Am 25. Mai 2016 berichtete ich an dieser Stelle über die Kernaussagen unserer diesjährigen Studie zur Berufsbildung Schweiz. Da am 23.-24. Juni 2016 die Fachtagung „Talent: Strategie & Analytics“ in Edesheim stattfinden wird möchte ich vorab einige Kernaussagen für Deutschland publizieren. Die Analyseergebnisse wurden entlang statistisch analysierter Berufsorientierungs-Cluster aufbereitet.

Vier Studierende der HFT Stuttgart, Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Müller, die zahlreiche Daten von SchülerInnen und Auszubildenden in Deutschland ausgewertet und vertiefende Interviews geführt haben, werden am 23. Juni die Analyseergebnisse präsentieren. Hier einige Highlights:

Vier Jugendcluster in der Berufsorientierung

In Deutschland werden lt. SINUS sieben Lebenswelten unterschieden. Durch statistische Verfahren haben wir daraus vier berufsbildende Cluster generiert, die sich hinsichtlich Werten und Eigenschaften im Berufskontext unterscheiden:

  • Traditionsverbundenen (rot) ist es wichtig, in Ihrem Beruf erfolgreich zu sein und eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu haben, ausserdem legen sie Wert auf Familie und Sicherheit – auch finanziell – im Beruf.
  • Erfolgsorientierte (grün) wünschen sich vor allem Entwicklungsmöglichkeiten. Sie wollen sich im Beruf hocharbeiten können, Karriere machen und erfolgreich sein. Erst nachgelagert legen sie auch Wert auf Sicherheit im Beruf.
  • Bodenständige (gelb) legen dagegen hohen Wert auf Sicherheit im Beruf, gute Ausbilder und Übernahmechancen. Weniger wichtig ist Ihnen dagegen ein aufregendes Leben.
  • Erfahrungshungrige (blau) möchten in interessante Aufgaben eingebunden werden, die Ihnen Spass machen; sie schätzen nette Kollegen und eine angenehme Arbeitsatmosphäre.

Berufsorientierung-Cluster-Deutschland

Die Geschlechterverteilung innerhalb der Cluster ist beinahe ausgeglichen. Die meisten Teilnehmer der diesjährigen Befragung sind dem Cluster der Bodenständigen zuzurechnen, das zweitstärkste Cluster ist das der Traditionsverbundenen.

Akademisierungswahn offenbart ideologischen Irrtum

In zahlreichen persönlichen Interviews, die Studierende der HFT Stuttgart im April und Mai dieses Jahres geführt haben, wurden bereits existierende Vermutungen bestätigt, so z.B.:

  • Die Abiturientenzahlen steigen, die Notendurchschnitte im Abitur werden immer besser, die Anmelde-Zahlen an den Universitäten explodieren.
  • Die Noten werden immer besser, die Bildung immer schlechter. Vielen Schulabgängern fehlen – dies ist auch ein Ergebnis der KAS Studie „Ausbildungsreife und Studierfähigkeit“ – in der Ausbildung oder im Studium wichtige Grundlagenkenntnisse.

Es ist fatal, dass unsere Politik aus ideologischen Gründen die Schulen unter Erfolgsdruck setzt. Die Folge ist Noten-Lifting seitens der Lehrerschaft, sowie eine Fokussierung auf eher allgemeine Kompetenzen statt der herkömmlichen Fachkenntnisse (vgl. Beitrag in DIE WELT). Im späteren, realen Arbeitsleben kommen die Dünnbrettbohrer meist nicht weit. (Helikopter-)Eltern tun ihr übriges, um ihre Kinder „durch´s Abi zu schleifen“ und sich, wenn es denn sein muss, auch mit Lehrern anzulegen.

Dermassen fehlgeleitet kam es in unseren persönlichen Interviews mit Jugendlichen u.a. zu folgenden Aussagen: (1) Das Studium ist die schönste Zeit des Lebens! (2) Mit der Ausbildung beginnt der Ernst des Lebens!

Von Politik und Eltern verlassen bieten etliche Ausbildungsbetriebe „nachholenden Bildungsunterricht“, EQ-Massnahmen, etc. an, um eklatante Mängel in der Rechtschreibung, Probleme in grundlegenden Bereichen der Mathematik und Defizite beim Textverständnis abzumildern. Auch soziale Kompetenzen stehen auf dem „Nachhilfeplan“, denn mit Misserfolgen haben viele Jugendliche nie gelernt, konstruktiv umzugehen.

Ich möchte an dieser Stelle nur einen Punkt vertiefen, nämlich: Berufsorientierung in der gymnasialen Oberstufe. Durch offensichtliche Fehlallokation von Bildungskapital werden ungeeignete SchülerInnen auf ein Abitur mit anschliessendem Studium vorbereitet, anstatt ihnen rechtzeitig die Ausfahrt zu zeigen, sowie neue Wege, die den Fähigkeiten dieser jungen Menschen näher kommen und diese häufig auf längere Sicht zufriedener und glücklicher machen.

Berufsvorbereitung-Schule-Deutschland

Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund

Aufgrund der v.a. in Deutschland und Österreich recht intensiv geführten Debatte, wie junge Flüchtlinge und Asylbewerber in Ausbildung gebracht werden können, haben wir hierzu einen neuen Abschnitt in die diesjährige Befragung mit aufgenommen.

Die Zielgruppe der Immigranten ist hauptsächlich dem Cluster der Bodenständigen zuzuordnen. Unseren Analysen zufolge sind SchülerInnen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen deutlich flexibler und anpassungsbereiter als SchülerInnen ohne Migrationshintergrund. Tendenziell bevorzugen sie zwar auch feste Arbeitszeiten und Gleitzeit, sind aber signifikant mehr dazu bereit, nachts oder in Schichtarbeit zu arbeiten als SchülerInnen ohne Migrationshintergrund.

Verdienstmöglichkeiten, Aufstiegschancen, weltweite Arbeitsmöglichkeiten sowie ein positives Image des potenziellen Arbeitgebers sind den SchülerInnen mit Migrationshintergrund signifikant wichtiger als der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund.

Im Rahmen unserer Fachtagung erwarten wir am Donnerstag, den 23. Juni, drei sehr interessante Keynote-Speaker zu diesem Themenspektrum.

Digitalisierung und MINT: Zwei Seiten derselben Medaille?

Wie bereits für die Schweiz dargelegt haben wir auch für Deutschland die sog. Digitalisierungselite untersucht, nämlich SchülerInnen, die sich v.a. durch eine hohe Experimentierfreude, Fehlertoleranz und Konfliktfähigkeit, einem ständigen Lernwillen, Freude an Teamarbeit und Kommunikationsstärke auszeichnen.

In Deutschland kommen ca. 66 Prozent der identifizierten Digitalisierungselite aus dem Berufsbildungs-Cluster der Bodenständigen. Anders als in der Schweiz gehören mehr junge Männer zur Digitalisierungselite als junge Frauen. Diese sind sehr selbstbewusst, zielstrebig, haben hohe Ansprüche an sich selbst und an das Unternehmen. Was man ihnen bieten muss, veranschaulicht die folgende Grafik:

Kriterien-Ausbildungsplatz-Digitalisierungselite-Deutschland

Beim Abgleich der Fähigkeiten von MINT-Interessierten mit der Digitalisierungselite ist uns folgendes aufgefallen: Neues schaffen ist der wichtigste Grund für das Interesse an MINT-Berufen. Dies passt zu der Eigenschaft Experimentierfreude der Digitalisierungselite und bietet eine gute Basis, um kreativ erfolgreich zu sein. Lust an Herausforderungen ist bei MINT-lern signifikant höher als bei Nicht-MINT-Interessierten. Dies spricht ebenfalls für eine Eignung zur Digitalisierung, da diese viele Herausforderungen und Veränderungen mit sich bringt und es wichtig ist, diesen mit Motivation und Freude gegenüber zu stehen. Ein Punkt, der hingegen gegen die Eignung der MINT-ler spricht, ist die signifikant niedrigere Konfliktfähigkeit.

Weitere Unterschiede und Gemeinsamkeiten, beispielsweise bzgl. Touchpoints und Informationskanälen, finden sich in unserer Berufsbildungs-Studie 2016.

Weitere Ergebnisse …

  • … bereiten wir mit den Studierenden bis Ende Juli 2016 in einer umfangreichen Studie mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen für Sie auf,
  • … präsentieren wir am 23. Juni 2016 im Hotel Schloss Edesheim im Rahmen unserer jährlichen Fachtagung,
  • … präsentieren wir am 6. Oktober 2016 in Wien,
  • … können Sie gegen eine geringe Schutzgebühr ab September 2016 käuflich erwerben.

Folgendes ist mir abschliessend noch wichtig: Befragungen – Schüler- und Unternehmensbefragungen führen wir in der STRIMacademy seit dem Jahr 2008 durch – machen nur dann Sinn, wenn sie neue Erkenntnisse vermitteln, die eine Steuerungsrelevanz – in diesem Falle für Betriebe, SchülerInnen, Eltern und Schulen – beinhalten. Ein blosses Sammeln von Daten, oberflächliche Fragen mit unseriösen Auswertungen oder das rein deskriptive Analysieren von Daten hat u.E. keinen bzw. einen nur sehr geringen Mehrwert. Durch unsere jahrelangen Erfahrungen in diesem Thema, die intensive Zusammenarbeit mit Hochschulen im Rahmen der Datenanalyse, sowie unserem evidenz-basierten Vorgehen (Einbindung von Sekundärstudien, Case Studies, etc.) erfüllen unsere Studien und (Benchmark-/Markt-)Daten die notwendigen Voraussetzungen und Alleinstellungsmerkmale, um für Entscheidungsprozesse in Unternehmungen herangezogen zu werden.

Bitte diskutieren Sie mit mir zu folgenden Themen:

  • Welche Erfahrungen machen Sie im Rahmen der Berufsorientierung bei Jugendlichen?
  • Welche Informationsquellen favorisieren Sie? Warum?
  • Welche Erfahrungen machen Sie speziell in Deutschland und Österreich bei dem Versuch, Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen?
  • Welche Ergänzungen und Anregungen möchten Sie zur Digitalisierungselite machen?