Im ersten Teil dieser Beitragsreihe standen die Potenziale neuer Technologien für HR im Kontext einer HR-Strategie im Mittelpunkt. In diesem Beitrag stelle ich vier Prozesse vor, die meines Erachtens mit Blick auf Digitalisierung, demografischen Entwicklungen und Globalisierung eine Schlüsselrolle innehaben.

Den Kern der Prozesslandkarte bilden die operativen HR-Prozesse (z.B. Personalplanung, Personalmarketing und Recruiting, sowie Personalentwicklung), die sich am Lebenszyklus des Personals im Unternehmen orientieren. Bildlich quer dazu befinden sich die steuernden HR-Prozesse (z.B. Personalführung). Schliesslich benötigen sowohl die operativen als auch die steuernden Prozesse eine Unterstützung durch sog. Service-HR-Prozesse [mehr Infos zu Digitalen HR-Prozessen].

Strategische und operative Personalplanung

Ziel der Personalplanung ist die Ermittlung, wie viele Mitarbeiter (quantitativ), mit welchen Qualifikationen (qualitativ), zu welchem Zeitpunkt (zeitlich) und an welchen Orten (räumlich) benötigt werden, um die zur Erreichung der definierten Unternehmens- bzw. Personalziele notwendigen Aufgaben zu erfüllen. All diese Aspekte (Menge, Qualität, Zeit und Ort) sind von der Digitalisierung ganz erheblich beeinflusst, denn diese verändert Marktbedingungen, Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse.

Die VUCA-Charakteristika der Umwelt machen eine Vorausschau und verlässliche Prognose des zukünftigen Personalbedarfs immer schwieriger. Neben dem Einfluss auf die Inhalte der Personalplanung (Menge, Qualität, Zeit und Ort) hat die Digitalisierung daher auch Auswirkungen auf die effektive und effiziente Ausgestaltung des (strategischen) Planungsprozesses. Es wird eine agile, strategische Personalplanung benötigt, die ausreichend flexibel ist und für mehrere Szenarien plant [mehr Informationen].

Die Personalplanung ist in der Personalwertschöpfungskette von sehr grosser Bedeutung, da sie den Ausgangspunkt für Recruiting, Personalentwicklung und –freisetzung darstellt.

Personalmarketing und Recruiting

Talent Relationship Management (kurz: TRM), ein Themenschwerpunkt der STRIM, beschreibt die aktive und frühzeitige Kontaktaufnahme zu potenziellen Kandidaten mit dem Ziel, eine Beziehung aufzubauen und diese nachfolgend systematisch zu pflegen. Vor dem Hintergrund sich ändernder Kandidatenerwartungen (Studien der STRIMacademy zur GenY) und einem Nachfragermarkt bei digitalen Kompetenzen werden das Personalmarketing und die Personalbeschaffung zunehmend schwieriger.

Differenziert nach Bewerberzielgruppen und Lebenswelten wird nach Wegen gesucht, den Kontakt zu den potenziellen Kandidaten immer früher und intensiver in den jeweiligen Lebensräumen aufzubauen. Das Ergebnis ist ein immer weiteres Vordringen des Personalmarketings in sozialen Medien. Seit 2014 zeigt sich eine gewisse Ernüchterung und eine dadurch bedingte Stagnation. Facebook, Twitter, Xing und Co. spielen heute zwar eine wichtige Rolle, haben sich aber – entgegen anderslautender Erwartungen bzw. Ankündigungen – nicht zum Stein der Weisen in Personalmarketing und –beschaffung entwickelt.

Digitale Kanäle ersetzen nicht die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Kommunikationsgewohnheiten der konkreten Zielgruppe. Vielmehr erfordert die Auswahl geeigneter Kanäle und Inhalte eine adäquate vorherige Analyse. Hier besteht Optimierungspotenzial – beispielsweise durch Einbindung des Value Proposition Canvas.

Unter dem Schlagwort Candidate Experience Management (kurz: CXM) hat sich der Blick im Recruiting noch stärker auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Bewerber gerichtet. Das sind in erster Linie die sog. MINT-Berufe aber auch in zunehmendem Masse gewerbliche Fachkräfte. Immer, wenn bestimmte Bewerberzielgruppen nur schwer zu erreichen sind, ergibt sich daraus eine besondere Herausforderung für das Personalmarketing und Recruiting. CXM bezeichnet also die aktive Gestaltung aller Kontaktpunkte des Bewerbers (Candidate Touchpoints [Touchpointbefragungen]) mit dem Unternehmen mit dem Ziel, einen positiven Gesamteindruck zu hinterlassen. Die Candidate Journey ist dabei die Bezeichnung für die Summe an direkten und indirekten Touchpoints, über die ein Bewerber während des kompletten Prozesses mit einem Unternehmen in Berührung kommt.

Professionals aus dem Spektrum der MINT-Berufe sehen ihre Candidate Experience beispielsweise erfüllt, wenn sie sich nicht mehr durch einen umfangreichen Onlinebewerbungsfragebogen mühen müssen, sondern mit Weiterleitung eines Profils aus einem Businessnetzwerk ihr Bewerbungsinteresse ausreichend dokumentieren können.
Im weiteren Sinne zählt auch der Einsatz von spielerischen Elementen bei der Bewerbung (Recrutainment) unter das Primat einer Candidate Experience. Dreiviertel der Befragten sind noch nie mit spielerischen Instrumenten im Bewerbungsprozess in Berührung gekommen. Auch bei der Nutzung von Recruiting- oder Employer Branding-Videos ist noch Luft nach oben.

Die Vorboten der Digitalisierung des Recruitings haben aber nicht nur mehr digitale Candidate Experience im Gepäck, sondern liefern auch nicht zu unterschätzende Rationalisierungspotenziale durch „intelligente“ Chatbots, Matchingtools und Robot-Process-Automation – Inhalte unserer TRM-Fachtagung am 27.-28. Juni 2019 in Stromberg.

Personalentwicklung

Die Personalentwicklung verändert sich durch die Digitalisierung im Hinblick auf vier zentrale Aspekte:

  1. Durch neue Technologien, Geschäftsmodelle und –prozesse verändern sich die benötigten Kompetenzen in den Unternehmen (Lerninhalte).
  2. In einer VUCA-Umwelt bedarf es anderer Lernansätze.
  3. Dies hat Auswirkungen auf die Rollen der Beteiligten im Lernprozess.
  4. Durch die Digitalisierung bieten sich neue technische Möglichkeiten zum Lernen (Lerntechnologien)

Hierbei ist eine Weiterentwicklung der Lernkultur notwendig – ggf. mit dem 4C-Modell als Leitbild:

  • Collective: Ideen, Erfahrungen und Wissen müssen von allen relevanten Quellen und Talenten für eine hohe Produktivität, Innovationskraft und zur Motivierung genutzt werden.
  • Collaborative: Durch Zusammenarbeit entsteht neues Wissen – das soziale Lernen lebt vom Lernen von und mit anderen.
  • Continuous: Wir lernen jeden Tag, nicht nur ein- bis zweimal pro Jahr im „Klassenzimmer“.
  • Connected: Unabhängig von Lokation oder Endgerät und aufgrund der jeweiligen individuellen Bedarfe sowie der Geschäftserfordernisse.

Lernen im digitalen Zeitalter bedeutet nicht nur, dass sich die Art des Lernens ändert. Es müssen auch neue Fähigkeiten und Kompetenzen erlernt und teilweise alte über Bord geworfen werden.
Die wichtigsten Fähigkeitscluster lt. TU München mit Blick auf Digitalisierung sind:

Daneben sind Sozialkompetenzen, wie Kreativität, Agilität, Selbstmanagement, selbstgesteuertes Lernen, und Methodenkompetenzen, wie Kuration und Agile Methoden (Scrum, Lean-Startup und Design Thinking), eine wichtige Rolle.

Die Lufthansa Group identifizierte jüngst sechs digitale Kompetenzen:

(1) Digital Literacy (adäquater Umgang mit neuen Technologien).
(2) Human-Centricity (Versprechen, die eigene Arbeit konsequent vom Nutzer her zu denken und zu gestalten).
(3) Information Mastery (Kompetenz, mit einer Fülle an Informationen umzugehen, diese zu priorisieren und einen relevanten Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten).
(4) Resilienz (Fähigkeit, sich und die eigenen Ressourcen verantwortungsvoll und selbständig zu steuern und zu organisieren).
(5) Persönliche Veränderungsbereitschaft und Agilität.
(6) Zusammenarbeit (Networking über Bereichs-, Erfahrungs- oder Ländergrenzen hinweg).

Im Kontext der digitalen Transformation sollten Personalmanager die Befähigung haben, adäquat umgehen zu können mit:

  • Innovationen und (neuen) Technologien,
  • Wissen, Bildung, Qualifikationen und Kompetenzen,
  • Veränderungen, also technischen und sozialen Transformationen, sowie
  • gesteuerten Austauschprozessen.

Personalführung

Es gilt, eine grundsätzliche Richtung vorzugeben, in Szenarien zu denken, sich mehrere Optionen offenzuhalten, schwache Signale frühzeitig aufzunehmen, mit Lösungsansätzen zu experimentieren und sehr schnell aus den gemachten Erfahrungen zu lernen. All dies lässt sich unter dem Oberbegriff agile Führung subsumieren (Agilität).
Ein komplexes System in einer VUCA-Umwelt kontrollieren und zentral führen zu wollen, ist vermessen. Dementsprechend muss Führung stärker verteilt und die gesamt kollektive Intelligenz im Unternehmen genutzt werden (Partizipation).
Eine wesentliche Voraussetzung für mehr Partizipation bzw. Selbststeuerung ist eine ausgeprägte Vernetzung. Daher muss Führung in einer VUCA-Umwelt  die Bildung von Netzwerken und die abteilungs-, regionen- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit unterstützen (Vernetzung).
Dafür ist eine offene Führung angebracht. Im Digitalzeitalter sollte eine Führungskraft offen kommunizieren, offenes Feedback geben und auch selbst offen für Kritik sein. Zeitgemäße Führung ist somit v.a. eine offene Führung (Offenheit).
Wenn Führung vernetzter, offener, partizipativer und agiler werden soll, dann setzt dies Vertrauen seitens der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern voraus. Sowohl im Hinblick auf deren Motivation als auch deren Kompetenzen.
Diese fünf Charakteristika von Führung im Digitalzeitalter bilden das sogenannte VOPA+ Modell.

Wichtig ist: Eine erfolgreiche Führungskraft benötigt im Digitalzeitalter beides: Einerseits bewährte, auf Effizienz und Exzellenz ausgerichtete Managementansätze und andererseits Ansätze, die stärker auf Geschwindigkeit und Innovation ausgerichtet sind.

Digital Leadership verlangt zwar die (vermehrte) Aufgabe von Kontrolle. Das bedeutet aber nicht, dass Mitarbeiter agieren dürfen, wie sie wollen. Vielmehr gilt es zwischen Kontrolle der Arbeit und der Kontrolle der Zielerreichung zu unterscheiden; Motto: Kontrolle aufgeben, Führung behalten [mehr Infos].

Daimler hat im Rahmen von Leadership 2020 acht neue Führungsprinzipien entwickelt:

(1) Wir führen durch Sinngebung (Purpose).
(2) Wir passen uns schnell neuen Gegebenheiten an (Agility).
(3)
Wir vertrauen und inspirieren uns gegenseitig (Empowerment).
(4)
Wir streben immer das Beste an (Driven-to-win).
(5)
Wir gestalten mit Kreativität und Forschergeist eine visionäre Zukunft (Pioneering Spirit).
(6)
Wir lernen schnell und fordern aktiv Feedback ein (Learning).
(7)
Wir schaffen ein Umfeld für kreative Zusammenarbeit (Co-Creation).
(8)
Wir begeistern unsere Kunden jederzeit (Customer Orientation).

Lange, Faust und Joseph schlagen ein Stufenmodell als Vorschlag für das Gelingen des Transformationsprozesses im Führungsverhalten vor.

  • Stufe 1 besteht in einer Horizonterweiterung von HR. Diese Stufe endet mit dem Wissen darüber, was HR sowie die anderen Geschäftsfelder des Unternehmens für die Transformation benötigen.
    Erfolgreiche digitale Transformation erfordert eine vorgelebte Führungskultur, die Innovationen unterstützt und Risikobereitschaft sowie Agilität der Mitarbeitenden auf allen Ebenen des Unternehmens befördert.
  • Stufe 2 ist der Aufbruch in die neue Welt. Diese Stufe endet, wenn die Transformationsziele erreicht sind.
    Der notwendige Kulturwandel wird durch einen Behavioral Change der Führungskräfte und nachfolgend der Mitarbeitenden herbeigeführt, was einen Paradigmenwechsel bedeutet.
  • In Stufe 3 wird die neue digitale Welt permanent gestaltet. Die Organisation erntet jetzt die Früchte der vorgenommenen Transformation – gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit und höhere Effizienz bei niedrigeren Kosten.
    In der digitalen Welt sind die Innovationszyklen recht kurz, wofür vom Unternehmen beispielsweise Scrum- und Holocracy-Modelle herangezogen werden. Das bisher in Stufe 2 Erreichte muss also durch stetigen Wandel und Anpassung „fit for purpose“ gehalten werden.
  • Stufe 4 bezeichnet die Optimierung der digitalen Welt; das bedeutet die Bündelung von Business Intelligence und künstlicher Intelligenz.
    Diese Stufe hat die Operationalisierung der direkten Zusammenarbeit aller Rollen mit KI zum Gegenstand. Es ist wichtig, klare Regeln für die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen sowie Programmen, die Entscheidungen treffen, zu definieren (Governance-Modell).

 

Drei Beiträge zum Status Quo von HR im Thema Digitalisierung habe ich Ihnen versprochen. Im ersten Teil standen die Potenziale neuer Technologien für HR im Kontext einer HR-Strategie im Mittelpunkt; in diesem Beitrag die Gestaltung digitaler und smarter HR-Prozesse mit Fokus auf Personalplanung, Recruiting und Personalmarketing, Personalentwicklung sowie Personalführung.

Im dritten und letzten Teil beschäftige ich mich mit der Gestaltung agiler HR-Strukturen.[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]