Wenn Personalvorstände über die Zukunft der Arbeit schreiben, von Digitalisierung und Zeitenwende sprechen, und das Ganze in 38 Seiten pressen, dann hält man schon einmal kurz inne und liest die dort zusammengetragenen Erkenntnisse quer. Vor einigen Tagen hat nun auch Prof. Dr. Scholz dazu Stellung bezogen. Beziehen Sie Position zu den zehn zentralen Aussagen des Papiers!

STRIM-HR

Was sind die zehn zentralen Aussagen der Damen und Herren Personalvorstände?
Was ist die Meinung von Herrn Scholz dazu?

  • Unternehmen werden ihr Geschäft in Zukunft von Beginn an von Kundenseite aus und unter Berücksichtigung der digitalen Möglichkeiten denken müssen.
    Das ganze Positionspapier doziert vom kritischen Eltern-Ich herab zum hilflosen Kind-Ich. Und wir Kinder scheinen genau diese Führung zu wollen, obwohl wir merken, dass der Prediger auf der Kanzel selbst wenig von seinen Forderungen umgesetzt hat.
  • Besonders radikal werden sich Geschäftsmodelle verändern. Diese Veränderung bildet den Kern des Transformationsprozesses, von dem aus alles andere gedacht werden muss. In den aktuellen Diskussionen um „Industrie 4.0“ geht dieser Aspekt häufig unter.
    Wir brauchen eine ergebnisoffene Diskussion im Erwachsenen-Ich, in der nicht länger jeder, der nicht applaudiert, als Ewig-Gestriger ausgegrenzt und zum Technologie-Ignoranten abgestempelt wird.
  • Die These von der zukünftigen Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt ist aus heutiger Sicht nicht von der Hand zu weisen. Danach werden vor allem Arbeitsplätze mit mittlerem Qualifikationsniveau, die von Routineprozessen geprägt sind, automatisiert werden, weniger dagegen Arbeitsplätze im Hochlohnsektor der Wissensarbeit und einfache manuelle Tätigkeiten im Niedriglohnsektor. Der Mittelbau der Belegschaften wird sich stark verändern.
    Digitalisierung ist nach Ansicht der Autoren eine gegebene Konstante und digitale Transformation ein Determinismus. Die HR-Vorstände folgen damit dem metaphysischen Materialismus, der Menschen in begrenzten Handlungsräumen gefangen hält.
  • In jedem Fall steigt die Bedeutung des lebenslangen Lernens; gerade Akademikerinnen und Akademiker müssen dies noch viel stärker verinnerlichen.
    Ein Fehler dieses Positionspapiers: Menschen sind allenfalls Objekte, die nicht schnell und effizient genug lernen, vor allem aber nicht begreifen, wie sie arbeiten sollen: „Arbeit wird wieder (wie in der Zeit vor der Industrialisierung) stärker ins Private übergreifen.“ Nur: Brauchen wir das? Ist das wirklich sinnvoll? (…) Letztlich macht der menschliche Faktor den Unterschied aus. Innovation und Spass entstehen nicht primär durch Digitalisierung, sondern zum Glück noch immer oft trotz Digitalisierung.
  • Digitale Plattformen ermöglichen zunehmend auch die Übertragung kleiner Teilaufgaben einer Unternehmenseinheit an externe Partner (Outtasking) – bis hin zum sogenannten Microtasking.
    Wer soll das Ganze integrieren? Auch wieder irgendwie die Digitalisierung?
  • In vielerlei Bereichen, wie z.B. MINT, Musterkennung, Zusammenarbeit, müssen die Schulen Jugendliche stärker unterstützen. Es mangelt bislang auch an einer intensiveren Beschäftigung mit der eigenen Person (Selbstreflexion, Selbstmanagement). Hochschulen müssten in der Ausbildung mehr Zeit dafür aufwenden, junge Erwachsene systematischer zu Führungsthemen zu schulen.
    Die Frage ist: Sind diese Forderungen sinnvoll und zukunftsweisend? Wie wenig Unternehmen ihren quantitativen und qualitativen Personalbedarf projektiv bestimmen können, haben wir in den letzten Jahren gesehen. Und wie wenig sie von Bildungseinrichtungen verstehen, haben die inzwischen klammheimlich reduzierten Corporate Universities unfreiwillig bewiesen.
  • Es fehlen Fachleute mit Hybridkompetenzen und relevanten Erfahrungen in extrem dynamischen Unternehmensumfeldern, die Grossunternehmen bei der digitalen Transformation helfen könnten. Zu den Schlüsselkompetenzen, die auch in Zukunft wichtig bleiben, gehören beispielsweise Urteilsfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Projektmanagement, soziale Interaktion/Kollaborationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit.
    Die Autoren dieses Positionspapiers sollten sich bei ihren konkreten (aber teilweise unsinnigen) Forderungen an das Bildungssystem drastisch zurücknehmen.
  • Ein absehbarer Mangel an Top-IT-Fachkräften sowie an kreativen Zerstörerinnen und Zerstörern, die Geschäftsmodellinnovationen treiben können, könnte zum Flaschenhals der digitalen Transformation werden.
    Natürlich ist Agilität nötig: In diesem Positionspapier aber wird Agilität mit radikaler Zerstückelung gleichgesetzt. Und das ist aus systemtheoretischer Sicht einfach falsch.
  • Die sogenannte Generation Y und die Millennials haben hohe Ansprüche an ihre Arbeitgeber (beispielsweise hinsichtlich des Sense of Purpose des Unternehmens, der Work-Life-Balance etc.). Die Leistungsbereitschaft ist dagegen im Schnitt geringer ausgeprägt als noch in den 1980er Jahren – vor allem aber auch geringer als die der jungen Generation in China und Indien.
    Zum einen dürfte das Durchschnittsalter der Autoren deutlich über 50 Jahre liegen, zum anderen wird überhaupt nicht berücksichtigt, was „die Jungen“ wirklich wollen und ob sie bereit sind, in dieses technikgetriebene Hamsterrad einzusteigen. Warum sollten sie auch? Das Szenario, das in diesem Positionspapier geschildert wird, macht wenig Lust auf die Zukunft. Sie gleicht einem Tsunami, auf den wir uns notgedrungen einstellen müssen und nach dessen Eintreten wir allenfalls noch mithilfe von Design Thinking Notunterkünfte gestalten dürfen.
  • Im Zuge der Digitalisierung werden Formen autonomer Arbeit zunehmen, beispielsweise Freelancer auf Crowd-Sourcing-Plattformen. In diesen neuen Arbeitsformen brauchen die Beschäftigten Freiräume, um sich zu entfalten.
    Flexibilisierung bezieht sich in diesem Papier fast ausschliesslich auf Mitarbeiter: Sie müssen arbeiten, wenn Arbeit anfällt. (…) Die Flexibilitätsgewinne der Unternehmen werden also durch die Mitarbeiter erwirtschaftet und zur Steigerung ihrer Lebensqualität an das obere Management sowie die Anteilseigner verteilt. Gleichzeitig verabschiedet man sich von Planungsaufgaben: Denn warum sollte man eine systematische Personaleinsatzplanung erstellen, wenn man auf eine flexible Personaldisposition setzen kann? (…) Gerade in unsicheren Zeiten wünschen sich viele Mitarbeiter Planungssicherheit, feste Jobs und ein geregeltes Einkommen. Und warum sollte sich ein Mitarbeiter an ein Unternehmen binden, wenn Unternehmen sich selber nicht binden wollen?

Zum Ende seines Beitrages schreibt Prof. Scholz: Falls dieses „Positionspapier“ tatsächlich ein Stimmungsbild der deutschen Personalvorstände ist, dann haben wir ein Deutschland bestehend aus Unternehmen mit depressiven Versagern, aus „erstickenden Strukturen“, aus unfähigen Bildungseinrichtungen, aus einem durch das „alltägliche Klein-Klein“ dominierten HR-Bereich, aus Mitarbeitern ohne Verständnis für Technik und aus jungen Menschen, die ausschliesslich bei Google arbeiten wollen.

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