Ausbildungsbetriebe stehen unter Druck: Die Qualität der Bewerbungen sinkt, der Trend zur Akademisierung lässt nicht nur das Berufseinstiegsalter steigen, sondern auch den Pool geeigneter Kandidaten für eine Berufsausbildung zusätzlich schrumpfen. Die Lösung scheint eine ganzheitliche und systematische Vorgehensweise bei der Ansprache, Gewinnung und Einstellung von Auszubildenden zu sein.

Ein zentrales Element hierbei ist das Ausbildungsmarketing. Ausbildungsmarketing 2.0 ist Beziehungsmarketing; titelt das Personalmagazin bei der Vorstellung des gleichnamigen Buches von Prof. Dr. C. Beck und S. F. Dietl (Hrsg.). Die Anzahl an Instrumenten des Ausbildungsmarketing scheint explosionsartig anzusteigen. Beginnend mit den Jobbörsen und den HR-/Karriere-Webseiten, über Jobmessen und Praktikentenprogramme, bis hin zu Web 2.0-Anwendungen, Empfehlungsprogrammen und den sozialen Netzwerken.

Hier wird sich nur der Betrieb positiv von anderen Ausbildungsbetrieben abheben, der ein in sich stimmiges, auf das eigene Unternehmen abgestimmtes und authentisches Marketingkonzept vorweisen kann. Bevor überhaupt Marketingmassnahmen ergriffen werden können, müssen beim ‚originären Marketing‘ grundlegende Vorarbeiten geleistet werden. Hierauf bin ich in den Blogbeiträgen zum Thema Berufsbildung: Leitfaden für Betriebe (Teil 1/3 und Teil 2/3) bereits detailliert eingegangen.

In diesem Beitrag geht es nun konkret um ein Unternehmen, nämlich um

Schülerbefragung: Ergebnisse Würth

Eine wichtige Vorarbeit besteht darin, eine relevante Zielgruppe auszuwählen, zu analysieren und im Detail zu verstehen; also: Was ist ihre Motivation? Was ist ihre Erwartungshaltung an einen Betrieb?

Die Adolf Würth GmbH & Co. KG nimmt regelmässig an den Schülerbefragungen der STRIM Unternehmensgruppe teil, das letzte Mal im Jahr 2016. Über alle Schultypen hinweg haben sich über 2.000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland daran beteiligt; hier einige Auszüge aus dem Ergebnisbericht:

  • Gut 67 Prozent (2015: 59 Prozent) der Schülerinnen und Schüler können sich vorstellen, bei Würth eine Ausbildung zu beginnen; hiervon sind 29 Prozent männlich (2015: 28 Prozent) und 38 Prozent weiblich (2015: 30 Prozent).
  • Im Vergleich mit den Befragungsergebnissen der Vorjahre hat sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die sich eine Ausbildung bei Würth vorstellen können, insbesondere bei den weiblichen Befragungsteilnehmern weiter erhöht; dies trotz schwierigeren Rahmenbedingungen und initiierter Massnahmen der Wettbewerber.
  • Schüler aller Altersklassen können sich überwiegend gut eine Ausbildung bei Würth vorstellen. Im Vergleich zu den Befragungsergebnissen der Vorjahre ist hier eine deutliche Attraktivitätssteigerung über alle Altersklassen hinweg erkennbar.
  • Entlang der Schulform ergab sich, dass sich Jugendliche, welche ein Gymnasium besuchen, zu rund 18 Prozent (2015: 33 Prozent!) vorstellen können, eine Ausbildung bei Würth zu beginnen. Im Vergleich mit den Befragungsergebnissen des Jahres 2013 – knapp über 40 Prozent – ist dieser Wert weiter rückläufig. Diese Entwicklung spiegelt einen bundesweiten Trend zur Akademisierung wider, der sich hier (leider) niederschlägt. Bei den Hauptschülern und den Jugendlichen von sonstigen Schulen überwiegt der Anteil derer, die sich eine Ausbildung bei Würth vorstellen können.
  • Mit Blick auf die Logistikberufe kommen die Bewerber aus der Haupt- und Realschule. Ziel ist, Realschülerinnen für den Beruf „Fachkraft für Lagerlogistik“ zu gewinnen, Hauptschülerinnen für den Beruf „Fachlagerist“. Alle Massnahmen entlang des Präferenzmodells sind daraufhin auszurichten.

Berufsorientierungs-Cluster: Relevanz für Würth

In Deutschland werden lt. SINUS sieben Lebenswelten unterschieden. Durch statistische Verfahren haben wir daraus für Deutschland vier berufsbildende Cluster generiert, die sich hinsichtlich Werten und Eigenschaften im Berufskontext unterscheiden. Detaillierte Erläuterungen zu diesen Berufsorientierungs-Clustern finden Sie in meinem Beitrag vom 20. Juni 2016.

Für Würth gilt:

  • Grundsätzlich können sich Jugendliche aus den Clustern der Bodenständigen und der Erfahrungshungrigen eine Ausbildung bei Würth überwiegend gut vorstellen.
  • Mit Blick auf Logistikberufe kommen die Jugendlichen primär aus den Clustern der Bodenständigen und der Traditionsverbundenen.

Das Cluster der Bodenständigen legt hohen Wert auf Sicherheit im Beruf, gute Ausbilder und Übernahmechancen. Eine steile Karriere und ein schneller Aufstieg sind diesen Jugendlichen weniger wichtig. Weitere Eigenschaften sind:

  • Die Gruppe der Bodenständigen fühlt sich zu einem Unternehmen hingezogen, das vermitteln kann, dass auch nach der Ausbildung eine Weiterentwicklung im Ausbildungsbetrieb möglich ist.
  • Sie wünschen sich eine Perspektive im Ausbildungsbetrieb und suchen nach Möglichkeiten, auch nach Abschluss der Ausbildung dort zu verbleiben.
  • Bei der Wahl ihres Ausbildungsbetriebes achtet die Gruppe der Bodenständigen ausserdem auf die Qualität ihrer Ausbilder.
  • Jugendliche dieses Clusters trifft man u.a. in Kirchen, kirchlichen Jugendtreffs, in 2nd-Hand-Läden, auf Flohmärkten, bei politischen Veranstaltungen, sowie in Theater, Galerie und Museum.

Jugendlichen aus der Gruppe der Traditionsverbundenen ist es wichtig, in Ihrem Beruf erfolgreich zu sein und eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu haben. Weitere Eigenschaften sind:

  • Sie legen Wert auf Familie und Sicherheit – auch finanzielle Sicherheit – im Beruf. Ein aufregendes Leben ist Ihnen hingegen weniger wichtig.
  • In Bezug auf ihre berufliche Zukunft fühlen sich diese Jugendlichen angesprochen, wenn sie einen sicheren Ausbildungsplatz und gute Übernahmechancen bekommen können. Auch familienfreundliche Rahmenbedingungen und die Möglichkeit sich „hochzuarbeiten“ spricht diese Gruppe an.
  • Als Informationsquellen bevorzugen sie Praktika, Gespräche mit Eltern und Menschen, die in sie interessierenden Berufen arbeiten, sowie Internetangebote der IHKs und der Arbeitsagentur.
  • Relevante Touch Points sind Kirche und kirchliche Jugendtreffs. Daneben trifft man sie auch in Bibliotheken, auf Flohmärkten, bei politischen Veranstaltungen, sowie in Theater, Galerie und Museum.

Männliche Jugendliche dieses Berufsorientierungs-Clusters haben eine hohe Affinität zu Verkehr, Lagerung und Transport, Büro und Verwaltung, sowie zu diversen technischen Berufen. Junge Frauen sind eher an Branchen wie Chemie, Physik, Biologie oder Gesundheit interessiert. Diese Affinität kann auch als Erklärung dafür herangezogen werden, dass Bewerberinnen schwerer für Logistikberufe zu begeistern sind als Bewerber.

Präferenz-Modell: Metafunktion des Ausbildungsmarketing

Die Jugendlichen, die an einem Ausbildungsberuf interessiert sind, treffen in unterschiedlichen Phasen immer wieder Präferenzentscheidungen. Eine Bewerbung, ein Gespräch, ein Vertrag kommen nur dann zustande, wenn diese Entscheidungen positiv verlaufen.

Mit Fokus auf Interessenten und Bewerberinnen für Logistikberufe hat die STRIMgroup AG gemeinsam mit Würth Berufsausbildung Massnahmen entlang des Präferenz-Modells erarbeitet, die zurzeit implementiert werden:

  • Assoziations-Phase: Durchführung von Praktika, Gespräche mit Eltern, Bekannten und Freunden, etc.:
    In dieser Phase intensiviert Würth sein soziales und kulturelles Engagement in der Region, setzt vermehrt Bannerwerbung ein, nimmt an Wettbewerben und Preisausschreiben teil, bietet Werksführungen an, plang eine Azubi-Night (mit bester Freundin!) zu organisieren und aktualisiert existierende Logistik-Broschüren und -Flyer.
  • Orientierungs-Phase: Überprüfung der getroffenen Präferenzentscheidung hinsichtlich Mach- und Durchführbarkeit:
    In dieser Phase schaltet Würth Stellenanzeigen in Zeitungen und Fachzeitschriften, aktualisiert den Internetauftritt „Karriereportal“, überarbeitet Praktikanten-Programme, macht das „Mitarbeiter werben Mitarbeiter-Programm“ noch bekannter, publiziert in Kampagnen-Blogs und kreiert neue Plakate und Aushänge.
  • Matching-Phase: Übergang vom anonymen Interessenten zum potenziellen Mitarbeiter, Matching über die Vorstellungen und Möglichkeiten der Akteure:
    In dieser Phase setzt Würth Self-Assessments ein, organisiert Recruiting-Events, führt (Online-)ACs durch, setzt auf eine intensive Betreuung – auch nach erfolgtem Angebot – und bietet Inhouse-Recruiting-Workshops an.
  • Bindungs-Phase: Evaluation einer getroffenen Präferenzentscheidung hinsichtlich Arbeitgeber Würth, Aufgaben- und Verantwortungsbereich, Arbeitsklima, Personalpolitik und –führung, Konditionen, etc.
    In dieser Phase informiert Würth über die betriebliche Altersversorgung, das Ideenmanagement, die Durchführung von Azubi- und Mitarbeiterbefragungen, stellt die Angebote im Intranet vor, bietet erste Qualifizierungsprogramme – auch online/on-demand – an, stellt interessante Entwicklungsprogramme vor und macht auf Coaching- bzw. Mentoring-Angebote aufmerksam.

Judita Singh, derzeit im 2. Ausbildungsjahr als Fachkraft für Lagerlogistik, beantwortet im Würth-Azubiblog interessante Fragen – gestellt von Tamara Molitor und Kristin Rohm (beide: Würth Ausbildungsabteilung) – zu Aufgaben und Vorurteilen ihres Ausbildungsberufes [Link].

Fazit

Ausbildungsmarketing 2.0 ist also Beziehungsmarketing; dies wurde durch die Einblicke zur Schülerbefragung, die relevanten Berufsorientierungs-Cluster, sowie das Präferenz-Modell deutlich.

Ausbildungsmarketing 2.0 bedeutet aber auch, aus der Fülle an Instrumenten einige, wenige, dafür passgenaue Instrumente auszuwählen und mit Massnahmen zu unterlegen.

Entlang des Präferenz-Modells haben die Verantwortlichen seitens Würth beispielsweise die folgenden Massnahmen initiiert (Auswahl):

  • Assoziationsphase – Fachkraft für Lagerlogistik – Frauen: Girls Day und Girls Club;
  • Assoziationsphase – Fachkraft für Lagerlogistik – Männer: Probetraining Fußball und/oder Fechten;
  • Matchingphase – Fachkraft für Lagerlogistik, Fachlagerist: Probearbeiten mit integrierter Positivauswahl.

Wie haben Sie Ihr Ausbildungsmarketing mit Blick auf Mangelberufe ausgestaltet? Welche Erkenntnisse und Erfahrungen möchten Sie in die Diskussion mit einbringen? Was geht, was geht nicht? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare und Anregungen.