Viele sprechen von einer New Work-Bewegung und von einem Megatrend New Work. Kai Gondlach sieht New Work als Ausdruck der nächsten Stufe der menschlichen Evolution. Vielerorts verbindet man mit New Work die neue Art, Leben und Arbeiten zu verbinden; ausgelöst durch die vier Kernelemente der Digitalen Transformation. Diese ist tiefgreifend; wissend: New Work steht und fällt mit der gelebten Unternehmenskultur als einziger Konstante, die von Partizipation, Offenheit, Vertrauen und Vernetzung geprägt ist.

Die Idee von New Work wurde erstmals Mitte der 80er-Jahre von Frithjof Bergmann entwickelt. Bergmann beschäftigte sich mit der philosophischen Frage nach der Freiheit des Menschen. Er versteht darunter nicht nur Entscheidungsfreiheit zwischen Alternativen, sondern Handlungsfreiheit. Da „Old Work“ seiner Meinung nach am Ende ist, besteht nun die Chance, sich von der Knechtschaft der Lohnarbeit zu befreien.

Frithjof Bergmann plädiert dafür, dass Menschen das tun sollen, wozu sie imstande sind und was sie diesbezüglich auch leidenschaftlich antreibt. Hierbei sind m.E. drei Dimensionen von Bedeutung, auf die ich kurz eingehen möchte:

Dimension Mensch

In unseren Mitarbeiterbefragungen spielt Sicherheit des Arbeitsplatzes mit geregeltem Arbeitseinkommen eine sehr große, wenn nicht DIE Rolle. Auch in den Schülerbefragungen steht dieses Kriterium – unabhängig vom Schultyp und Bildungsgrad – auf Platz 1. Soweit zur Faktenlage.

Frithjof Bergmann mag sich mehr Selbstständigkeit in der neuen Arbeitswelt wünschen; ich sehe sie bisher noch nicht – auch in den Führungsetagen nicht. Vor ca. 12 Monaten habe ich im Beitrag „Ist ein Normalarbeitsverhältnis noch normal?“ das Zwischen-Fazit gewagt, dass die höheren Anteile atypischer Arbeitsverhältnisse im Zuge von Industrie 4.0, IoT, sowie Digitaler Transformation noch auf uns zukommen werden.

Bergmanns Empfehlung – 1/3 Erwerbsarbeit, 1/3 Selbstversorgung auf höchstem technischen Niveau, 1/3 „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ – legt die Vermutung nahe, dass weder die lebenslange Festanstellung bei einem Arbeitgeber noch die herkömmliche Selbstständigkeit für ihn die Modelle der Zukunft sind. „Gemischte“ Arbeitsmodelle, basierend auf persönlichem Wissen und Wissensvermittlung, die wenig Ressourcen in Anspruch nehmen und auch ohne eigenes Büro auskommen, passen eher in den Zeitgeist der individualisierten Erwerbsbiografie.

In solch einer durch VUCA geprägten Situation eine bessere Work-Life-Balance und eine höhere Flexibilisierung von Arbeitszeit und -raum bei nennenswertem Anstieg des Fixgehaltes zu fordern kann man zwar versuchen, wird aber bei der prognostizierten Entwicklung der Produktivität nicht lange gut gehen. Das gelingt meiner Überzeugung nach nur, wenn Mitarbeitende „mit ins Risiko gehen„. Unternehmertum ist also eine Kulturfrage! Während eine stabile wirtschaftliche Lage mehr Menschen dazu ermutigen müsste, sich unternehmerisch am Markt auszuprobieren, kann hierzulande eine gesteigerte Lust zum Unternehmertum nicht festgestellt werden.

Dimension Kompetenz

Kompetenzen sind sog. Selbstorganisationsdispositionen; d.h. Mitarbeitende werden durch Kompetenzen dazu angeregt, selbstorganisiert zu handeln. Das wird in Zukunft mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen. Personalentwicklungsabteilungen verändern sich in diesem Zuge:

  • Längere Fortbildungen werden in kleine Einheiten zerlegt, sodass man die einzelnen Module genau dann belegen kann, wenn man sie braucht.
  • Lernplattformen wie Udacity, Udemy oder edX, die hochwertige und aktuelle Lerninhalte zum Beispiel aus dem Silicon Valley oder vom MIT – und damit zukunftsentscheidende digitale Kompetenzen – vermitteln, werden eingebunden.
  • Fach- und Führungskräfte werden dadurch z.B. in Sachen Künstliche Intelligenz oder Big Data vergleichsweise kostengünstig auf den neuesten Stand gebracht.
  • In der heutigen schnelllebigen Zeit möchte niemand mehr wochenlang auf ein Feedback warten. So sollte die Rückmeldung zu Lernerfolgen möglichst schnell erfolgen, damit die Teilnehmer motiviert bleiben.
  • Firmenspezifische Chatbots führen Mitarbeiter durch das Weiterbildungsangebot der Firma und entlasten damit die HR-Abteilung und Führungskräfte.

In mehreren Beiträgen bin ich auf künftig notwendige Kompetenzen und auf konkrete Unternehmensbeispiele hierzu eingegangen.

Häufig wird Agilität als dringend notwendige Kompetenz über alle anderen Kompetenzen gestellt – Hauptsache agil. Als Begründung müssen VUCA, Digitalisierung und die sich schnell wandelnde Weltwirtschaft herhalten. Hier würde etwas mehr Nüchternheit gut tun, denn Agilität – so wichtig sie ist – braucht Stabilität. Es ist schlicht falsch, dass Agilität nur für Flexibilität steht und keine festen Ordnungen braucht. Bestes Beispiel ist der Jazz. Hier wird improvisiert, was das Zeug hält; aber nach festen Regeln!

Ich stimme der Aussage zu: „Agilität wird häufig als Vorwand genutzt, um eine nicht vorhandene Strategie zu überdecken und ein ständiges Hin und Her zu rechtfertigen. Wirklich erfolgreiche Agilität geht aber damit einher, die Sache in den Vordergrund zu stellen und nicht den Schutz der eigenen Person. Agil steht daher insgesamt nicht nur für eine neue Art zu arbeiten, sondern auch eine neue Art zu denken: Über die eigene Arbeitsweise und sich selbst.“ (Jelka und Jürgen Seitz: Digitale Kompetenzen: New Work = New Human?).

Dimension Arbeitsorganisation

Aktuell wird Arbeitsorganisation häufig auf „persönliche Arbeitsorganisation“ eingeschränkt benutzt und bedeutet dann persönliche Arbeitseinteilung sowie eigenes Zeit- und Terminmanagement eines weitgehend selbstständig arbeitenden Menschen.

Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, die belegen, dass Crowdworking-Plattformen als Enabler neuer Formen der Arbeitsorganisation bezeichnet werden können. Wesentliche Charakteristika von Crowd Work (nach Leimeister) sind:

  • Digitale Erwerbsarbeit (intern und extern).
  • Open Call: Arbeit wird gleichzeitig vielen Bearbeitern angeboten.
  • Plattform-basiert: Signifikanter Teil der Arbeit erfolgt über eine Plattform.
  • Freiwilligkeit: Teilnehmer entscheiden, ob sie mitmachen wollen.
  • Selbst-Selektion: Teilnehmer entscheiden, welche Arbeit sie erledigen wollen.

Immer mehr Geschäftsmodelle basieren auf dem Plattformprinzip: Handelsplattformen, Sharing-Plattformen, Crowdworking-Plattformen. Dies geht mit Chancen

  • Besser: Aufgrund der Vielfalt an verfügbaren Bearbeitern, Endgeräten und Systemen: Finden von mehr Fehlern durch Crowdtesting.
  • Flexibler: Selbst-Selektion der Arbeits-Aufgaben und -Zeiten ermöglicht mehr Arbeitsmarkt-Partizipation.
  • Kostengünstiger: Standardisierung, Vielzahl an möglichen Bearbeitern, Ausnutzung von Preisunterschieden (Arbitrage-Effekte).
  • Schneller: Parallelisierung und Vermeidung von ‚Leerzeiten‘, z.B. auf Grund von anderweitigen Projekten, Krankheit, Urlaub, etc.

… und Risiken einher:

  • Rückfall in kleinteilige, schlecht bezahlte, monotone Arbeit (wie ‚Bilder-Tagging‘ für wenige Cent pro Aufgabe).
  • Disruptive Änderungen zu Lasten etablierter Geschäftsmodelle (wie Services durch Crowd anstatt Kundendienst).
  • Verschiebung der Machtverhältnisse zu ungunsten der Arbeitsanbieter (‚Austauschbarkeit‘).
  • Unter Umständen spätere Notwendigkeit des ‚Auffangens‘ von Crowdworkern/Soloselbständigen durch die Sozialsysteme, Steuergerechtigkeit.

Crowdworking ist derzeit in der Arbeitswelt noch eine kleine Nische. Eine ZEW-Studie kommt zum Ergebnis: Nur eine Minderheit versucht über Crowdworking eine Existenz aufzubauen. Für 38,8 Prozent ist Crowdworking ein Zusatzjob neben der Festanstellung, für 39,6 Prozent ein Zusatzeinkommen neben Schule, Ausbildung und Studium. Auch Unternehmen sind derzeit noch zurückhaltend: nur drei Prozent der Unternehmen setzen derzeit Crowdworking ein.

Herbei ist auch die Warnung vor digitaler Erschöpfung nicht zu überhören! Das neue Arbeiten ist nicht nur mit Selbstbestimmung, sondern auch mit Leistungsdruck und sozialer Kälte verbunden. Mediziner fürchten zunehmend, dass flexible Arbeitsmodelle den Stress vergrößern. Das, was man ursprünglich an Lebensqualität und persönlichem Freiraum gewinnen wollte, kehrt sich ins Gegenteil um.

Umsetzung – Lohnarbeit im Minirock!

Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet?! Haben wir New Work richtig verstanden? Haben wir die Unternehmenskultur daraufhin überprüft? Nehmen wir die Belegschaft mit ihren Bedürfnissen, Wertewelten und Erwartungshaltungen ernst? Wie steht es mit dem Grundsatz „fordern und fördern“? Welche Rolle spielt die Organisationsentwicklung?

In einem Gastkommentar des manager magazins schrieb Stephan Grabmeier über die New-Work-Lüge: Ich kann die sozialromantische Beweihräucherung selbsternannter New Worker*innen nicht mehr hören. In immer gleich besetzten Panels, Vorträgen, Bootcamps oder Retreats wird „New Work“ rund um den Globus gefeiert und „Old Work“ bekämpft. Was wechselt, sind die Events, was bleibt ist das Missionarische. Und oft die inhaltliche Leere.

Frithjof Bergmann sagte im August während eines Interviews mit dem Handelsblatt: Heute macht man vielerorts nur die Lohnarbeit attraktiver, sympathischer und netter. Man kann auch sagen: Es ist Lohnarbeit im Minirock. Firmen beschreiben das, was wir Neue Arbeit nennen, nur in ganz oberflächlicher Art und Weise. Auch wenn es angeblich super läuft, ist es mehr Schein als Wirklichkeit.

Mit Blick auf Selbstverantwortung, Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort, sowie die Abkehr von Anreizsystemen sagte Bergmann in einem Interview mit Haufe: Wenn Selbstverantwortung allein schon New Work sein soll, dann ist es das nicht. Es braucht alles Mögliche und so wäre es zu verwässert. Das ist nicht radikal genug. (…) New Work kann ein Betrieb nicht leicht über einzelne Dinge erreichen. Neue Arbeit ist nicht nur mosaikhaft. Man kann nicht aus kleinen Stücken ein Arbeitsleben zusammenkleistern. Da sehe ich immer noch die Gefahr, dass Arbeit als eine milde Krankheit empfunden wird. (…) Die meisten Unternehmen versuchen New Work in einer Art und Weise einzubauen, wie sie die Dinge schon immer gemacht haben. Im Grunde sind viele nicht bereit, einschneidende Änderungen hineinzubringen.

Gut gedacht, schlecht gemacht also? Ich meine: New Work steht und fällt mit der Unternehmenskultur (siehe auch: Studie: Wertewelten Arbeiten 4.0) und einer Stringenz in der Strategie- und Organisationsentwicklung (vgl.: Agile Transformation braucht klare Vision und Ziele). Mit Blick auf die Belegschaft wird es wohl nicht nur eine Stoßrichtung geben, in die alle laufen müssen. Entlang Bergmanns Postulat der Freiheit geht es meines Erachtens vielmehr um Pole: Sicherheit – Risiko, Agilität – Stabilität, Crowd Work / Gig Economy – Festanstellung. Kein „entweder oder“, vielmehr ein „sowohl als auch“.