Das Wachstum der Weltwirtschaft ist zu gering. Schwellenländer wie etwa China gewinnen an Bedeutung. Der Druck der Märkte wächst. In zahlreichen Branchen findet momentan ein radikaler Paradigmenwechsel statt: Waren Innovationszyklen früher langsam, planbar und mit einer gewissen Sicherheit sogar vorhersehbar, so bietet sich heute ein komplett anderes Bild. In meinem Beitrag „War Beethoven innovativ?“ (Mai 2015) bin ich auf kritische Erfolgsfaktoren (integrierter Ansatz, Grundprinzipien der Organisationsgestaltung, Innovationskultur) eingegangen. Dieser Beitrag baut darauf auf und stellt die Umsetzung anhand von vier Praxisbeispielen in den Vordergrund.
Diese Präsentation dient auch als Grundlage meines Vortrages am 9. Juni im Rahmen der DOAG Business Solutions Konferenz in Darmstadt.
Nachfolgend werde ich die Umsetzung der kritischen Erfolgsfaktoren anhand von vier Unternehmensbeispielen darlegen. Die ersten drei Beispiele orientieren sich an den o.g. drei Erfolgsfaktoren, das vierte Beispiel … – lesen Sie selbst:
Unternehmensbeispiel 1: Pepperl+Fuchs
Forschergeist, unternehmerischer Weitblick und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten – mit diesem Kapital gründeten Walter Pepperl und Ludwig Fuchs 1945 eine kleine Radiowerkstatt in Mannheim (Deutschland). Heute ist das Unternehmen Pepperl+Fuchs bei Kunden in aller Welt als Pionier und Innovator im elektrischen Explosionsschutz und der Sensorik bekannt.
Im Rahmen der Entwicklung einer Integrierten Innovationsstrategie wurde folgendes Leitbild erarbeitet (Auszug):
- Wir wollen profitabel und schneller wachsen als der Wettbewerb.
- Wir hören den Kunden zu und sind offen für neue Ideen, um Innovationen zu schaffen!
- Wir werden unsere Innovations-Ressourcen danach priorisieren, wie gut damit eine „unique and valuable position“ erreicht wird.
Für Pepperl+Fuchs ist die vollständige Digitalisierung eine strategische Herausforderung und zugleich eine große Chance. Langfristig werden alle Pepperl+Fuchs-Produkte direkt oder indirekt im Industrie 4.0-Netz kommunizieren. Dazu müssen Brückentechnologien
entwickelt werden, welche die heute bereits installierten intelligenten Produkte und Systeme an die Industrie 4.0-Netze koppeln.
Mit SmartBridge macht Pepperl+Fuchs Sensorik bereit für Industrie 4.0: in Zukunft liefern Sensoren nicht einfach nur Prozessdaten an die Maschinensteuerung, sondern kommunizieren drahtlos mit unterschiedlichsten Empfängern. Mit SmartBridge werden cyber-physische Systeme in die Lage versetzt, auf Feldebene zu interagieren – das ist die Idee von Sensorik 4.0.
Unternehmensbeispiel 2: Freudenberg Gruppe
Das Weinheimer Familienunternehmen Freudenberg (Deutschland) schreibt Spitzenzahlen und verzeichnete im fünften Jahr in Folge 2014 einen Rekordumsatz von 7,04 Milliarden Euro. In allen Geschäftsfeldern konnte ein Plus verzeichnet werden. Auch das Konzernergebnis verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr und betrug 478,3 Millionen Euro, was Herr Dr. Mohsen Sohi, Sprecher des Vorstands der Freudenberg-Gruppe, auf der letzten Bilanzpressekonferenz vor allem auf die Innovationskraft des Unternehmens zurückführte.
Wachstum durch Innovation und unterstützende Organisationsgestaltung bedeutet bei Freudenberg konkret:
- Im Jahr 2014 hat die Unternehmensgruppe 270 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung investiert.
- Rund 28 Prozent des Gesamtumsatzes erwirtschaftet das Unternehmen mit Produkten, die kürzer als vier Jahre auf dem Markt sind.
- Mit dem Freudenberg Innovation Award würdigt Freudenberg herausragende Innovations-Leistungen seiner Mitarbeiter.
- Das Unternehmen eröffnete 2014 ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Qingpu, China (Freudenberg Chemical Specialities).
- Mit Herrn Dr. Tilman Krauch wurde ein Vorstandsressort geschaffen, das u. a. die Bereiche Innovations-, Informationstechnologie- und Investment-Management umfasst.
- In diesem Jahr erwartet das Unternehmen ein Umsatzwachstum von zwei bis vier Prozent und plant eine Gesamtinvestitionssumme von 370 Millionen Euro.
- In den Jahren 2015 bis 2017 will Freudenberg u. a. den Talent-Management-Prozess vorantreiben und eine Dachmarke „Freudenberg“ einführen, um weltweit sichtbarer und attraktiver für Stakeholder aufzutreten.
Unternehmensbeispiel 3: Tencent Holdings
Mit einer Marktkapitalisierung von über 60 Milliarden US-Dollar ist Tencent Holdings Ltd. das größte Internetunternehmen der Volksrepublik China. Mit einem Jahresumsatz von sieben Milliarden US-Dollar und einem Nettogewinn von 2,7 Milliarden US-Dollar ist Tencent außerdem derzeit das profitabelste Internetunternehmen Chinas.
Drei Stoßrichtungen einer innovationsfreundlichen Kultur:
- Mitarbeiter zu Innovationen befähigen:
- Der CEO prämiert quartalsweise Mitarbeitende für innovative (kleine und große) Ideen.
- Tencent rekrutiert von Hochschulen und aus dem Markt erfahrene Mitarbeiter unterschiedlicher Industrien und sichert sich damit einen breiten Erfahrungshintergrund.
- Tencent bietet einen Mitarbeiter-Hilfsplan an. Dieser beinhaltet Seminare zur Gesundheit und 1:1-Coaching. Ein großes Shuttle-System fährt über 100 Knotenpunkte an und Mitarbeiter, die nach 20 Uhr noch arbeiten, erhalten ein kostenloses Abendessen.
- Innovative Führungskräfte suchen und im Unternehmen halten:
- Führungskräfte nutzen eine Knowledge-Management-Plattform zum Austausch von Ideen und zum regen, kontinuierlichen Informationsaustausch.
- Tencent fördert jedes Jahr einen Innovationswettbewerb für Studenten auf der Suche nach den besten innovativen Ideen, Produkten und Programmen. Die Führungsmannschaft bewertet die Ergebnisse, ermittelt die Gewinner und lädt diese zu einem Sommerprogramm ein (mitunter führt dieses direkt zu einer Festanstellung!).
- Die Einstellungsinterviews drehen sich bei Tencent nicht um Erfahrungen aus der Vergangenheit, sondern um die Offenheit für das Erlernen neuer Fähigkeiten.
- Kalkulierbare Risiken eingehen, um Ideen umzusetzen und Ergebnisse zu evaluieren:
- Tencent fördert sowohl inkrementelle als auch risikoreichere, disruptive Innovationen.
- Mitarbeitende werden dazu ermutigt, Produkte der Konkurrenz zu nutzen, um diese mit den eigenen Produkten zu vergleichen.
- Neue Mitarbeitende werden dazu aufgefordert, aktuelle Produkte zu prüfen, um sie zu verbessern.
Und nun:
Unternehmensbeispiel 4: Deutsche Bank
Etablierte Banken – so auch die Deutsche Bank – wachen langsam auf. Ihre Digitalisierungspläne kommen recht spät. Im Fintech-Bereich gibt es einige Startups, die bereits jetzt zeigen, wie das Banking der Zukunft aussehen könnte. Die Deutsche Bank muss grundsätzlich umdenken. Leider ist sie in den letzten Jahren mehr mit internen Kämpfen, Vergütungsexzessen, Rechtsstreitigkeiten (wg. Zinsmanipulationen) und sonstigen Herausforderungen beschäftigt und hat die Kunden aus den Augen verloren.
Mit ihrem OpEx–Programm steigert die Deutsche Bank ggf. die operative Leistungsfähigkeit, neue Ideen werden damit nicht generiert.
Man kann der Bank nur wünschen, dass sie sich nicht in die Reihe weltweit bekannter Kultmarken (Kodak, Sharp, SAAB) einreiht, die wegen ihrer Unfähigkeit, sich anzupassen, sich neu zu erfinden und Innovationen in gleichem Tempo wie die Konkurrenz voranzutreiben, in schwere Bedrängnis geraten sind. Hierüber habe ich bereits im Juli 2013 im Beitrag Unternehmenswachstum durch Innovation geschrieben.
Meine früheren Blogbeiträge zum Thema Innovation handeln von folgenden Inhalten:
- Beitrag vom 5. März 2015: Innovationsmanagement: Der Weg zur Umsetzung,
- Beitrag vom 26. Januar 2015: Innovationsfähigkeiten: von Gutenberg bis Zuckerberg,
- Beitrag vom 8. Januar 2015: Designing for Innovation – 7 auf einen Streich!,
- Beitrag vom 17. Juli 2014: Innovationsstrategien und Innovationskultur, und
- Beitrag vom 25. Juli 2013: Unternehmenswachstum durch Innovation.
Ich freue mich auf Ihre Kommentare und Anregungen zum Thema sowie auf einen regen Dialog!
[…] zur Organisationsgestaltung (vgl. Innovationen in der Praxis), […]
Vielen Dank für den interessanten Beitrag!
Es wird deutlich, dass zu einer Innovationsplattform in einem Unternehmen sowohl die Innovationskultur (einschliesslich Human Resource und Aufbauorganisation) als auch die technische Unterstützung gehören, um gute Ideen umzusetzen. Nach den guten Ideen kommt die Ableitung von Anforderungen an die (neuen) Produkte und Services, es müssen umsetzungsorientierte Konzepte entwickelt werden, die in der Gesamtschau eine holistische Betrachtung erlauben, die fundierte Investitionsentscheidungen in ein gut balanciertes Innovationsportfolio ermöglicht.
Industrie 4.0 bedeutet die Notwendigkeit für Unternehmen, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, und auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die erst mit den intelligenten Produkten möglich werden.
In KMU ist das wegen der geringeren Größe oft leichter zu organisieren. Je größer das Unternehmen, desto mehr Widerstände müssen überwunden werden und desto schwerer wird die Orchestrierung der Arbeitsabläufe, die global, komplex und interdependent sind.
Zum Beispiel 4: Wer sehen möchte, wie Innovation im Banking, besonders Mobile Banking, aussehen kann, schaut nach Afrika.
Sehr geehrter Herr Köster,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für diese hochwertige Rückmeldung genommen haben!
Der von Ihnen skizzierte, holistische Ansatz – von der Idee, über das Business Proposal, bis hin zum Produkt-Portfolio – ist in der Tat ein „Bringer“, den Oracle geschickt umgesetzt hat. Ich schätze insbesondere die Cloud-Lösung auch für KMU als interessant ein; zudem mit kurzer Amortisationsdauer.
Was Sie mit Ihren Ausführungen zu Industrie 4.0 dargelegt haben wird im Praxisbeispiel von Pepperl+Fuchs eindrucksvoll bestätigt. Wichtig war auch hier, sich frühzeitig mit den neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, dabei die Bedarfe der Kunden als Treiber in den Mittelpunkt zu stellen und die eigene Strategie – unterstützt von intensiven Trainings für Führungskräfte – daran auszurichten.
KMU tun sich in der Tat aufgrund ihrer Organisationsgestaltung häufig leichter. Gleichzeitig haben sie natürlich auch Herausforderungen zu meistern; mitunter in puncto mangelnder Bekanntheit, geringerem Budget und vergleichsweise weniger Leistungs- und Potenzialträgern. Im Ergebnis denke ich jedoch, dass in einer VUCA world (volatile, uncertain, complex, ambigious) KMU leichte Vorteile haben und ihre Agilität und Kultur zu einem schnelleren Return on Innovation führt.
Übrigens: Bei Gelegenheit würde ich gerne mehr über Mobile Banking in Afrika von Ihnen erfahren. Habe schon mal angefangen, mich kundig zu machen: http://www.euractiv.de/sections/entwicklungspolitik/afrika-fuehrt-beim-mobile-banking-314155.
Sehr geehrter Herr Mayer,
noch ein kurzer Nachtrag zum Mobile Banking in Afrika: Im von Ihnen genannten Artikel wird auch deutlich, dass die Innovation NICHT von traditionellen Banken ausgeht, sondern das (eigentlich Finanzdienstleistungsfremde) Telekomanbieter die neuen Dienste mit großem Erfolg anbieten.