Wohl kaum ein Thema ist derzeit so wichtig und dringlich sowie von so vielen Interessens- und Bezugsgruppen abhängig wie das Thema Berufsausbildung. Ich wähle zum Einstieg bewusst einen Mitschnitt – zwischenzeitlich leider gelöscht! – aus dem blicksta-Pressefrühstück zur Berufsorientierung, das am 24. Juni 2014 in der Berliner Humboldt-Box stattfand.

Neben der Tatsache, dass blicksta unsere jährlichen Schülerbefragungen unterstützt und in Person von Herrn Hesse unsere Fachtagung im Juni 2015 im Hotel Schloss Edesheim bereichern wird, sind es v.a. ausgewählte Leitfragen zur Berufsorientierung, die sich aus diesem Pressefrühstück ableiten:

  • Warum ist die Orientierungslosigkeit so massiv verbreitet?
  • Welche Rolle spielen Schulen und Ausbildungsbetriebe?
  • Wie setzen Sie in Ihrem Betrieb diese Erkenntnisse um?

Berufsorientierung von Schülern

Eine Befragung unter Schülern (528 Interviews) und Eltern (483 Interviews), die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland durchgeführt hat, zeigt große Informationsdefizite in der Berufsorientierung von Schülern in Deutschland. Die Studie „Schule, und dann?“ Berufsorientierung von Schülern wurde am 25. November 2014 in Berlin vorgestellt.

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https://www.youtube.com/watch?v=63XM_PKm0Yk

Hier die wichtigsten Ergebnisse:

  • Zukunftsziele: Das Leben zu genießen und Freunde zu haben ist für Jungen bei ihren Zukunftszielen wichtiger. Mädchen legen darüber hinaus besonders viel Wert auf eine gute Partnerschaft, später einmal Kinder zu haben, viel zu reisen und vor allem auch anderen Menschen zu helfen.
  • Unsicherheit: Nur knapp ein Drittel der Schüler hat eine konkrete Vorstellung zu ihrer beruflichen Zukunft, während 20 % noch gar keine Vorstellung haben.
  • Traditionelle Rollenmuster: Die beruflichen Pläne von Jungen und Mädchen unterscheiden sich erheblich und entsprechen weitgehend tradierten Rollenmustern. (…) Nur eine verschwindend geringe Anzahl von Schülern interessiert sich für einen Beruf in der Zukunftsbranche Computer/ IT.
  • Informationsdefizite: Mehr als ein Drittel (35 %) der Schüler beklagt ausdrücklich Informationsdefizite bezüglich ihrer beruflichen Möglichkeiten. Von diesen fehlen 54 % der Schüler an Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe ganz grundlegende Informationen dazu, welche Ausbildungswege es überhaupt gibt. 40 % fühlen sich zu Bewerbungsabläufen nicht ausreichend informiert. Aber auch 62 % der Gymnasiasten geben an, zu wenig über bestimmte Studiengänge zu wissen. Auch im oben zitierten Pressefrühstück wurde angemerkt: Im Gymnasium ist die Berufsorientierung unterbelichtet; sie muss integraler Bestandteil des Lehrplans werden!
  • Authentische und praxisnahe Informationen: V.a. Praktika und die Gespräche mit Berufstätigen aus dem angestrebten Berufsfeld werden als besonders hilfreich bewertet. Langfristige Beziehungen, Praktika und Dialog – das war auch ein Ergebnis des blicksta-Pressefrühstücks – sind der „Schlüssel zum Glück“.
  • Rolle der Eltern: Knapp zwei Drittel der Eltern empfinden es als selbstverständlich, sich bei der Berufsorientierung ihrer Kinder einzubringen. (…) Wie wichtig die elterliche Unterstützung ist, zeigt sich daran, dass sich diejenigen Schüler, die von ihren Eltern intensiv unterstützt werden, besser über Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten informiert fühlen, ihnen die Berufswahl leichter fällt und sie häufiger konkrete Vorstellungen darüber haben, was sie beruflich machen möchten.
  • Professionelle Unterstützung: Von den Schülern, die sich mehr Unterstützung bei der Ausbildungs- und Berufswahl wünschen, fordern 81 % diese Hilfe von der Schule und ihren Lehrern. 35 % sehen die Ausbildungsbetriebe in der Pflicht.

Rolle der Schulen und der Ausbildungsbetriebe

Ansätze unter Einbindung von Schulen, die Mut machen, stammen beispielsweise aus dem dt. Bundesland Baden-Württemberg:

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https://www.youtube.com/watch?v=qGxQcs5FoLU

Insgesamt ist die Situation an Schulen jedoch noch recht verworren. Das ist mein ganz persönlicher Eindruck, den ich auch beim 2. Nationalen MINT-Lehrer-Kongress, der am 3.-4. Dezember 2014 in Berlin stattfand, gewonnen habe (zugehöriger Blogbeitrag). Es ist ärgerlich, wenn immer neue Studien und Tests (PISA, Bundesländer-Leistungsvergleich, VERA-Vergleichsarbeiten, TIMSS, PIRLS, etc.) in Auftrag gegeben werden und viel zu selten Ursachenforschung betrieben wird.

Die Ergebnisse der DIHK-Online-Unternehmensbefragung 2014 – 12.962 Unternehmen haben daran teilgenommen – zeichnen für Ausbildungsbetriebe folgendes Bild:

  • Fachkräftesicherung und gesellschaftliches Engagement: 96 % der IHK-Unternehmen in Deutschland bilden aus, weil sie durch die eigene Ausbildung Fachkräftenachwuchs sichern wollen. Für mehr als die Hälfte der Ausbildungsbetriebe heißt Ausbilden, sich gesellschaftlich zu engagieren.
  • 80.000 Ausbildungschancen ungenutzt: Die Schwierigkeiten, offene Ausbildungsstellen an geeignete Bewerber zu vergeben, haben weiter zugenommen und wirken sich zunehmend auf Großbetriebe aus.
  • Unternehmen erschließen neue Bewerbergruppen: Für Studienabbrecher oder junge Leute, die eine Ausbildung nur in Teilzeit durchführen können, eröffnen sich dadurch sehr gute Ausbildungschancen. Hierauf wird Frau Dr. Hartwich, eine der Co-Autorinnen in meinem neuen Buch, in einem interessanten Beitrag eingehen.
  • Verstärktes Azubi-Marketing und finanzielle Anreize: 60 % der Betriebe setzen auf das Internet. Social Media-Aktivitäten nehmen deutlich zu. Manche Betriebe bieten sogar „Goodies für Azubis“ wie etwa ein Smartphone oder einen Dienstwagen.
  • Ausbildungsreife ist weiterhin Ausbildungshemmnis Nr. 1: Es mangelt sowohl bei den Deutsch- und Mathematikkompetenzen als auch bei den Softskills. Auch die Berufsorientierung wird von vielen Betrieben kritisiert. Um dies auszugleichen, engagieren sich viele Unternehmen und bilden die Jugendlichen mit zusätzlichem Aufwand aus. Beiträge in meinem neuen Buch, z.B. von Herrn D´Alessio, Fraport AG, unterstreichen dies eindrucksvoll.

Ursachen und Wirkungen im eigenen Betrieb

Diese obigen Ausführungen belegen, wie wichtig und dringlich das Thema Berufsausbildung ist und welche zentrale Rolle das Zusammenspiel der Interessens- und Bezugsgruppen einnimmt. Wesentliche Fragen sind nun:

  • Wie können Sie das oben skizzierte Wissen für Ihren Betrieb nutzen?
  • Wie bringen Sie unternehmensexterne Umstände und unternehmensinterne Veränderungen in einem „Bild“ zusammen?
  • Wie setzen Sie die richtigen Schwerpunkte?

Zur ersten Frage bieten wir jährlich Schülerbefragungen in der DACH-Region an. Diese laufen gerade noch bis 27. März 2015. Damit können Sie als Sponsor eine aussagekräftige Zielgruppenanalyse durchführen und diese als Startpunkt einer Geschäftsmodellierung nutzen. Hierauf bin ich ausführlich in meinen Blogbeiträgen

eingegangen. Daneben können Sie jederzeit in eine sog. Unternehmensbefragung für Lehrbetriebe einsteigen. Vorzugsweise starten Sie damit zwischen März und Mai 2015, um die Ergebnisse rechtzeitig vorab der Fachtagung – Alternativen:

– vorliegen zu haben und mit Ihrer o.g. Zielgruppenanalyse zu verbinden. Dieses evidenz-basierte Vorgehen mit Bezug auf die Berufsausbildung ist einzigartig und bewährt sich bereits seit dem Jahr 2008.

Zur zweiten Frage verweise ich Sie auf meinen Vortrag, den ich am 25. November 2014 beim 4. Ausbilder-Seminar der IHK Rhein-Neckar gehalten habe. Ihr besonderes Augenmerk möchte ich hierbei auf die Aussagen zur bedarfsorientierten Planung, zur Geschäftsmodellierung & Ökonomisierung sowie zum Ausbildungscontrolling & innovativen Optionen legen.

Die dritte Frage stellen wir uns mit Ihnen gemeinsam gegen Ende der o.g. Fachtagungen. Hier legen Sie fest, worauf Sie in den nächsten Monaten auf Basis der Befragungsergebnisse – bezogen auf Ihren Betrieb – den Schwerpunkt legen werden, warum Sie dies tun werden und mit welcher Ergebniserwartung Sie dies tun werden (vgl. Reifegrade in der Umsetzung identifizierter Maßnahmen). Wenn Sie mögen, dann können Sie diese Annahmen im Rahmen der 2016-er Befragungen überprüfen und so einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in einem immer anspruchsvoller werdenden Thema Berufsausbildung initiieren. Hierzu abschließend noch einige Zahlen & Fakten der DGFP und der HR Alliance (Stand Januar 2015):

  • Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge 2014 erneut gesunken. insgesamt 522.200 Verträge abgeschlossen (7.300 Verträge weniger als im Vorjahr  = 1,4 %)
  • 37.100 gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen blieben 2014 unbesetzt (rund 3.400 mehr als im Vorjahr = 10 %)
  • Nicht nur Zahl der unbesetzen Ausbildungsplätze steigt, sondern auch Zahl der unversorgten Bewerber (Sept. 2012: 15.600; Sept. 2013: 21.000; Sept. 2014: 20.900)
  • Ursache für die nochmals gesunkene Zahl der Ausbildungsverträge ist der starke Rückgang der Zahl der nichtstudienberechtigten Abgänger und Absolventen aus allgemeinbildenden Schulen, die drei Viertel aller Auszubildenden stellen (von 714.800 im Jahr 2004 auf 551.300 im Jahr 2014)
  • Entwicklung ist nur zum Teil auf den Trend zur schulischen Höherqualifizierung und damit zum Abitur zurückzuführen: Entscheidend ist die sinkende Zahl von Jugendlichen als Folge der demografischen Entwicklung. Betriebe finden deshalb für eine steigende Zahl ihrer Ausbildungsplatzangebote keine Auszubildenden mehr. In den kommenden zehn Jahren wird die Zahl der Schulabgänger mit maximal mittlerem Schulabschluss um weitere 101.700 auf dann nur noch 449.600 zurückgehen.
  • 2013 verließen 5,7 % der Jugendlichen allgemeinbildende Schulen ohne irgendeinen Abschluss.
  • 2013 hatten 1,4 Millionen im Alter von 20 bis 29 Jahren weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch waren sie dabei, eine solche zu erwerben. Das entspricht einem Anteil von 13,8 % in dieser Altersgruppe.
  • Ungenutzte Potenziale für eine duale Berufsausbildung: rund 81.200 registrierte Bewerber (BA) waren zum Stichtag 30. September 2014 weiter auf Ausbildungsplatzsuche (darunter 20.900 unversorgte Bewerber ohne Alternative und 60.300 Bewerber mit einer Überbrückungs- oder Ausbildungsalternative, zum Beispiel erneuter Schulbesuch, Praktikum, berufsvorbereitende Maßnahme, Jobben oder Hochschulbesuch)
  • Übernahmequote von Azubis 2013 auf Höchststand seit 1996: Zwei Drittel der Auszubildungsabsolventen (67 %) wurden übernommen.

Was ist Ihre Meinung?

  • Was tun Sie bzw. Ihr Lehrbetrieb gegen die massive Orientierungslosigkeit Jugendlicher?
  • Welche Erfahrungen machen Sie mit den für Sie relevanten Interessens- und Bezugsgruppen?
  • Wie stellen Sie in Ihrem Betrieb die Umsetzungskompetenz sicher? Wie messen Sie diese?

Ich freue mich auf Ihre Kommentare und Anregungen zum Thema sowie auf einen regen Dialog!

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