Die Herausforderung, offene Ausbildungsplätze zu besetzen, nimmt selbst für bekannte Grossunternehmen zu. Einige Betriebe beginnen bereits im Kindergarten und in der Grundschule, das Interesse an MINT zu wecken. Viele Betriebe weiten ihre Unterstützungsangebote für leistungsschwächere Jugendliche aus und stellen sich auf höhere Kosten pro Einstellung ein.

Noch dramatischer als das mangelhafte, mündliche und schriftliche Ausdrucksvermögen und elementare Rechenfertigkeiten scheint die ungenügende Berufsorientierung zu sein. Insbesondere bei den technisch-gewerblichen Berufen sind zahlreiche Recruiter und Ausbildungsverantwortliche zunehmend ratlos und bemängeln zu wenig geeignete Bewerbungen sowie die mangelnde Bekanntheit als Arbeitgeber für bestimmte Berufe.

Was also tun? Ist der „Kampf“ um junge, engagierte Berufseinsteiger schon verloren? Müssen wir uns zunehmend damit abfinden, auf Studienabbrecher zu hoffen und Ausbildung als „betreutes Wohnen“ umzugestalten?

In den diesjährigen Fachtagungen und Gesprächen mit Recruitern, Marketingfachleuten und Ausbildern haben wir Herausforderungen und Strategien bei der Ansprache und Gewinnung von Berufseinsteigern diskutiert. Nachfolgend werde ich wesentliche Erkenntnisse kurz zusammenfassen und lade Sie herzlich ein, sich hier im Blog in die Diskussion mit einzubringen.

Ausbildungsstrategie und Ausbildungsplanung

Das Talent Sourcing Canvas bildet die Grundlage, um die Logik der Wertschöpfung in der Berufsausbildung zu beschreiben.

Die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen hat eine Ausbildungsstrategie. Diese Strategie wird v.a. aus der Personalstrategie abgeleitet und versteht Ausbildung auch als gesellschaftliche Verantwortung.

Die Operationalisierung der Strategie in Massnahmen und Messgrössen ist bei rund 23 Prozent der Ausbildungsbetriebe bereits umgesetzt bzw. in Umsetzung. Viele Recruiter und Ausbilder tun sich mit dem Strategie-Mapping noch schwer.

Insgesamt ist der Übergang von taktischer zu strategischer Talentansprache und -gewinnung jedoch noch deutlich ausbaufähig. Als hilfreich hat sich der STRIM-Leitfaden mit 15 Fragen erwiesen.

Der demographische Wandel sowie der Trend zur Akademisierung sind nach wie vor die dringendsten Probleme bei der Gewinnung von Auszubildenden. Statt zu sehr auf Studienabbrecher zu setzen, sollten Massnahmen wie z.B. spielerische Orientierung in Grundschulen, sowie gezielte Berufsorientierung in 10. Klassen der Gymnasien initiiert werden.

Einerseits scheint die Berufsorientierung ungenügend zu sein, andererseits fördern die Betriebe mitunter die Orientierungslosigkeit durch ein „Beturteln“ der Bewerberinnen und Bewerber.

Employer Branding, Ausbildungsmarketing und Active Sourcing

Auf die Frage „Wie wird der Arbeitgeber zur Marke?“ reagieren viele Betriebe nur mit betretenem Schweigen. Fakt ist: Employer Brand braucht Zeit und Hirnarbeit, um zu überzeugen. Werbliche Aussagen helfen nicht weiter, die Entwicklung einer Marke kostet auch Geld.

Dual Studierende, technisch-gewerbliche Azubis, Kaufleute, oder EQ-ler müssen zielgruppen-spezifisch angesprochen werden.

Der Girls Day hat für sich genommen in aller Regel keine positiven Effekte. Diese stellen sich erst durch Folge- bzw. Bindungsmassnahmen im Rahmen des Active Sourcing ein.

Primäres Ziel der Einbindung von Social Media ist es nicht, mehr geeignete Bewerbungen zu generieren. Vielmehr geht es darum, die Zielgruppe abzuholen und mit wenigen Klicks auf relevante Inhalte der Karriere-Website aufmerksam zu machen.

Im Thema Lehrerpraktika machen die Betriebe unterschiedlich gute Erfahrungen. Diese reichen von „kein Interesse“ bis hin zu „die Lehrer begleiten unsere Mitarbeiter 1-2 Wochen pro Jahr“. Manche Betriebe organisieren solche Aktivitäten bzw. Praktika in einer Stiftung.

Der Content muss für die Zielgruppe einen Mehrwert liefern wie z.B. Tipps und Tricks zum Vorstellungsgespräch, oder angemessene Kleidung für das Gespräch.

Zielgruppe Berufseinsteiger

Aktuelle Studien – darunter die STRIM Berufsbildungsstudie , der Azubi Report 2017, sowie die Recruiting Trends 2017 – kommen zum Ergebnis, dass die Zielgruppe der Gen Z nicht so grundlegend anders ist im Vergleich mit Vorgängergenerationen, wie das mitunter dargestellt wird.

Einzig die Einstellung zur Work-Life-Balance weist im Vergleich eine statistische Signifikanz auf.

Die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt führt zu dieser Anspruchshaltung und einem Spagat zu künftig notwendigen Kernkompetenzen, wie z.B. dem selbstinitiierten, lebenslangen Lernen.

Bei den Stellenanzeigen gibt es Handlungsbedarf dahingehend, dass diese mit Anforderungen überfüllt sind, wobei offensichtlich nicht alle davon schlussendlich notwendig sind.

Um Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen sind neben dem Sprachproblem v.a. kulturelle Herausforderungen zu lösen. Mitunter gelingt es bereits, Flüchtlinge nach einem tariflichen Förderjahr in eine zweijährige Ausbildung zu übernehmen. Dreijährige Ausbildungen sind bisher die Ausnahme.

Praktika und Probearbeiten sind für Jugendliche im Rahmen der Berufsorientierung sehr wichtig, um sich auszuprobieren. Ausbildungsbetriebe sind häufig noch zu zögerlich und verweisen auf zu wenig Ressourcen bzw. auf den Mindestlohn. Ein solches Verhalten ist grob fahrlässig.

Vorselektion und persönliche Selektion

Die Vorselektion ist vielerorts im Umbruch. So werden immer mehr Bewerber zum Onlinetest zugelassen, d.h. umgekehrt immer weniger auf Basis sog. Cut-Off-Kriterien abgelehnt. Zudem nicht die Anzahl an Ausnahmen zu diesen Kriterien deutlich zu; dies v.a. deshalb, weil der Markt immer enger wird.

Kernfragen: Macht man dies zu jedem Preis? Will man einen Ausbildungsplatz offen lassen? Sind Kompromisse bei den Qualifikationen vertretbar?

Eines der Probleme ist: Wir messen nicht, ob das Konsequenzen hat. Erfüllungsquote alleine reicht nicht aus, wichtig ist die Abbrecherquote sowie die Quote an bestehenden Auszubildenden in Verbindung mit der erforderlichen Anzahl an Fachkräften für die Zukunft (Personalplanung).

Bei der Analyse verschiedener Auswahlverfahren schneiden kognitive Leistungstests (Intelligenztests) bzgl. der Validität am Besten ab. Interessant ist v.a. deren Kombination mit einem Integritätstest (20 Prozent höhere Validität!). Telefoninterviews, ACs, und Schulnoten sind vernachlässigbar.

Daneben mahnen die Betriebe eine Vereinfachung der Prozesse an. Zu Beginn des Prozesses reichen persönliche Daten aus. Vollständige Unterlagen sind erst nach Bestehen des Onlinetests notwendig.

Mobile wird b.a.w. nur als erste Kontaktaufnahme fungieren. Mobile Recruiting sollte daher nicht überbewertet werden.

Kennzahlen in der Berufsausbildung

Ausbildungscontrolling ist in fast allen Ausbildungsbetrieben derzeit Thema. Die Werkzeuge wie Leistungskatalog, Kalkulationsmodell, sowie Benchmarks stossen auf grosses Interesse (siehe Seminare 2018!).

In der Umsetzung hapert es: Die Anzahl der insgesamt involvierten VollZeitKräfte, sowie die Vollkosten der Berufsausbildung liegen häufig nicht vor. Daraus abgeleitete Metriken basieren häufig auf Schätzungen, sind nicht belastbar und nicht granular genug.

Ein Kostencontrolling ist sicherlich hilfreich; sollte jedoch durch ein Effektivitätscontrolling und ein Effizienzcontrolling ergänzt werden. Vor allem die Effektivität, der Mehrwert, die Rendite getätigter Ausbildungsinvestitionen liegen nicht vor.

Häufig ist das Ausbildungsbudget nicht gekoppelt an Mengengerüste und lässt sich nicht über die Verteilung entlang Teilprozessen, wie z.B. Marketing und Recruiting, steuern.

Die Bedeutung von Reaktions- und Durchlaufzeiten wird von Betrieben häufig unterschätzt. Insbesondere die „Time-to-Fill“ ist sehr wichtig.

Der Nutzen von Branchen- oder regionaler Benchmarks ist begrenzt. Die Messgrössen sind in Verbindung mit Einflussfaktoren, wie z.B. (de-)zentrale Rekrutierung, Anzahl Berufe und Studiengänge, Anteil Mangelprofile, zu analysieren.

Bindung bis zum Eintritt und Onboarding

Die Bindung bis zum Eintritt wird immer wichtiger, da Azubis häufig mehrere Verträge unterzeichnen und sich bis zum Schluss alle Optionen offen halten. Die räumliche Nähe zum Betrieb ist sehr relevant.

Standen bis vor wenigen Jahren als Gründe noch „werde Studium beginnen“ oder „werde weiterführende Schule besuchen“ im Vordergrund, so lautet seitdem der wesentliche Grund „werde Ausbildung in einem anderen Unternehmen wahrnehmen“.

Der Beginn des Rekrutierungsprozesses verliert an Bedeutung. FSJ (freiwilliges, soziales Jahr) oder Auslandsjahr als Brückenjahr sind durchaus in Ordnung. Die Berufseinsteiger haben keinen Druck.

Initiierte Patenprogramme haben häufig das Problem, dass die älteren Azubis wenig Lust haben, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern. In den meisten Unternehmen ist es deshalb so, dass die neuen Azubis den älteren zugeordnet werden.

Sehr wichtig ist im Rahmen der Bindung der Kontakt zum Elternhaus; Elternabende, persönliche Vertragsunterzeichnung, etc.

Beim Onboarding machen einige Betriebe gute Erfahrungen mit dem sog. Auslernerjahr. Mitunter werden übernommene Azubis bis zu drei Jahre von den ehemaligen Ausbildern mit betreut. Fakt ist: Mit einem Kennenlerntag ist es nicht mehr getan!

Soviel zu den aktuellen Herausforderungen und Strategien in der Berufsausbildung. Was meinen Sie? Welche Erfahrungen möchten Sie in die Diskussion mit einbringen? Ich freue mich sehr auf Ihren Kommentar im Blog!