Zusammenfassung: Das Geschäftsmodell Berufsbildung verfolgt das Ziel einer höheren Professionalisierung – einhergehend mit (1) ganzheitliche und nach Zielgruppen segmentierte Betrachtung, (2) Identifikation innovativer Lösungsansätze, und (3) Ausrichtung an Kosten-Nutzen-Überlegungen.

 

Schlagwörter: Geschäftsmodell, Business Model, Berufsbildung, Berufsausbildung, demografische Entwicklung, Akademisierung, Ausbildungsreife, Teilzeit, Outsourcing, Social Media, ROI, Kennzahlen, KPI, Talent Sourcing, Canvas, Talent Strategy, Schülerbefragung, Employer Value Proposition, Rendite der Berufsbildung, Wertschöpfung, Ertragsmodell

Nach Abschluss der diesjährigen Schüler- und Unternehmensbefragungen zu Employer Branding und Recruiting, inmitten der Fachtagungen zum Thema „Talent Relationship Management“ und mit Blick auf das neue Buch zur Berufsbildung, das ich gerade mit einigen Co-Autoren aus der DACH-Region schreibe, reift in mir die Überzeugung: Wir benötigen ein neues Geschäftsmodell für die Berufsbildung.

Die Gründe für diese Überzeugung möchte ich anhand folgender Leitfragen deutlich machen:

  • Wo stehen wir im Thema Berufsbildung? Was ist die Faktenlage?
  • Welche Fragen sollten sich Verantwortliche in der Berufsbildung vor diesem Hintergrund stellen, um den Handlungsrahmen abzustecken?
  • Welche Zielgruppensegmente sind relevant? Was zeichnet diese aus?
  • Aus welchen Bausteinen setzt sich das Geschäftsmodell Berufsbildung zusammen?
  • Welche Massnahmen werden in Lehrbetrieben auf Basis dieses Geschäftsmodells bereits initiiert bzw. ausgebaut?

 

Wo stehen wir im Thema Berufsbildung? Was ist die Faktenlage?

Im Wesentlichen sind hier drei Dinge zu nennen:

  • Akademisierung: Vor allem in Deutschland ist dieser Trend, der europaweit debattiert wird, sehr ausgeprägt. Bereits 2009 haben 45 % des Jahrgangs eine Studienberechtigung erworben. Hier nur zwei Zeitungsbeiträge aus den letzten Monaten:

    Bemerkenswert scheint mir zu sein: Den wahrhaft Kreativen und Hochbegabten schadet ein Studium. Ich denke dabei an Mark Zuckerberg (Facebook), Bill Gates (Microsoft) und Peter Thiel (Paypal). Was meinen Sie?

  • Ausbildungsreife: Bewerber für Ausbildungsplätze bringen häufig nicht mehr ausreichende Voraussetzungen für den direkten Einstieg in eine Ausbildung mit. Zunehmend fehlen grundlegende Kompetenzen in den Bereichen Mathematik, Physik und Deutsch. Dies zeigt sich u.a. deutlich an den erzielten Ergebnissen der Bewerber in den Einstellungstests. Zusätzlich mangelt es immer häufiger auch an sozialen Kompetenzen. Die sogenannte „No-Show-Quote“ bei Vorstellungsgesprächen steigt seit Jahren kontinuierlich an.

 

Welche Fragen sollten sich Bildungsverantwortliche vor diesem Hintergrund stellen, um den Handlungsrahmen abzustecken?

  • Wie stellt sich die Altersstruktur im Unternehmen dar?
  • Gibt es Aussagen aus der Unternehmens- und/oder Personalplanung hinsichtlich künftiger Bedarfe und Kompetenzen?
  • Wie können HR/Berufsbildung, Marketing, Kommunikation/PR, Finanzen u.a. an einer klaren Positionierung als Arbeitgeber (Employer Value Proposition) zusammen arbeiten?
  • Über welche Kanäle erreichen wir unsere Zielgruppen? Wie „ticken“ diese?
  • Welche Budgets sind notwendig – insgesamt, pro Bewerbung, pro Einstellung?
  • Welche aussergewöhnlichen bzw. innovativen Massnahmen sollten wir umsetzen, um mehr geeignete BewerberInnen zu erreichen?

 

Welche Zielgruppensegmente sind relevant? Was zeichnet diese aus?

Dies ist die Kernfrage bevor mit der Geschäftsmodellierung und der Strategieentwicklung richtig begonnen werden kann. Unsere Schülerbefragungen geben hierzu Antworten. Aus der Fülle wichtiger Erkenntnisse hebe ich drei hervor

  • Verständnis über Grundmotive und Werte der Jugendlichen ist der wesentliche Erfolgsfaktor für das Gelingen des gesamten Sourcingprozesses.
  • Zur Berufsorientierung sind neben der Eigenrecherche im Internet vor allem Schnupperlehren und Berufsorientierungspraktika sehr gefragt. In der Schweiz dominiert hierbei der kaufmännisch/wirtschaftswissen­schaftliche Bereich deutlich. In Deutschland liegen die technisch-handwerklichen Berufe auf Platz 1.
  • Wie bereits in den Vorjahren nutzen Jugendliche Social Media im Allgemeinen und Facebook als Social Network im Speziellen anders, als es viele Beobachter meinen und herbeireden. Für Ausbildungsinformationen spielen Facebookseiten eine sehr untergeordnete Rolle.

 

Aus welchen Bausteinen setzt sich das Geschäftsmodell Berufsbildung zusammen?

Die o.g. Rahmenbedingungen, Einflussfaktoren und Analysen sind Ausgangspunkt für ein neues „Geschäftsmodell Berufsbildung“. Dieses Geschäftsmodell ist allgemein eine modellhafte Beschreibung eines Geschäftes; d.h. es zeigt die logischen Zusammenhänge der Geschäftstätigkeit – hier: der Berufsbildung – eines Unternehmens auf. Es besteht aus drei Hauptkomponenten:

  • Employer Value Proposition (WAS): Welchen Nutzen stiftet das Unternehmen als Arbeitgeber seinen künftigen Auszubildenden, die an der Wertschöpfung beteiligt sind?
  • Architektur der Wertschöpfung (WIE): Wie erbringt das Unternehmen als Lehrbetrieb diesen Nutzen? Wesentliche Bausteine sind: Beziehungsaufbau, Inhalte und wesentliche Informationen, Kanäle, Kernaktivitäten, Ressourcen und Geschäftspartner.
  • Ertragsmodell (WODURCH): Wie verdient das Unternehmen Geld und hat Kosten-Nutzen-Überlegungen bei der Berufsbildung im Blick?

Als übersichtliches Werkzeug zum Aufbau dieses Geschäftsmodells eignet sich die sog. Talent Sourcing Canvas (kurz: TSC). Diese

  • unterstreicht die zentrale Bedeutung der EVP,
  • trägt zu einer nüchternen Einschätzung der Social Media bei, indem aufgezeigt wird, in welchem Kontext welche Social Media überhaupt Sinn machen, und
  • unterstützt bei der Generierung neuer Ideen. Sie ist damit auch eine Verbindung zur Ausbildungsstrategie.

Ausführlichere Informationen zur TSC finden Sie im Blogbeitrag „Die Talent Sourcing Canvas“ sowie in unserer Studie „SINN-volles Recruiting 2.0 – Strategie statt Likes! In Kapitel 4.1: Auswirkungen auf Lehrbetriebe.

 

Welche Massnahmen werden in Lehrbetrieben auf Basis dieses Geschäftsmodells bereits initiiert bzw. ausgebaut?

Ich möchte vier Massnahmen hervorheben:

  • Der Paradigmenwechsel hin zu einem pro-aktiven Vorgehen durch Active Sourcing und weitere Massnahmen bringt wohl am besten zum Ausdruck, welcher Stil künftig tonangebend sein muss. Lehrbetriebe sollten dabei (noch) mehr auf die kulturelle Passung – Bestandteil der Employer Brand – ihrer Bewerber achten.
  • Die Internationalisierung in der Berufsbildung wird zunehmen. So bietet beispielsweise die BASF SE in Kooperation mit der BASF Espanola, der Berufsschule Institut Comte de Rius in Tarragona und dem „Generalitat de Catalunya“ (Ministerium für Bildung) spanischen Jugendlichen eine Berufsausbildung an, die mit der Ausbildung zum Chemikanten in Deutschland vergleichbar ist.Die Daimler AG führt Auszubildendenaustauschprogramme u.a. mit Auszubildenden in Sri Lanka durch. Näheres erfahren Sie in meinem Buch „Ausbildung – Verantwortung & Chance“.Der Verein lobby.16 setzt sich für das Recht unbegleiteter junger Flüchtlinge auf Bildung und Ausbildung ein. lobby.16 konzipierte u.a. einen Rahmen für seine ausbildungsbezogene Arbeit – das Projekt Bildungswege. In diesem Projekt wurden 2011 erstmals 15 junge Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt vor dem Start in die Lehre in den Schlüsselfächern Deutsch, Mathematik und Englisch nachqualifiziert. Der Verein arbeitet mit mehreren Kooperationspartnern zusammen – darunter mit T-Mobile Austria.
  • „Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen“ ist eine von Benjamin Franklin getroffene Aussage, die nach wie vor gültig ist. Kosten-Nutzen-Betrachtungen sind für Unternehmen Indikatoren, anhand derer sie sich für oder gegen die Durchführung der Berufsbildung entscheiden. Hierbei sind nicht mehr nur die reinen Ausbildungskosten des Ausbilders sowie die Ausbildungsvergütung (inkl. der Sozialversicherungskosten) für den jeweiligen Auszubildenden zu sehen, sondern vielmehr die gesamten Kosten, von der Akquise bis zur Abschlussprüfung. So bietet beispielsweise die ABB Training Center GmbH eine Verbundausbildung an, auf die in meinem neuen Buch im Detail eingegangen werden wird. Ausserdem berichtet darin die SBB über die Umsetzung der SBB-Steuerungsvorgaben durch den Ausbildungspartner login Berufsbildung AG – den Ausbildungsverbund des öffentlichen Verkehrs der Schweiz (Prozess-Outsourcing).
  • Verstärkt werden neue Bewerbergruppen erschlossen. Zu diesen neuen Bewerbergruppen gehören zum Beispiel Studienabbrecher. Aber auch junge Menschen mit familienbedingten Verpflichtungen können hierunter fallen. Unternehmen, die jungen Eltern eine Chance auf eine Teilzeitausbildung geben – zu diesem Ergebnis kommt beispielsweise die DIHK -, sind meist begeistert von der Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft der Auszubildenden. Die meisten Teilzeit-Auszubildenden erkennen die Chance, die ihnen geboten wird und wollen diese auch nutzen. Motivation und Leistungsbereitschaft sind in der Regel überdurchschnittlich vorhanden. Auch die Fehlzeiten sind in der Regel nicht höher als bei Vollzeitauszubildenden.

 

In der nachfolgenden Präsentation habe ich die wesentlichen Aussagen dieses Blogbeitrages entlang der eingangs aufgeführten Leitfragen für Sie zusammengefasst.

Bitte akzeptieren Sie statistik, Marketing Cookies, um diesen Inhalt sehen zu können.

 

Fazit

In diesem Blogbeitrag habe ich anhand konkreter Beispiele dargelegt, warum ein neues Geschäftsmodell für die Berufsbildung notwendig ist und auf welche Weise es aufgebaut und umgesetzt werden kann. Mir ist bewusst, dass zahlreiche Unternehmen nach einem solchen Modell und dem Weg dorthin suchen. In Verbindung mit strategischen Analysen und relevanten Kennzahlen resp. Benchmarks kann man die Handlungsfelder sehr schnell eingrenzen und effektiv daran arbeiten.

Aufgrund des Umfanges konnte ich nicht vollumfänglich auf alle Facetten eingehen. So blieben z.B. Ausführungen zu Active Sourcing und detaillierte Standpunkte zum Social Media in diesem Beitrag aussen vor. Jedoch bin ich an anderer Stelle in diesem Blog oder im Rahmen diverser Fachvorträge bereits auf diese Themen eingegangen.

Die neue Schülerstudie 2014 – bezogen auf die DACH-Region – können Sie hier gegen eine Schutzgebühr in Höhe von CHF 210,00 bzw. EUR 170,00 verbindlich bestellen. Hinweise zu unseren jährlichen  Fachtagungen, in denen ich diese o.g. Themen vorstelle, wissenschaftlich unterlege und im Erfahrungstausch mit unseren Kunden diskutiere finden Sie hier.

Mein BuchAusbildung – Verantwortung & Chance“ ist seit kurzem in der Neuauflage vorrätig und kann bei tredition bestellt werden. Über das neue Buch, das ich gerade mit etlichen Co-Autoren zum Thema Berufsbildung schreibe, unterrichte ich Sie gerne sowohl auf diesem Blog als auch auf der STRIM Website.

Hier finden Sie noch weitere Informationen resp. Beiträge zum Thema:

Was meinen Sie dazu? Wie stehen Sie zu folgenden Leitfragen:

  • Wie beurteilen Sie die skizzierte Faktenlage beim Blick in Ihr Unternehmen?
  • Wie detailliert haben Sie die Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler segmentiert?
  • Welche Rolle spielen dabei Grundmotive und Werte?
  • Wie spiegeln sich diese im Talent Sourcing Process wider?
  • Was sind Ihrer Meinung nach die drei wesentlichen Herausforderungen in den nächsten Jahren?
  • Bitte geben Sie – wenn Sie mögen – im Kommentar kurz Auskunft zur Unternehmensgrösse!