-Algorithmus wurde genutzt, um den Abgleich zum Mitarbeiterprofil durchzuführen, und auch individuelle Entwicklungsangebote vorzuschlagen. Im Ergebnis konnten Qualifikationslücken identifiziert und aufgrund neuer Anforderungsprofile Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt und geschaffen werden.
Neue Ansätze:
- Im Zuge von Fachkräftemangel und Digitalisierung kristallisieren sich einige Fähigkeiten als strategisch notwendig heraus. Darüber hinaus müssen sich Mitarbeitende ein digitales Mindset aneignen – eine Reihe von Einstellungen und Verhaltensweisen, die Menschen und Organisationen in die Lage versetzen, zu erkennen, wie Daten, Algorithmen und KI neue Möglichkeiten eröffnen und einen Weg zum Erfolg in einer zunehmend technologisierten Welt aufzeigen.
- Nicht erst seit der Corona-Pandemie nehmen digitale Lernformate rasant zu. Sie sind on demand nutzbar sowie kosten- und ressourcenschonend einsetzbar. Um die Wirkung dieser Lernangebote zu evaluieren, sind allerdings valide Kennzahlen und Referenzwerte notwendig, die häufig erst aufgebaut bzw. entwickelt werden müssen.
- Grundlage sollte das Predictive Learning Impact Model von Nick Bontis bilden.
Mitarbeiterbindung
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Wer wird höchstwahrscheinlich kündigen und warum?
- Welche Maßnahmen können Manager und Unternehmen ergreifen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Mitarbeitende bleiben?
- Welche Schlüssel-Mitarbeiter sind wann und warum abwanderungsgefährdet?
- Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein bedauerlicher Abgänger in naher Zukunft wieder eingestellt wird?
- Welche Auswirkungen haben das Mitarbeiter-Wellnessprogramm und die Gesundheit auf die Mitarbeiterbindung und -leistung?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Nielsen verlor ständig wertvolle Mitarbeiter in wichtigen Geschäftsbereichen und Funktionen. Bei der Untersuchung des Fluktuationsproblems identifizierte das People-Analytics-Team zwei spezifische Gruppen von Mitarbeitern, von denen es vermutete, dass sie ein hohes Risiko darstellten, und testete diesen Verdacht anhand zweier Hypothesen. Im Ergebnis sank die freiwillige Fluktuationsrate auf die Hälfte der Rate, die im gleichen Zeitraum des Vorjahres zu verzeichnen war.
- Westpac testete Hypothesen, die Anekdoten, Mythen und Überzeugungen im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden von Mitarbeitern in Frage stellten: (1) Arbeitsflexibilität wird mit Wohlbefinden in Verbindung gebracht, (2) Mitarbeiter mit höherer Teamvolatilität sind eher von Stress betroffen. Die statistischen Modelle zeigten, dass Stressereignisse aufgrund der beobachteten Verhaltensweisen tatsächlich vorhersehbar waren.
Neue Ansätze:
- Laut Gianni Giacomelli ist die Analyse der Netzwerkstärke in Bezug auf emotionale Unterstützung und die Fähigkeit, etwas zu bewirken, ein zuverlässiger Prädiktor für das Fluktuationsrisiko. Zwei Gründe sind hervorzuheben: (1) Haben Sie das Gefühl, Teil einer (guten) Gruppe zu sein? Geben Ihnen Ihre starken und schwachen Netzwerkverbindungen ein Gefühl der emotionalen Unterstützung, des „Gruppenflusses“ und der funktionalen Hilfe? (2) Sind Sie in der Lage, etwas zu bewirken – und zwar etwas, das anerkannt und belohnt wird?
Unternehmens-Schwerpunkte
Nun zu den „Shooting Stars“ im Thema People Analytics.
Kultur & Risiko
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Warum ist Kultur wichtig, was bedeutet Kultur und wie kann man Kultur verändern?
- Ist Teamarbeit vorbei? Braucht es „Co-acting groups“ – lose Zusammenschlüsse von Mitarbeitenden im Laufe eines Projektes?
- Wie können Unsicherheiten bewältigt und Burnout vermieden werden?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Die Aufgabe bei der Merck KGaA bestand darin, eine datengetriebene Kultur in HR zu schaffen. Entlang einer Kulturpyramide wurde zunächst der Mehrwert der neuen Kultur demonstriert. Zudem wurde mit Blick auf neun Kernkompetenzen in Aus- und Weiterbildung investiert. Daneben wurden Tools und Maßnahmen aufgesetzt, um People Analytics in der Breite von HR zu etablieren. Schließlich wurde Vertrauen in ein evidenzbasiertes Vorgehen aufgebaut und der Mentalitätswandel gefördert.
Neue Ansätze:
- Dave Ulrich empfiehlt ein Spielbuch für die Kulturagenda. Denn neuere Untersuchungen zeigen, dass Kultur eine immer komplexere Herausforderung für Organisationen darstellt – eine Herausforderung, die durch die Pandemie und die Verlagerung auf hybrides Arbeiten nur noch verschärft wurde.
Mitarbeitererfahrung
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Was sind die Stimmungen und Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden, besonders in Krisenzeiten?
- Wie reagieren Mitarbeitende auf unsere Strategie und Kommunikation?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Die Strategie von ABN AMRO stellt das Mitarbeitererlebnis in den Mittelpunkt der Unternehmens- und Personalstrategie. Die doppelte Betonung der Umwandlung von Mitarbeiter- und Kundenerfahrungen und deren Verknüpfung unter dem Motto „Glückliche Menschen, glückliche Kunden“ hat sich als wichtiger Meilenstein für die Bank erwiesen. Der Ansatz des „Zuhörens“ ist dabei ein sich entwickelndes Gebiet für das People-Analytics-Team. Dabei kommt fortschrittliches Textmining zum Einsatz.
Neue Ansätze:
- Befragungen von Insight222 zufolge, sind 45 Prozent der befragten Unternehmen der Meinung, People Analytics erzeuge im Thema Employee Engagement & Listening den höchsten Mehrwert. Dirk Petersen hat sich intensiv damit beschäftigt.
- Dave Ulrich hat ein Konzept für psychische Gesundheit entwickelt. Dieses Konzept über das Warum, Was und Wie der Förderung der psychischen Gesundheit führt zu einer besseren Mitarbeitererfahrung und besseren Geschäftsergebnissen. Ein von Dave entwickeltes Audit könnte durchgeführt werden, um zu ermitteln, worauf man sich konzentrieren sollte, und um die Fortschritte zu verfolgen.
- The EX factor: Serena Huang stützt sich auf Untersuchungen von McKinsey, um drei Möglichkeiten aufzuzeigen, wie People Analytics dazu beitragen kann, die Mitarbeitererfahrung als wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die Bindung von Talenten zu nutzen.
- TI people hat mit EXI (Employee Experience Intelligence) einen Index entwickelt, der zeigt, ob die Mitarbeitererfahrungen an den zentralen Touchpoints eines Arbeitsverhältnisses positiv oder negativ vom Benchmark abweichen. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen sind in einem intuitiven Dashboard verfügbar, das es ermöglicht, Erfahrungsdaten aus erster Hand zu finden, zu priorisieren und zu nutzen.
Strategische Personalplanung
Handlungsfelder und Leitfragen:
- Planen Sie für den künftigen Talentbedarf
- Haben wir die Talente, die wir heute brauchen?
- Welche Talente und Fähigkeiten werden wir in 24, 36 oder 60 Monaten brauchen?
Umsetzung – beispielhafte Use Cases:
- Gemeinsam mit Joachim Volpert publizierte ich 2021 in „Digital HR“ einen Beitrag zur Digitalisierung der strategischen Personalplanung. Der Praxisteil dieses Beitrages bezieht sich auf die MVV Energie AG.
- Beispiele einer kompetenzbasierten Personalplanung habe ich in einem Blogbeitrag „Kompetenz siegt“ dargelegt. Darin gehe ich auf Projekte bei ABB AG, Deutsche Bahn AG, E.ON Energie Deutschland GmbH und ENTEGA AG ein.
- Die ING-DiBa AG transformiert sich zu einer auf Fähigkeiten und Kompetenzen ausgerichteten Bank. Die Datenanalyse hilft, das Qualifikationsportfolio der Mitarbeitenden zu verstehen und bestimmte Lernpfade anzubieten. Ein Benchmarking mit den auf dem Markt nachgefragten Qualifikationen kann HRBPs dabei unterstützen, die richtigen Talente für die richtigen Positionen zu finden.
Neue Ansätze:
- Vier McKinsey-Autoren beschäftigten sich mit den zehn neuen Realitäten für das Finden, Halten und Entwickeln von Talenten und entwickelten ein Priorisierungsraster für die Personalplanung zur Identifizierung von Rollen, die aufgebaut, gekauft oder Partner werden sollen. Dieses fußt auf einer Studie von The Conference Board: Buy, Build, Borrow, or None of the Above? New Options for Closing Global Talent Gaps.
- Laut einer Studie von PwC bestimmen vier Kräfte die Personalstrategie: Spezialisierung, Knappheit, Rivalität und Menschlichkeit. Unternehmen unterschiedlicher Branchen steuern das Zusammenspiel dieser vier Kräfte, um die Schaffung einer zukunftsfähigen Belegschaft zu unterstützen. Bindeglied zwischen Unternehmens- und Personalstrategie ist die strategische Personalplanung.
- In der von MIT Sloan Management Review und Deloitte durchgeführten Studie „Future of the Workforce“ geht es um die Orchestrierung von Workforce Ökosystemen. Solche Systeme – mitunter auch unter dem Begriff Total Workforce Management diskutiert – zeichnen sich durch einige charakteristische Merkmale aus und bedingen die Einbindung mehrerer Funktionsbereiche.
Fazit
People Analytics entwickelt sich schnell zu einem der wichtigsten Bereiche der Personalabteilung. In früheren Beiträgen habe ich mich vor allem mit Grundlagen von People Analytics, dem richtigen Einstieg, notwendigen Fähigkeiten und der dafür notwendigen Kultur beschäftigt.
Dieser Beitrag gibt einen persönlichen, sicherlich nicht vollständigen, Überblick entlang aktuell wesentlicher Themenschwerpunkte.
Trotz der offensichtlichen Sinnhaftigkeit der Handlungsfelder und erster Umsetzungserfolge ist der aktuelle Implementierungsgrad gering. Jedoch ist laut aktueller Herausforderungen (Demografie, evidenzbasiertes HRM, etc.) und eigener Beobachtungen davon auszugehen, dass die Relevanz von People Analytics deutlich zunehmen wird.
Große Hürden sind nach wie vor die mitunter fehlenden Kompetenzen in psychometrischen Verfahren und empirischen Sozialwissenschaften, Sorge vor Widerstand innerhalb der Belegschaft und ungenügende Datenqualität.
Die größten Auswirkungen von People Analytics werden in der strategischen Personalplanung und im Recruiting erwartet.
Sie wollen mehr erfahren? Gerne informieren wir Sie über unsere Webinare und informieren Sie über die im November 2022 stattfindende Fachtagung.
Das Potenzial und die Möglichkeiten von People Analytics sowie die wirklich weitreichende Daten- und Kennzahlentransparenz zu nutzen, werden nach meinem Eindruck (noch) viel zu wenig im Sinne Daten-basierter Entscheidungsfindung, sowie Kennzahlen-basierter Steuerung effektiv genutzt.
Bei der Steuerung geht es längst nicht mehr (nur) um Kosten und Produktivität (gemeinhin die Domäne der „Controller“), sondern mehr denn je darum, die richtige Personalausstattung sicherzustellen (inklusive der von Ihnen beschriebenen Themenfelder: Rekrutierung, Bindung, Aus- und Weiterbildung, Transformation), um dem immer volatileren Geschäft begegnen zu können.
Personalengpässe oder nicht frühzeitig angegangene Transformationsprozesse – egal in welcher Branche – sind DAS aktuell sogar die öffentlichen Medien beherrschende HR-Thema.
Alleine ein „highly sophisticated“ und statischen Anforderungen genügendes Dashboard nutzen zu können oder ein detailliertes Modell zur Durchführung einer strategischen Personalplanung zur Verfügung zu haben, wird die Probleme nicht lösen.
Es bedarf mehr denn je der Einbindung erfahrener HR-Experten im Strategieprozess und darum, von diesen angeleitet, die sich aus People Analytics ergebenden Möglichkeiten auch effektiv zu nutzen.
Insofern stimmt mich ihr Artikel wirklich hoffnungsvoll! Die Zeiten für Personalcontrolling und People Analytics könnten nicht besser sein!
Das Thema HR-Transparenz im Strategieprozess sowie in der Unternehmenssteuerung nicht zu nutzen heißt, sich Risiken nicht ausreichend vorbereitet und unnötigerweise auszusetzen bzw. ungenutzte Chancen und Potenziale links liegen zu lassen.
Jeder Use-Case und die Dokumentation und Kommunikation seines Erfolges bzw. Wertbeitrages trägt dazu bei, den Themen Personalcontrolling und People Analytics „auf die Bühne zu verhelfen“!
Vielen Dank, lieber Herr Reissig, für Ihren ausführlichen Kommentar.
Sie weisen zu Recht darauf hin, People Analytics nicht aus der technischen, sondern aus der strategischen Perspektive zu betrachten. Dashboards verleiten vielerorts dazu, schnell bunte Bilder zu erzeugen – leider i.d.R. ohne konkrete Botschaft!
Die geringe Transparenz, die Sie ansprechen, überrascht mich auch. Da werden sog. data lakes und Cubes aufgebaut, aber einfache Produktivitätskennzahlen sind sehr häufig nicht ermittelbar.
Umso wichtiger ist es, dass wir existierende, valide Vorgehensmodelle (eight-step-model, statistische Analysen etc.) in Projekte nicht nur einbinden, sondern unsere Handlungsempfehlungen evidenz-basiert aufbauen.
Bei allem Fortschritt hinsichtlich der Datenlage und Analysemöglichkeiten (People Analytics) mangelt es – und zwar nicht nur bei kleinen und mittelständischen Unternehmen – häufig an folgenden wichtigen Erfolgsfaktoren:
1. Zahlen-affine und erfahrene HR-Experten, die bei der Analyse strategischer HR-Herausforderungen und Definition geeigneter Kennzahlen (fast jedes Thema braucht sein eigenes Kennzahlensystem) frühzeitig eingebunden werden.
2. HR-Experten, die als „Übersetzer“ fungieren: beim Lesen, Interpretieren und Analysieren von Kennzahlen.
3. HR-Experten, die gemeinsam mit denjenigen, die „für das Geschäft verantwortlich sind“, unter Nutzung von People Analytics die Entwicklung, Implementierung und Verfolgung von Initiativen und Maßnahmen begleiten und bei deren Steuerung unterstützen.
Mein Erleben ist bisher allzu häufig, dass diese HR-Experten, selbst wenn es sie im Unternehmen gibt, entweder gar nicht erst gefragt werden, oder wenn sie etwas zu sagen hätten, einfach nicht zu Gehör kommen bzw. verstanden werden.
Vielmehr zu beobachten: Man lässt das Management mit „Datenwüsten“ oder auch strukturierten Daten und Informationen „alleine wurschteln“ und unverbindlich handeln … oder eben auch nicht-handeln.
Sie sprechen zu Recht Kompetenzen und Fähigkeiten an, die für People Analytics notwendig sind. Ich habe mich in diversen Publikationen selbst damit beschäftigt; erstmalig vor ca. 5 Jahren in einem Blogbeitrag.
Neben dem HCA Capability Wheel von Patrick Coolen und Auke Ijsselstein, an dem sich z.B. auch ABN AMRO orientiert, finde ich die Ausarbeitungen von John Boudreau und Erik van Vulpen hierzu wertvoll. Im Einklang mit den drei von Ihnen genannten Punkten werden dort Kompetenzen rund um IT, HR, Beratung und den jeweiligen Business hervorgehoben.
Daten und Kennzahlen alleine lösen die Probleme nicht…
Ein wichtiger Punkt, den Sie auch in Ihrem Artikel ansprechen: valide Kennzahlen und Referenzwerte müssen Themen-bezogen entwickelt und implementiert werden, um die Wirkung jedweder Maßnahme auch evaluieren zu können. Was nutzt der schönste Use-Case zur Nutzung von People Analytics und HR-Controlling, wenn der Wertbetrag geschaffener HR-Transparenz am Ende nicht „öffentlich“ gemacht wird?
Genau darin sehe ich derzeit noch entscheidende Hindernisse, obwohl eigentlich theoretisch alles vorhanden wäre:
1. An Daten mangelt es beileibe nicht, wenn diese auch oft heterogen, teilweise unvollständig und redundant in unterschiedlichen System vorgehalten werden und nicht wirklich „unbearbeitet nutzbar“ per Knopfdruck abrufbar sind.
2. Experten und in einigen Unternehmen sogar dezidierte „HR-Scientist-Teams“ sind vorhanden; die sogenannte „Data Literacy“ steht auf dem Lehrplan von Aus- und Weiterbildungsabteilungen, allerdings besteht häufig keine wirkliche Verbindung zwischen diesen „Experten“, den HR-Verantwortlichen und den „Kunden“ (= Fachbereichen, die das Geschäft verantworten). Die Datenlage würde es tatsächlich ermöglichen, „People Analytics“ wissenschaftlich fundiert zu betreiben, allerdings wissen viele der sog. HR-Data-Scientists häufig leider auch nicht, was sie mit den vielen Daten anfangen sollen.
3. Es fehlt häufig schlicht und ergreifend daran, in einfacher Dreisatz-Logik Ursache – Wirkungszusammenhänge sowie Chancen und Risiken zu bewerten und die Effekte möglicher Maßnahmen aufzuzeigen.
4. „Dashboards“ sowie dezentrale und flexible Abfragemöglichkeiten sind vorhanden und werden mit Werkzeugen wie „Power-BI“, „Tableau“ und ähnlichem mehr und mehr in Unternehmen implementiert, allerdings beobachte ich, dass es sich dabei teilweise um regelrechte „Zahlenfriedhöfe“ handelt.
Teilweise werden „hübsche“ graphische Darstellungen zur Verfügung gestellt, die häufig nicht den wirklichen aktuellen Herausforderungen genügen oder unkommentiert einfach nicht verstanden bzw. fehlinterpretiert werden.
5. Sofern Informationen & Kennzahlen (idealerweise über dezentrale Systeme) zur Verfügung gestellt werden, hinken sie häufig der Aktualität hinterher und sind rein statische Betrachtungen. Sie beschränken sich leider noch viel zu sehr auf die Darstellung des „Ist-Zustands“, sprich: es handelt sich i.d.R. um rein deskriptive Analysen.
Fragen bezüglich des „Warum?“ (Diagnostik), insbesondere aber des „Was wird sein?“ (Prognose) und des „Was kann sein?“ (Präskriptive Analysen) kommen dabei in der Regel zu kurz.
Szenario-basierte Analysen und Projektionen, wie sie in einer erfolgreichen Strategischen Personalplanung zum Einsatz kommen, finden – zumindest nach meiner Beobachtung – noch viel zu wenig Einsatz.
6. Man nimmt sich leider all zu häufig nicht die Zeit – insbesondere im Strategieprozess – wirklich nach „passgenauen“ Initiativen und Maßnahmen zu suchen, sondern unternimmt nichts oder genau das Falsche, „stochert im Nebel“ oder übersieht – mangels geeigneter Analysen – wirklich effektive Handlungsmöglichkeiten.
Die von Ihnen genannten Herausforderungen treten meines Erachtens v.a. dann zutage, wenn (a) nicht strategie-gerichtet agiert wird und (b) Mitarbeitende im Silo (HR, IT, etc.) vor sich hin arbeiten.
Ich habe schon unterschiedliche Wege in der Praxis begleiten dürfen; so z.B. People Analytics im Finanzbereich, oder im IT-Bereich, oder in einer unternehmensweiten Analytics-Abteilung.
Ich meine: Der beste Weg ist die Einbindung von Low-Code- und No-Code-Entwicklungsplattformen in HR. Hiermit werden HR-Experten in die Lage versetzt, Workflows oder Apps mit wenig bis gar keinen Programmierkenntnissen zu entwickeln. Man verwendet eine grafische Benutzeroberfläche mit minimalen Logik- und Drag & Drop-Funktionen, anstatt umfangreiche Codezeilen zu schreiben.
Obwohl wir bei der STRIM grundsätzlich losgelöst von ERP-Plattformen o.ä. agieren haben wir in der DACH-Region eine Partnerschaft mit Alteryx aufgebaut. Mit den Low-Code-/No-Code-Funktionen von Alteryx können Benutzer:innen in HR und darüber hinaus Erkenntnisse einfacher extrahieren, die ihnen dabei helfen, selbst ihre schwierigsten Geschäftsprobleme anzugehen.
Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
vielen Dank für Ihren sehr guten Artikel, der die Möglichkeiten und Chancen der Nutzung von HR-Transparenz in den unterschiedlichen HR-Themenfeldern hervorragend vor Augen führt.
Ich stimme Ihnen zu, dass sich für Personalcontrolling & People Analytics mit den jeweils verbundenen Arbeitsfeldern (z.B. Strategische Personalplanung) große Betätigungsmöglichkeiten und damit Chancen bieten!
Gerade in unseren volatilen Zeiten und vor dem Hintergrund der besonderen aktuellen HR-Herausforderungen ist eine frühzeitige Einbindung von HR bei strategischen Fragestellungen mehr denn je sinnvoll – im Sinne einer Daten-basierten Entscheidungsvorbereitung und Mitgestaltung der Unternehmens- und daraus abgeleiteten HR-Strategie.
Durch die effektive Nutzung von Personalcontrolling und People Analytics könnten gerade im Strategieprozess Risiken frühzeitig erkannt, adressiert und mittels Durchführung passgenauer Maßnahmen letztlich mitigiert werden.
Insbesondere mit Hilfe von People Analytics lassen sich aber auch Chancen und Potenziale evidenzbasiert und mittels statistischer Methoden wissenschaftlich fundiert evaluieren -und das, bevor die Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden.
Die von Ihnen aufgeführten „Use Cases“ aus der Praxis machen Mut und brechen dem Thema „HR-Transparenz“ letztlich in den von Ihnen genannten Unternehmen Bahn. Allerdings erlebe ich bisher all zu häufig, dass eben genau diese Use Cases nicht herangezogen werden, um die Sinnhaftigkeit von Personalcontrolling & People Analytics zu unterstreichen. Vieles bleibt einfach ungenutzt, weil ungefragt … links liegen!
Sehr geehrter Herr Reissig,
nochmals vielen herzlichen Dank für Ihre Kommentare und Anregungen.
People Analytics ist – und da spreche/schreibe ich wohl für uns beide – ein „Hebel“ für HR-Strategie und Strategische Personalplanung.
So gesehen sind Use Cases bei der Operationalisierung und Umsetzung strategischer Handlungsoptionen ein Must. Seit wenigstens drei Jahren versuchen wir in unseren Fachtagungen diese Use Cases mit großen und mittelständischen Unternehmen zu diskutieren. Ich gebe gerne dazu, dass wir hier nach wie vor „dicke Bretter bohren müssen“. Aber einfach kann jede(r), oder? Deshalb bieten wir am 17.-18. November 2022 wieder eine Fachtagung „People Analytics: Schwerpunkte mit Mehrwert“ an.
Vielen Dank, Herr Dr. Mayer! M.E. sehr gute Zusammenfassung wesentlicher aktueller HR Potenziale. In der Praxis erscheint es mir allerdings schwierig, zu definieren, wo ein Geschäft wirklich in 24, 36 oder gar 60 Monaten stehen soll – geschweige denn, das auf Kompetenzen (quantitativ und qualitativ!) herunterzubrechen. Hier erscheint mir eine „tastende“ Vorgehensweise an der Schnittstelle zu Kunden deutlich vielversprechender mit entsprechendem Engagement der Mitarbeiter und Führungskräfte. Schließlich führen viele Wege nach Rom und es gibt auch andere schöne Städte…
Besten Dank, lieber Herr Wiethaus, für Ihren interessanten Kommentar.
Hiermit beziehen Sie sich auf meine Ausführungen zur strategischen Personalplanung.
Innerhalb der Unternehmen, der Geschäftsbereiche und der Abteilungen gibt es unterschiedliche Treiber. In der strategischen Ausrichtung unterscheiden wir neben Qualität versus Kosten v.a. auch Flexibilität versus Stabilität. @ArminTrost hat zu letzteren ein lesenswertes Buch geschrieben. Verfolgt man auf den vorab skizzierten organisatorischen Ebenen eher einen Flexibilitätsfokus, dann stimme ich Ihnen zu. Hier wird man die strategische Personalplanung eher mittelfristig und operativ, v.a. quantitativ und rollierend und stellenorientiert ausrichten. Verfolgt man jedoch eher einen Stabilitätsfokus – ein Großteil der Unternehmen verfolgt diesen entweder im Ganzen oder auch in Teilen -, so wird die strategische Personalplanung längerfristig, v.a. qualitativ und Kompetenzen-orientiert, umfassend und detailliert ausgestaltet.
Der Fachkräftemangel lässt sich m.E. nicht „tastend“ bewältigen. Hier nur zwei Beispiele:
(1) Wenn Ausbildungsbetriebe die Anzahl an Schulabgänger:innen, die für Ausbildungsberufe oder Duale Studiengänge in Frage kommen, analysieren, einige Abgänger:innen für das Unternehmen gewinnen, ausbilden und danach übernehmen sprechen wir vorab über wenigstens vier Jahre!
(2) In Projekten bei z.B. Energie- und Versorgungsunternehmen (EVU) stoßen wir auf Jobprofile, die selbst nach der Ausbildung bzw. einem Dualen Studium noch bis zu sechs Jahre an Meisterkursen und Weiterbildungen teilnehmen müssen, bevor sie bestimmte Aufgaben alleinverantwortlich durchführen dürfen.
Wir sprechen dabei von Schlüsselprofilen, die zur Wettbewerbsdifferenzierung und dem erfolgreichen Fortbestand des Unternehmens unbedingt notwendig sind.
So gesehen, hängt es meiner Meinung nach vom Fokus ab, welche „Wege nach Rom“ am zielführendsten sind.