Kultur stellt eine komplexe Herausforderung für Unternehmen dar, die durch die Pandemie und die Verlagerung auf hybrides Arbeiten nur noch verschärft wurde.

Die Unternehmenskultur erlebt einen Wendepunkt, der die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern neu definiert. Letztere fordern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die Freiheit zu arbeiten, wo und wann sie wollen, und mehr Unterstützung und Einfühlungsvermögen ihres Arbeitgebers. Detaillierte Einblicke hierzu liefert die LinkedIn-Studie „Global Talent Trends 2022“.

Der Gartner 2021 EVP Benchmarking Survey kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Flexibilität: 52 % der Arbeitnehmer geben an, dass flexible Arbeitsbedingungen die Entscheidung beeinflussen, in ihrem Unternehmen zu bleiben.
  • Gemeinsame Ziele: 53 % der Mitarbeitenden wünschen sich, dass sich ihr Unternehmen für Themen einsetzt, die ihnen am Herzen liegen.
  • Wohlbefinden: 70 % der Unternehmen haben neue Leistungen für das Wohlbefinden eingeführt oder den Umfang bestehender Leistungen für das Wohlbefinden erhöht.
  • „Person zuerst“-Erfahrung: 82 % der Mitarbeitenden erwarten von ihrem Arbeitgeber, sie als Person und nicht nur als Mitarbeiter zu sehen.

Menschenzentrierte Unternehmenskultur

Zahlreiche Arbeitgeber reagieren auf diese Entwicklungen und kultivieren eine menschenzentrierte Kultur, in der sich die Arbeit nach dem Leben der Mitarbeitenden richtet. Hierfür ist eine neue Denkweise erforderlich! Dave Ulrich nennt dies eine „Outside-in“-Sichtweise der Kultur, weil hierbei Kultur aus der Sicht von Interessensgruppen bewertet und gestaltet wird. Eine solche Kultur wird in fünf Schritten umgesetzt:

Demzufolge fließen kulturelle Ideen und Botschaften von unten nach oben (3), Verhaltensweisen und Handlungen von oben nach unten (2). Prozesse, wie z.B. Einstellung, Aus- und Weiterbildung und Vergütung von Mitarbeitenden, sollten die gewünschte Kultur unterstützen (4). Führungskompetenzen sind mit den Versprechen an die Stakeholder in Einklang zu bringen, um eine Führungsmarke zu schaffen (5).

Flexibilität und Wohlbefinden

Eine menschenzentrierte Unternehmenskultur muss eine Verbindung zum Zweck resp. Purpose des Unternehmens bieten, damit Mitarbeitende ihre Arbeit als sinnvoll und sich selbst als einen wichtigen Bestandteil des Unternehmens betrachten können. Hier einige Beispiele:

  • Airbnb: “Bieten Sie Gastfreundschaft, schaffen Sie ein Gefühl der Zugehörigkeit, wo auch immer Sie in der Welt sind.”
  • dm-drogerie markt: „Einen sozialen Organismus schaffen, in dem Menschen ihre Potentiale entfalten und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können.“
  • Phoenix Contact: „Mit Leidenschaft für Technologie und Innovation schaffen wir gemeinsam eine nachhaltige Welt.“

In diesem Abschnitt konzentriere ich mich auf zwei weitere wichtige Kriterien: Flexibilität und Wohlbefinden.

Flexibilität

Gemäß der eingangs erwähnten LinkedIn-Studie arbeiten Arbeitnehmer, die der Meinung sind, dass ihr Unternehmen in puncto zeitliche und örtliche Flexibilität gute Arbeit leistet, mit 2,6-mal höherer Wahrscheinlichkeit gerne in ihrem Unternehmen. Außerdem empfehlen sie anderen mit 2,1-mal höherer Wahrscheinlichkeit, bei ihrem Arbeitgeber zu arbeiten.

Wichtige Praxiserfahrungen sind:

  • Fokussieren Sie sich auf Arbeitsergebnisse, nicht auf Arbeitszeiten.
  • Helfen Sie den Mitarbeitenden, sich selbst Grenzen zu setzen.
  • Finden Sie den richtigen Mix an Vor-Ort-Meetings und virtuellen Meetings.
  • Bieten Sie den Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt Gleitzeitregelungen, wie z.B. eine 4-Tage-Woche, an.

Wohlbefinden

Mitarbeitende, die sich bei der Arbeit mit Blick auf ihre psychische Gesundheit gut aufgehoben fühlen, sind 3,2-mal häufiger mit ihrem Job zufrieden. Außerdem sind sie 3,7-mal eher bereit, ihr Unternehmen als Arbeitsplatz zu empfehlen.

Wenngleich ich persönlich der Meinung bin, dass Mitarbeitende hier auch eine Eigenverantwortung zu tragen haben, sehen es immer mehr Arbeitgeber mit als ihre Aufgabe an, sich auf das körperliche und seelische Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden zu konzentrieren.

Wichtige Praxiserfahrungen sind:

  • Bilden Sie Manager zu einfühlsamen Führungskräften aus.
  • Machen Sie psychosoziale Dienste leicht zugänglich.
  • Nutzen Sie People Analytics, um Probleme zu erkennen.
  • Machen Sie Ihre Mitarbeiter zu Verbündeten der psychischen Gesundheit.

Führung

Wenn Führungskräfte in Übereinstimmung mit den Erwartungen von Kunden und Mitarbeitenden denken und handeln, stärkt ihre Arbeit die gewünschte Kultur. Eine Gruppe von BCG-Autoren hat hierfür einen integrierten Ansatz entwickelt, der auf vier kritischen Bereichen basiert: wie wir arbeiten, wie wir führen, wie wir uns organisieren und was wir brauchen.

Fazit

Die Frage dieses Beitrages nach der Notwendigkeit einer neuen Kulturagenda kann nur mit JA beantwortet werden:

  • Reden Sie nicht nur über Kulturideale, sondern verbinden Sie diese mit dem Wert für Mitarbeitende und Kunden, damit die Kultur Auswirkungen auf die Belegschaft und den Markt hat.
  • Evaluieren Sie die Kultur nicht mit Rhetorik, sondern mit den Ergebnissen aus Mitarbeiterbefragungen, strategischen Analysen, Kundenbewertungen, etc.
  • Leiten Sie daraus intellektuelle, verhaltensbezogene und prozessbezogene Aktivitäten ab und institutionalisieren Sie eine Kultur der Veränderung.

Für CHROs ergeben sich mit Blick auf eine menschenzentrierte Führung konkrete Aufgaben:

  • Verstehen Sie, wie das Konzept der menschenzentrierten Führung und die damit verbundenen Verhaltensweisen mit Ihrem aktuellen Modell der Führungskompetenzen Ihres Unternehmens übereinstimmt und welche Anpassungen erforderlich sind.
  • Bewerten Sie Ihre eigenen Stärken und Entwicklungsbereiche als menschenzentrierte Führungskraft und identifizieren Sie Möglichkeiten, um Authentizität, Empathie und Anpassungsfähigkeit gegenüber den Mitarbeitenden zu zeigen.
  • Passen Sie die Programme zur kompetenzbasierten Organisation und zur Entwicklung von Führungskräften, um menschenbezogene Qualitäten zu entwickeln, unter Beibehaltung des Fokus´ auf die geschäftlichen Anforderungen an und aktualisieren Sie Nachfolgeregelungen.

Unternehmen, die eine menschenzentrierte Unternehmenskultur aufbauen, haben die Chance, Mitarbeitende auf eine Art und Weise anzuziehen, die in der Vergangenheit vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Hierfür sollten Arbeitgeber auch ihre Employer-Branding-Botschaften verfeinern.