Wir kennen nicht nur Begriffe wie Volatilität und Agilität, wir nutzen sie und erleben selbst täglich, was sie bedeuten. Wie passt das nun aber zu Strategie und zu Planung?

Haben diejenigen Recht, die behaupten, Planung würde nur noch kurzfristig Sinn ergeben, weil man ja eh nicht wisse, was in ein paar Monaten auf Unternehmen und Gesellschaft zukomme, und spontan agieren müsse?
Haben diejenigen Recht, die der Überzeugung sind, Strategien seien etwas für Strategieberater, aber im Unternehmensalltag seien sie nicht einmal das Papier an den Bürowänden wert?

Ich meine: Nein! Gerade in diesen Zeiten sind Strategie und Planung immens wichtig; aber eben anders, als es viele Jahre praktiziert wurde! Hierfür gliedere ich diesen Beitrag wie folgt:

  • Volatilität und Agilität wirken als Katalysator, um neue Chancen wahrzunehmen
  • Neuausrichtung des Großkundengeschäftes bei einem weltweit agierenden Finanzinstitut (Praxisbeispiel)
  • Notwendigkeit neuer Personalstrategien

Volatilität und Agilität wirken als Katalysator

Führungskräfte spielen im Umgang mit Volatilität und Agilität eine zentrale Rolle. Im positiven Fall überdenken sie ihre Fusions- und Akquisitionsstrategien, nehmen drastischere Umschichtungen von Ressourcen vor und überdenken die Zusammensetzung ihrer Belegschaft. Schließlich nehmen sie bei Innovationen und Wachstum eine langfristige Perspektive ein.

Um sich ergebende Chancen zu nutzen, heben McKinsey-Berater drei Faktoren hervor: Einsichten, Engagement und Umsetzung:

Einsichten

Im Kern geht es hierbei um einen Erkenntnisvorsprung durch hochwertige Analysen. Leitfragen könnten sein:

  • Haben wir einen vollständigen Überblick über unsere Lieferkette?
  • Bewerten wir unser Portfolio auf einer ausreichend granularen Ebene und schnell genug, um regions- oder segmentspezifische Besonderheiten zu erkennen?
  • Wie gut kennen wir unsere Kunden und Endverbraucher?
  • Verfügen wir über einen Mechanismus, mit dem wir Signale aus dem gesamten Unternehmen möglichst schnell in handlungsfähige Optionen umwandeln können?
  • Bauen wir eine Kultur auf, die vielfältig, integrativ und außenorientiert (outside-in) ist?
  • Haben wir im gesamten Unternehmen digitale und analytische Fähigkeiten aufgebaut?

Engagement

Hierbei geht es v.a. darum, schnell und umfassend zu handeln. Leitfragen könnten sein:

  • Sind unsere oberen Führungskräfte in der Lage, strategische Entscheidungen entschlossen zu treffen, oder müssen wir die Zusammensetzung von Teams, die Prozesse oder die Denkweise ändern, um dies zu gewährleisten?
  • Haben wir die Geschäftsführung ausreichend in die Entwicklung von Szenarien und Reaktionen darauf einbezogen, so dass diese mutige Schritte in Schlüsselmomenten nicht behindert?
  • Können wir einen Teil unserer Investitions- und Betriebsausgaben dynamisch umschichten, wenn sich neue Chancen und/oder Risiken ergeben?
  • Haben wir Branchenkollegen und branchenübergreifende Disruptoren, sog. nightmare competitors, im Blick, damit wir in ausreichendem Umfang handeln können?

Umsetzung

In der Strategieumsetzung geht es – z.B. entlang der 4DX-Methode – primär um Fokussierung und Klarheit! Leitfragen könnten sein:

  • Stellen wir unsere Organisation infrage, um fokussierter und zielgerichteter zu agieren?
  • Ist unsere Technologie modern und modular genug, um die Umsetzung zu beschleunigen?
  • Sind unsere Fähigkeiten, die das Wachstum unterstützen, stark genug ausgeprägt?
  • Sind wir in der Lage, neue Unternehmen mit der Agilität und dem Ehrgeiz eines Disruptors aufzubauen und gleichzeitig die Reichweite und Ressourcen eines etablierten Unternehmens zu nutzen?
  • Haben wir die Best Practices für die Transformation auf die Umsetzbarkeit in unserem Unternehmen hin geprüft?
  • Halten wir die Lehren aus bedeutenden Erfahrungen der Vergangenheit fest und evaluieren wir diese?

Neuausrichtung des Großkundengeschäftes bei einem Finanzinstitut

Das Großkundengeschäft hat sich in den zehn Jahren nach der Finanzkrise gewandelt. Viele Geschäftsbereiche wurden digitalisiert, die Kundenbedürfnisse werden immer komplexer und integrierter, und die Branche hat Risiken und Schulden abgebaut.
Anspruchsvolle Großkunden erwarten jedoch weitere Entwicklungen.
Am Beispiel eines Finanzinstitutes zeige ich auf, wie die drei vorab beschriebenen Faktoren konkret eingebunden wurden.

Einsichten

  • Das Institut hat nicht nur die Arbeitsabläufe modernisiert und automatisiert, sondern auch die täglichen Aufgaben der Mitarbeitenden vereinfacht und ihnen Werkzeuge an die Hand gegeben, um ihre Kunden ganzheitlich zu verstehen.
  • Die reichhaltigen Daten, über die das Institut verfügt, wurden genutzt, um Informationen zu generieren, die den Kundenbetreuern helfen, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu antizipieren, bevor diese überhaupt wissen, dass sie sie haben.
  • Mithilfe von KI-Tools ist ein viel klareres Bild über Kunden (Mikrosegmentierung, maschinelles Lernen) möglich.
  • Betreuer:innen sind mit den gewonnenen Erkenntnissen nun in der Lage, das Wissen über die Strategie der Kunden unter Beweis zu stellen und in die Beratung einfließen zu lassen.
  • Das Institut hat ein leicht durchsuchbares, strukturiertes Content-Management-System entwickelt und damit einen eigenen Wissensspeicher aufgebaut.

Engagement

  • Die Initiative hat zu einem verbesserten strategischen Dialog mit der Geschäftsführung und den Kunden geführt, der auf neuen Daten und Erkenntnissen beruht, und zu einer besseren Zusammenarbeit über traditionelle Silos hinweg.
  • Kunden wurden in den Produktentwicklungsprozess einbezogen, auch produktübergreifende Lösungen wurden gemeinsam entwickelt (Bankdienstleistungen wurden beispielsweise vollständig in das ERP-System des Kunden integriert).
  • Betreuer:innen können nun hochgradig reaktionsschnell agieren; ungehindert durch interne Verzögerungen, Silos und Bürokratie.

Umsetzung

  • Mittels Rationalisierung und Automatisierung an der Kundenfront wurden Prozesse beschleunigt, vereinfacht und messbar gemacht.
  • Parallel wurde die Beratungsqualität bei Großkunden deutlich gesteigert.
  • Ein großer Teil der umgesetzten Veränderungen besteht darin, Daten und analytische Fähigkeiten in jeden Teil des Geschäftsmodells zu integrieren.
  • Daten wurden in einer einzigen Wholesale-Plattform zusammengeführt. Daneben wurde stark in die Technologie investiert, um Daten aus den Rohdatenpools in verwertbare Datenbestände umzuwandeln und es so zu ermöglichen, darauf aufbauend Anwendungsfälle zu entwickeln und der Geschäftsleitung Einblicke zu gewähren.
  • Es wurde eine Kultur etabliert, in der die technischen Teams mit den Produktteams zusammenarbeiten – abteilungs- und siloübergreifend.
  • Die Strategie wird fortlaufend mit Führungskräften überprüft; wichtig sind insbesondere Engagement und Verantwortlichkeit.
  • Eine konstante Geschwindigkeit von Feedback-Schleifen stellt sicher, dass Agilität im Unternehmen erhalten bleibt.

Notwendigkeit neuer Personalstrategien

Die bisher hier skizzierten Auswirkungen einer VUCA-Welt haben weitreichende Auswirkungen auf die Belegschaft im Allgemeinen und auf die HR-Funktion im Speziellen. Deshalb sollte zu Beginn einer HR-Strategie-Entwicklung zunächst die grundsätzliche Stoßrichtung erarbeitet werden. Hierbei spielen drei sog. Konsistenzfaktoren eine Rolle: Unternehmensstrategie, Personalpolitik und Organisationskultur. Die Abbildung dieser Faktoren ergibt folgende Matrix:

Die horizontale Achse der HR-Kernstrategiematrix ist ebenso wichtig – wenn nicht noch wichtiger – als die vertikale Achse mit Qualitäts- und Kostenfokus.
Gemäß dieser Matrix erscheint ein Spektrum zwischen Flexibilität auf der einen und Stabilität auf der anderen Seite.

Flexibilität steht für Vernetzung und Agilität und zielt auf eine mitarbeiterzentrierte Befähigung ab. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, was Mitarbeiter, Teams und Netzwerke benötigen, um eigenverantwortlich personalrelevante Herausforderungen meistern zu können. Grundlage hierfür ist häufig eine sich ändernde Grundhaltung und Unternehmenskultur.

In einer Zeit, in der Veränderungen immer schneller vonstattengehen, hat eine auf Agilität ausgerichtete HR-Strategie viele Vorteile. Fragen Sie sich deshalb:

  • Was ist das aktuell angestrebte Führungs- und Organisationsverständnis? Agilität und Vernetzung versus Stabilität und Hierarchie?
  • Welche HR-Kernstrategien leiten sich aus diesem Führungs- und Organisationsverständnis ab?

Die nachfolgenden Anmerkungen sind sicherlich unvollständig; bilden jedoch hoffentlich die Grundlage für interessante Kommentare zu diesem Beitrag.

Einsichten

Engagement

  • Die konsequente Ableitung der personalstrategischen Handlungsfelder und die Ausrichtung der HR-Best-Fit-Aktivitäten (auch: Schlüsselaktivitäten) fällt in einem agilen Umfeld anders aus als in einem nach Stabilität strebenden Kontext.
  • Exemplarisch gehe ich kurz auf die HR-Flex-Value-Strategie mit Qualitäts- und Flexibilitätsfokus ein. Bei dieser HR-Strategie ist das Unternehmen v.a. bestrebt, sich schnell und agil den Veränderungen im Umfeld anzupassen. Gezielte Investitionen in bestimmte Bereiche des HRM wechseln sich ab mit Kostensenkungsinitiativen, die zu Prozess- und Effizienzoptimierungen führen sollen. Wichtig ist: Agilität und Flexibilität müssen sich auf einem Niveau stabilisieren, das das Unternehmen nicht nachhaltig belastet, sondern permanent und gleichzeitig Raum lässt für gezielte Innovation und nachhaltige Entwicklung.
  • Bei einer solchen Strategie ist eine Personalplanung nicht so langfristig ausgerichtet wie bei der HR-Investment-Strategie, zeichnet sich gleichwohl durch eine starke qualitative Komponente aus. Die Rekrutierungsfunktion wird häufig – wenigstens in Teilen – ausgelagert und die Mitarbeitervergütungen sind stark leistungsorientiert. Zudem steht die Personalbindung nur für ausgewiesene Funktionen an.
  • Dieses Beispiel soll zeigen: Ohne umfassende Kenntnisse des Unternehmenszwecks, der strategischen Positionierung und Herausforderungen ist strategisches Denken sowie schnelles und umfassendes Handeln in HR nicht ansatzweise vorstellbar.
  • In der Praxis ist festzustellen, dass HR-Bereiche, die den Stabilitätsfokus zu sehr betonen, im „Unternehmensalltag“ keine große Rolle spielen, d.h.: HR wird nicht als Business Partner wahrgenommen, „Schattenorganisationen“ direkt in den Geschäftsbereichen übernehmen strategische HR-Aufgaben und die HR-Funktion selbst wird auf administrative Aufgaben mit Kostenfokus reduziert.

Umsetzung

Fazit

Drei Faktoren sind wesentlich dafür, Chancen zu nutzen, die sich durch Volatilität und Agilität ergeben. Unternehmen sind dadurch in der Lage, schnell auf veränderte Bedingungen zu reagieren und sich bietende strategische Optionen zu nutzen.

Es braucht strategischen Mut seitens der Führungskräfte, Zeiten der Krise, der Veränderung und der Disruption dafür zu nutzen, diese drei Faktoren zu etablieren. Die HR-Funktion sollte dabei eng eingebunden werden.

CAGR-Auswertungen belegen eindrucksvoll, dass sich dieser Mut auch auszahlt.