Am 22.-23. Juni 2017 war Herr Uwe Birk, Geschäftsbereichsleiter Personalmanagement bei der Stromnetz Hamburg GmbH (im Bild links), unter den Teilnehmer*innen der TRM-Fachtagung der STRIMacademy im Hotel Schloss Edesheim. In mehreren Workshops wurden Themen rund um Ausbildungsstrategie & -planung, Employer Branding & Recruiting, sowie TRM-Prozesse & -Kennzahlen diskutiert.

Im Anschluss daran begannen Herr Birk und seine Mitarbeiter mit der Umsetzung. Was daraus entstand schilderte er kürzlich in einem Interview mit u-form.

u-form: Beschreiben Sie uns doch einmal den Ablauf des Bewerbungsverfahrens von Stromnetz Hamburg und wie sich dieses Verfahren von anderen unterscheidet.

Uwe Birk: Wir haben zunächst in einem ersten Schritt die Bewerbungshürde abgesenkt, indem wir auf eine klassische Bewerbung verzichten. Das heisst konkret: Wenn man unsere Homepage besucht, weil man sich für eine Ausbildung interessiert, sieht man sehr schnell, dass es eine Bewerbungshürde als solche gar nicht gibt. Man geht einfach auf unsere Karriereseite, gibt an, dass man z. B. Schüler ist, wählt den Ausbildungsberuf aus, für den man sich interessiert, und muss dann anschliessend nur seine „groben“ Daten angeben. Name, Geburtsdatum, E-Mail-Adresse, angestrebter Schulabschluss.

u-form: Ein Bewerbungsanschreiben oder ein Hochladen des letzten Schulzeugnisses wird also gar nicht von den Bewerbern verlangt?

Uwe Birk: Richtig! Nach Angabe dieser ersten Daten ist der erste Bewerbungsteil schon abgeschlossen. Danach generieren wir über u-form die TAN für einen Test, die ein Bewerber oder eine Bewerberin dann per E-Mail zugeschickt bekommt. Daraufhin hat die Person 14 Tage Zeit, sich diesem Test zu stellen – oder auch nicht. Wenn wir die Testergebnisse der Personen erhalten, die einen Test bearbeitet haben, entscheiden wir, wen wir aufgrund seines Testergebnisses gerne zu einem Gespräch einladen möchten. Erst zu diesem Zeitpunkt fordern wir die klassischen Bewerbungsunterlagen an – meistens aber auch nur das Zeugnis. Damit wollen wir uns einen kleinen Überblick über den Bewerber und sein Verhalten verschaffen. Wir schauen dabei also nicht nur auf die Schulnoten, sondern auf die sogenannten „Kopfnoten“ bzw. sonstigen Hinweise. Das sind Informationen, die uns Zeugnisse – abgesehen vom aktuellen Stand in der Schule – liefern. Danach folgt dann natürlich das persönliche Gespräch, bei dem entschieden wird: Passt der Bewerber oder die Bewerberin zu uns und zur Ausbildung?

u-form: Wieso haben Sie sich für dieses Verfahren entschieden?

Uwe Birk: Wir haben die Bewerbungshürde gesenkt, um im Vorfeld ein neutrales Bild eines jungen Menschen bekommen zu können. Nicht immer spiegelt ein Zeugnis der neunten oder zehnten Klasse auch wider, wie der junge Mensch wirklich ist. Aus diesem Grund haben wir etwas gesucht, das uns die Informationen liefert, die ein Zeugnis allein nicht liefern kann. Dabei ging es uns beispielsweise um die Sozialkompetenz, technisches Verständnis – all die Dinge, die in einem u-form Test abgefragt werden.

u-form: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit diesem neuen Bewerbungsverfahren gemacht?

Uwe Birk: Das kann ich relativ einfach beantworten: unsere Bewerbungszahlen haben sich verdoppelt. Ob alle Bewerbungen wirklich auf das neue Bewerbungsverfahren zurückzuführen sind, kann man sicher nicht hundertprozentig sagen. Aber es ist das Zusammenspiel aus der abgesenkten Bewerbungshürde und Massnahmen im Personal- bzw. Azubi-Marketing. Dabei setzen wir auf die Klassiker: Starke Präsenz auf Messen und Ausstellungen, Recruiting-Spezialisten, die sich ausschliesslich mit dem Thema Berufsorientierung und Azubi-Recruiting befassen.

u-form: Schaffen Sie es durch Ihr neues Bewerbungsverfahren mehr freie Ausbildungsplätze zu besetzen?

Uwe Birk: Von den Stellen, die wir besetzen wollten, konnten wir bei 100 Prozent dieses Ziel auch erreichen. Wenn wir dem Trend der vergangenen Jahre auch weiter vertrauen wollen, müssten wir unsere Bewerberzahlen stetig erhöhen, um unseren qualitativen Anspruch beibehalten zu können. Wir sind mit unserem Ergebnis derzeit zufrieden und wissen, dass unsere Massnahmen, die wir bisher eingeleitet haben, um unsere Bewerberzahlen zu erhöhen, auch wirklich greifen. Ob das auf Dauer auch so bleibt, wird die Zukunft zeigen. Um das einmal in Relation zu setzen: Im letzten Bewerberjahr 2018 haben uns 1100 Bewerbungen erreicht, bei 30 freien Ausbildungsplätzen, die wir zu vergeben hatten. Das hat natürlich neben der Attraktivität als Arbeitgeber und der Arbeitsplatzsicherheit auch damit zu tun, dass wir uns sehr intensiv für die Berufsausbildung in unserem Unternehmen engagieren – und das besonders in einem Berufsumfeld (gewerblich-technische Berufe), welches vielleicht nicht auf der Wunschliste eines Jugendlichen ganz so weit oben steht.

u-form: Und trotzdem schaffen Sie es, Ihre freien Ausbildungsplätze gut zu besetzen …

Uwe Birk: Das liegt daran, dass wir, wenn wir Personalmarketingmassnahmen ausrichten, uns auch mögliche Hinderungsgründe für Jugendliche vor Augen rufen, die gegen eine Ausbildung im gewerblich-technischen Bereich sprechen. Hier ist, sicherlich nur stellvertretend, der vielfache Studienwunsch zu nennen. Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, schon frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eine Berufsausbildung ein Startpunkt im Berufsleben sein kann. Wir verwenden den Slogan „Karriere mit Lehre“, um bewusst zu machen: Die Lehre ist der Anfang einer guten Karriere! In vielen Köpfen kreist herum, dass nach einer Lehre der Berufsweg „abgeschlossen“ ist und danach nicht mehr viel kommt. Also bleibt nur eine Alternative: „Ich muss studieren!“ Man absolviert das Abitur, egal mit welchen Noten, um noch einen Platz an einer Fachhochschule zu ergattern. Diese Einstellung ist auch der Tatsache geschuldet, dass an vielen weiterführenden Schulen, an denen das Abitur gemacht werden kann, mit einem starken Fokus Studienberatung betrieben wird. Als Alternative bieten wir die Möglichkeit, zusammen mit einem Studium eine Ausbildung zu machen. Ein solches Duales Studium ist für beide Seiten interessant. Aus ökonomischen Gesichtspunkten ist ein Duales Studium für junge Menschen attraktiv, da erste praktische und berufliche Erfahrungen erworben werden und sie am Ende einen Studienabschluss vorweisen können. Für Unternehmen sind Absolventen eines Dualen Studiums ebenfalls sehr attraktiv, da diese schon eher eine genauere berufliche Orientierung haben als diejenigen, die „nur“ einen Studienabschluss haben und Abläufe, Unternehmen und den beruflichen Alltag erst einmal kennenlernen müssen.